Forderung nach Wahlbeobachtern Unter aller Augen

Düsseldorf · Aus Sorge vor Wahlbetrug ruft die AfD dazu auf, den Ablauf der Abstimmung genau zu beobachten. Legal ist das, notwendig eher weniger. Denn in NRW sind de facto 110.000 Wahlbeobachter im Einsatz.

 "Achten Sie vor allem darauf, dass gültige Stimmen nicht in ungültige verwandelt werden und dass niemand Stimmzettel verschwinden läßt", warnt die NRW-AfD. Berechtigterweise?

"Achten Sie vor allem darauf, dass gültige Stimmen nicht in ungültige verwandelt werden und dass niemand Stimmzettel verschwinden läßt", warnt die NRW-AfD. Berechtigterweise?

Foto: dpa, obe vge jai

Die gefährlichsten Gegner von Wahlbetrügern entsendet die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), in der sich 57 Staaten aus aller Welt zusammengeschlossen haben. Schlagzeilen machte deshalb die Bitte der AfD, die OSZE möge ihre unbestechlichen Beobachter auch zur Bundestagswahl am 24. September schicken. Entschieden wird darüber im Juli, zum Aufreger indes taugt der Vorgang nicht: Die Bundesregierung selbst hatte die OSZE-Experten bereits im März eingeladen — und das nicht zum ersten Mal. Zur Bundestagswahl 2013 waren zwei Beobachter vor Ort, 2009 sogar 15. Ihre Abschlussberichte sind zusammen 50 Seiten lang, aber das Fazit ist: Kein Grund zur Sorge.

Landtagswahlen allerdings fallen nicht in den Zuständigkeitsbereich der OSZE, "offizielle" Wahlbeobachter wird es nicht geben. Grund genug zu fragen: Wer kontrolliert die Kontrolleure der Stimmabgabe, also die Männer und Frauen, die die sogenannten Wahlvorstände bilden und als Wahlhelfer bekannt sind?

Die AfD ruft jedenfalls dazu auf, am Sonntag auf eigene Faust als Wahlbeobachter aktiv zu werden, also zwischen 8 und 18 Uhr im örtlichen Wahllokal den Ablauf der Stimmagabe im Blick zu behalten oder danach deren Auszählung zu beobachten. Das ist auch völlig legal. Im Sinne der Transparenz ist das jedem Bürger explizit erlaubt, solange die Wahl dadurch nicht gestört wird.

Für scharfe Kritik hat der Aufruf dennoch gesorgt, den schon mehrere Landesverbände der AfD gestartet haben. Denn darin werden die Wahlbeobachter in spe wörtlich angewiesen: "Achten Sie vor allem darauf, dass gültige Stimmen nicht in ungültige verwandelt werden und dass niemand Stimmzettel verschwinden läßt". Die Landeswahlleiterin in Baden-Württemberg, Christiane Friedrich, <u>erklärte</u> dazu empört: "Es ist ein Unding, ehrenamtlichen Wahlhelfern aus der Mitte der Bürgerschaft Wahlfälschung zu unterstellen."

Den Politikwissenschaftler Achim Goerres ärgert diese Unterstellung ("Das entbehrt jeder Grundlage") auch ganz persönlich. Denn der Forscher der Universität Duisburg-Essen wird in einem zehntausendfach bei Facebook geteilten, anonym verfassten "Artikel" als Kronzeuge dafür missbraucht, dass Wahlbetrug in Deutschland ein großes Problem sei. Er und sein Co-Autor hätten "gezeigt, dass ein ernstes Demokratieproblem existiert", wird ihm dort in den Mund gelegt — eine glatte, böswillige Erfindung. "So etwas habe ich nie gesagt", sagt Goerres, der bald als typisches Opfer von Verleumdung in einem Buch über "Fake News" auftauchen wird. Das Fazit seiner real existierenden Studie über die fünf Bundestagswahlen zwischen 1990 und 2005 lautet nämlich ganz im Gegenteil: "Es gibt keinerlei Hinweis auf systematischen Wahlbetrug oder Missmanagement beim Umgang mit Stimmen" — wie sich für jedermann im Original (PDF) nachlesen lässt.

 Ein "ernstes Demokratieproblem" soll Politikwissenschaftler Achim Goerres anonymen Aktivisten zufolge aufgedeckt haben. Tatsächlich fand er das Gegenteil: "keinerlei Hinweis auf systematischen Wahlbetrug".

Ein "ernstes Demokratieproblem" soll Politikwissenschaftler Achim Goerres anonymen Aktivisten zufolge aufgedeckt haben. Tatsächlich fand er das Gegenteil: "keinerlei Hinweis auf systematischen Wahlbetrug".

