AfD-Hochburg Gelsenkirchen "Einen auf den Deckel für die großen Parteien"

In Gelsenkirchen haben besonders viele Menschen die AfD gewählt - bis zu 15,2 Prozent waren es, mehr als irgendwo sonst in NRW. Warum sind die Rechtspopulisten hier so erfolgreich? Ein Besuch im Stadtteil Schalke am Tag nach der Landtagswahl.

Konrad Mühlen ist Schalker durch und durch. Sein Trikot und eine Kette des Fußballclubs trägt er auch, wenn er mal eben mit dem Hund zur Trinkhalle geht, um sich seine Zeitung zu holen. Mühlen lebt seit 35 Jahren in Gelsenkirchen-Schalke. Hier hat die AfD am Sonntag besonders viele Stimmen geholt. "Also, ich hab die nicht gewählt", sagt der 61-Jährige und lacht. Aber, sagt er, viele seiner Kumpels hätten ihr Kreuz bei der rechtspopulistischen Partei gemacht. "Und ich kann sie irgendwie verstehen."

Wenn er sein Fenster im Wohnzimmer auf Kipp habe, würde er am Abend kaum eine deutsche Stimme von der Straße hören. Und dann beginnt Mühlen einen Satz mit den Worten, die hier am Tag nach der Wahl immer wieder Sätze einleiten: "Ich habe nichts gegen Ausländer, aber. . ." Mühlen erzählt von Syrern, die ihren Müll einfach auf die Straße schmeißen, und von Nachbarinnen, die Angst haben, abends raus zu gehen. "Wegen der vielen ausländischen Männer."

"Ich bin Protestwähler"

Mehr als 14.700 Gelsenkirchener haben die AfD gewählt. Die Partei hat im Wahlkreis Gelsenkirchen II mit 15,2 Prozent ihr bestes Ergebnis im Land eingefahren. Besonders in Stadtteilen wie Schalke, wo viele Migranten leben, viele arbeitslos sind, erreichte die Partei viele Wähler.

Vor einem Obst- und Gemüsegeschäft an der Schalker Straße stehen am Montagnachmittag zwei ältere Männer und diskutieren über die Wahl. Einer hat für die AfD gestimmt, der andere war gar nicht wählen. "Dass die SPD so haushoch verliert, war mir nach der Kölner Silvesternacht schon klar", sagt der AfD-Wähler, 84 Jahre alt. Er hat seine Stimme den Rechtspopulisten gegeben, weil er erreichen wollte, dass "die großen Parteien mal einen auf den Deckel kriegen". Die seien schließlich dafür verantwortlich, dass "so viele Fremde" nach Deutschland gekommen seien, die jetzt allein gelassen würden. "Ich bin Protestwähler", sagt er. Ganz nach oben werde die AfD ohnehin nicht kommen — "wenn da noch mehr Nazis eintreten, hält das Ganze sowieso nicht lang", sagt der Rentner.

Mehr als 20 Prozent für AfD im Essener Norden

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Foto: Bernd Wüstneck

Wie sehr die AfD sich von einer Anti-Euro-Partei von bürgerlichen Schichten hin zu einer Protestpartei eher einfacher Menschen gewandelt hat, zeigt auch ihr Ergebnis in Essen. Im wohlhabenden Süden kommt sie in vielen Stadtteilen nicht einmal auf fünf Prozent, in den nördlichen Wahlkreisen dagegen häufig auf deutlich mehr als 15 Prozent, innerhalb der gesamten Stadt kommen 9,8 Prozent zusammen.

Im Norden mit den hohen AfD-Anteilen leben mehr Arbeiter und Arbeitslose, dort sind wegen der niedrigen Mieten auch deutlich mehr Zuwanderer als im Süden, entsprechend der Unterschied zu den privilegierteren Stadtteilen. Doch während die AfD zeitweise gehofft hatte, NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) sein Direktmandat im Westen der Stadt abzunehmen, landete der bekannte AfD-Kandidat Guido Reil, ein früheres SPD-Mitglied, bei nur 14,4 Prozent. Kutschaty bekam 45 Prozent . Reil holte aber immerhin das beste Ergebnis aller AfD-Direktkandidaten in Essen. Und im Essener Norden hatte der Bergmann sehr großen Erfolg. In den zwei Stadtteilen Vogelheim und Karnap holte er mehr als 20 Prozent.

 Adem Cukur versteht vor allem die älteren Menschen nicht, die für die AfD gestimmt haben.

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Foto: Claudia Hauser

"Gefühlte Sicherheit" der Bürger habe gelitten

Auch Friedhelm Rikowski (61) hat aus Protest die Seiten gewechselt. Der Verwaltungsbeamte hat sich seit seinem 15. Lebensjahr für die CDU engagiert, bevor er im Oktober 2014 in die AfD eintrat. "Straßenwahlkampf macht süchtig", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Der AfD-Ortsverband in Gelsenkirchen sei sehr aktiv gewesen und habe genau hingehört.

"Innere Sicherheit, Verkehr und Bildung sind die Themen, die die Leute interessieren", sagt Rikowski. "Natürlich spielt auch die Zuwanderung aus Südosteuropa eine Rolle. Wir haben Probleme, die sich aus der Zuwanderung ergeben." Insbesondere ältere Menschen fühlten sich nicht mehr sicher und beklagten die hohe Kriminalität. "Die gefühlte Sicherheit hat in den vergangenen Jahren sehr stark gelitten", sagt Rikowski.

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Foto: dpa, fux

Adem Cukur lebt in Gelsenkirchen und Istanbul und hat eine Tankstelle an der Bochumer Straße in Gelsenkirchen. Er versteht vor allem die älteren Menschen nicht, die für die AfD gestimmt haben. "Gerade die haben doch mitbekommen, wer nach dem Zweiten Weltkrieg beim Wiederaufbau des Landes geholfen hat", sagt der 54-Jährige. Er kennt die Ängste seiner Mitmenschen. "Es ist die Angst vor Überfremdung, viele fühlen sich unsicher, wenn eine Gruppe von Syrern oder Libanesen auf der Straße zusammensteht."

Auch in der Bochumer Straße sei das so. "Neulich stand eine Riesengruppe Männer und Frauen bei mir vor der Tankstelle und hat laut diskutiert." Er sei dann zu ihnen gegangen und habe sie gebeten, leiser zu sein. "Ein paar Tage später habe ich dieselbe Gruppe in der Innenstadt getroffen, da wollten sie mit mir Kaffee trinken gehen — Reden ist immer ein Anfang."

(hsr / heif / kowa)
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