Foto: UDE

100-prozentig sicher gegen Fehler oder auch Manipulationsversuche könne kein größerer Wahlvorgang sein, sagt Goerres. Das deutsche System aber sei einerseits sehr komplex — "allein die Bundeswahlordnung umfasst 70 Seiten voller nuancierter Vorschriften" und andererseits sehr robust gegen Manipulationsversuche. "Luft nach oben ist immer, aber es gibt viele 'checks and balances', insbesondere beim Auszählungsprozess, der auf gesundem Misstrauen der Wahlhelfer untereinander basiert." Diese Aufgabe übernehmen nämlich Freiwillige aus der Mitte der Gesellschaft, die in Dreier- oder größeren Gruppen zusammengestellt werden. Im Idealfall sind es bei jeder Wahl andere Personen mit untereinander unterschiedlichen politischen Präferenzen. Am Wahltag arbeiten sie 11 bis 12 Stunden, für einen Händedruck sowie eine kleine Aufwandsentschädigung, die teils nur 40 Euro sowie eine Packung Kekse beträgt.

"Fast alle Wahlhelfer reagieren auch mal menschlich, ärgern sich über ungültige Stimmzettel oder auch nur Stimmen für eine Partei, die ihnen persönlich unsympathisch ist", sagt Goerres. "Aber fast immer werden sie die Stimmen nach bestem Wissen und Gewissen auszählen." Selbst bei größter krimineller Energie könne man einer Partei maximal eine dreistellige Anzahl von Stimmen zuschustern, schätzt er. "Solch ein Betrug wäre zwar auch schlimm, für das Gesamtergebnis aber nur in den seltensten Fällen ausschlaggebend." Alles in allem sei der potenzielle Nutzen zu gering und das persönliche Risiko zu hoch, als Straftäter verdächtigt und womöglich verurteilt zu werden. "Wahlbetrug lohnt sich schlicht nicht."

Am größten sei die Gefahr vermutlich bei Kommunalwahlen, weil einzelne Stimmen dort am meisten Einfluss auf das Gesamtergebnis haben. Tatsächlich hat sich der einzige größere Wahlskandal in Deutschland bei einer Kommunalwahl ereignet, 2002 in Dachau bei München. Zwei CSU-Stadträte wurden der Manipulation überführt. Sie mussten die Kosten für die Wiederholungswahl in Höhe von 116.300 Euro zahlen, hinzu kamen Bewährungsstrafen von bis zu zwei Jahren sowie Geldstrafen von bis zu 125.000 Euro.

Die AfD begründet ihren Aufruf damit, dass ihr bei der Bundestagswahl 2013 im Eifeldorf Stadtkyll beinahe zu Unrecht 14 von 16 Zweistimmen aberkannt worden wären. Die Richtigstellung erfolgte am Tag, nachdem ein Bürger per Mail eine Neuauszählung gefordert hatte. Ein ärgerlicher Fall, aber eben auch nur einer aus einem von 16.500 Wahllokalen. Die RP-Anfrage, ob die AfD auch in anderen Fällen benachteiligt worden sei, bleibt unbeantwortet. "Wo Menschen sind, passieren Fehler" sagt zu dem fraglichen Fall Richard Bell, Sachbearbeiter Wahlen bei der Verbandsgemeinde Obere Kyll in Rheinland-Pfalz. Die ärgerliche Panne sei nach der eigentlichen Auszählung der Stimmen passiert: Beim Übertragen in die sogenannte Wahlniederschrift seien die 14 Stimmen irrtümlich der libertären "Partei der Vernunft" zugerechnet worden.

Durch die Korrektur ergab sich keine entscheidende Änderung, am Ende erreichte die AfD in Stadtkyll 2,8 Prozent und in ganz Deutschland 4,7 Prozent. Zum Einzug in den Bundestag fehlten der Partei beinahe 150.000 Stimmen, rund 10.000 Mal so viele, wie ihr zunächst nachweislich zu Unrecht aberkannt worden waren. Aber es geht selbstverständlich ums Prinzip.

Doch im Prinzip gibt es am Sonntag eben auch nicht null, sondern 110.000 Menschen, die als Wahlbeobachter tätig werden — eben die Wahlhelfer selbst. Der Politikwissenschaftler Achim Goerres ermutigt jeden Neugierigen oder Skeptiker, sich davon mit eigenen Augen zu überzeugen. Er baut auf ein Aha-Erlebnis: "Wer mit eigenen Augen sieht, wie professionell die Stimmauszählung abläuft, dessen Vertrauen in die Funktionsfähigkeit unserer Demokratie kann nur steigen."

(tojo)
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