NRW-Landtagswahl Wahlkämpfer im Schatten

Düsseldorf · Fahren, Plakate kleben, Flyer verteilen. Wir haben drei Menschen begleitet, die sich politisch engagieren – nicht als Kandidaten, sondern im Hintergrund, ohne Chance auf Macht und Ruhm.

 Louisa Warden unterstützt ihre Mutter Marion Warden während des Wahlkampfs.

Louisa Warden unterstützt ihre Mutter Marion Warden während des Wahlkampfs.

Foto: Anne Orthen

Fahren, Plakate kleben, Flyer verteilen. Wir haben drei Menschen begleitet, die sich politisch engagieren — nicht als Kandidaten, sondern im Hintergrund, ohne Chance auf Macht und Ruhm.

 Das Wahlkampfmobil der Linken-Spitzenkandidatin Özlem Demirel. Heiner Bäther ist ihr Fahrer.

Das Wahlkampfmobil der Linken-Spitzenkandidatin Özlem Demirel. Heiner Bäther ist ihr Fahrer.

Foto: Endermann, Andreas

Das Wahlkampfmobil von Özlem Demirel ist ein knallblauer, alter Seat. Keine Limousine, nicht besonders schick. Dafür sind die gepolsterten Sitze bequem — und die Spitzenkandidatin der Linkspartei für den NRW-Landtag lässt sich nach einem Termin kurz vor der Wahl auf den Beifahrersitz fallen.

Am Steuer sitzt Heiner Bäther, Demirels Fahrer. Zumindest im Wahlkampf — eigentlich ist Bäther nämlich auch "Genosse", wie man bei der Linken sagt, und macht das Ganze ehrenamtlich. "Das kann ganz schön anstrengend sein", sagt der 47-Jährige. "Manchmal sind wir bis spät in die Nacht unterwegs."

 Hermann Navel (AfD-Schatzmeister im Kreisverband Heinsberg) hängt für und mit Landtagskandidat Jürgen Spenrath die Plakate auf.

Hermann Navel (AfD-Schatzmeister im Kreisverband Heinsberg) hängt für und mit Landtagskandidat Jürgen Spenrath die Plakate auf.

Foto: Laaser, Jürgen

Stressig ist auch die Arbeit von Hermann Navel. Vor allem aber ist sie für die Tonne — und Navel weiß das und kommt damit zurecht. An einem Freitagmittag zieht der 69-Jährige mit seinem Freund und Parteikollegen Jürgen Spenrath in Erkelenz um die Häuser, um Wahlplakate aufzuhängen. Die beiden sind Mitglieder der Alternative für Deutschland (AfD).

Die Plakate, die sie vor der Landtagswahl an Laternen und Masten anbringen, bleiben in der Regel nicht lange hängen — dafür sorgen ihre politischen Gegner. So auch diesmal: Keine vier Tage, nachdem Navel und Spenrath die Plakate aufgehängt haben, liegt ein Großteil abgerissen auf dem Boden, am Straßenrand oder in der Papiertonne. Von seiner Arbeit lässt sich Navel aber nicht abbringen.

Helfen, um mit der Mutter in Kontakt zu bleiben

Solche offene Ablehnung kennt Louisa Warden nicht. Wohl aber Erstaunen: Ihre Mutter, Marion Warden, sitzt seit 2012 für die SPD im Düsseldorfer Landtag. Ein Job, der ein Familienleben, wie es viele kennen, unmöglich macht. Vor allem während des Wahlkampfes — dann stehen neben dem üblichen Tagesgeschäft noch rund 300 zusätzliche Termine an. Louisa, 16 Jahre alt, hat einen eigenen Weg gefunden, damit umzugehen. Sie unterstützt ihre Mutter, wo sie kann. "So kann ich beides verbinden: Meiner Mutter helfen und mit ihr im Kontakt bleiben", erklärt die Schülerin.

Louisa Warden und ihre Familie sind ein eingespieltes Team. "Wir versuchen, für unsere Kinder da zu sein", erklärt Vater Axel Warden, ein pensionierter Ingenieur, "auch im Wahlkampf". Er begleitet seine Frau seit vielen Jahren bei ihrer politischen Karriere — in den Schatten gestellt fühlte er sich aber nie. "Es ist nicht so, dass ich den Hausmann gegeben hätte, während meine Frau Karriere gemacht hat", sagt Warden.

Heiner Bäther hingegen sagt ganz offen, dass er momentan eine Hintergrundfunktion einnimmt — und ist zufrieden damit. Eigentlich ist nämlich auch er bei der Linkspartei aktiv, ist etwa Sprecher im Rhein-Kreis Neuss und vertritt die Interessen gleichgeschlechtlicher Paare in Landes- und Bundesverbänden. Für den Wahlkampf hat er sich bewusst für eine Rolle im Hintergrund entschieden — als Fahrer von Spitzenkandidatin Demirel.

Im Auto auf dem Weg nach Düsseldorf-Gerresheim geht es denn auch viel um Politik. Navigiert wird mit dem Smartphone, zwischendurch wird sich auch mal verfahren. Aber Özlem Demirel bleibt trotz Zeitdrucks entspannt — und plaudert mit Heiner Bäther über neue Termine, andere "Genossen" und die jüngsten Umfragen. Das Verhältnis der beiden wirkt entspannt, die Atmosphäre ist vertraut.

Zwischendurch ist es auch mal still, etwa, wenn Özlem Demirel im "mobilen Büro", wie sie den blauen Wagen nennt, Mails checkt oder Unterlagen durchgeht. Seit Anfang April ist Heiner Bäther als Fahrer aktiv. Sonst ist er Hausmann — und engagiert für seine Partei. Seit 2008 ist er Mitglied.

Der Wahlkampfhelfer war selbst Kandidat

Ganz so lange ist Hermann Navel noch nicht dabei, wie auch, die AfD gibt es schließlich erst seit vier Jahren. Aber beinahe genauso lange ist Navel schon Mitglied im Heinsberger Kreisverband. "Ich habe immer gesagt: Wenn ich Rentner bin, will ich mich politisch engagieren", sagt der gelernte Elektromeister, der in Duisburg aufgewachsen ist. Durch sein Engagement bringt es Navel wenige Monate nach seinem Parteieintritt sogar zum Kandidaten bei der Bundestagswahl 2013 — in seinem Wahlkreis holt er 2,3 Prozent der Erststimmen. Nun, dreieinhalb Jahre später, ist aus dem Kandidaten ein Wahlkampfhelfer geworden.

Doch der Schritt in den Hintergrund fiel Navel nicht schwer: Statt sich selbst zur Wahl zu stellen, unterstützt er jetzt seinen Parteifreund Jürgen Spenrath, Listenplatz 21. Er weiß: Ob Wahlhelfer oder Kandidat, auch bei dieser Wahl sind die Aussichten auf Erfolg begrenzt. Aber das schreckt den 69-Jährigen nicht ab: "Wenn man eine Wahl haben will, muss es auch die Chancenlosen geben."

Über seine Beziehung zu Jürgen Spenrath sagt er, das sei eine "unausgesprochene Freundschaft". Hin und wieder sei man nicht einer Meinung, "aber Streit haben wir nie". Laut wird es zwischen den beiden an jenem Freitagmittag dennoch öfter. "Mensch, Jürgen. Halt dich da raus", ruft Navel, als Spenrath ihm bei einem Plakat zur Hand gehen will.

In Momenten wie diesen wird deutlich: Der Wahlkampfhelfer Navel unterstützt den Kandidaten Spenrath — aber wie er das macht, das bestimmt er immer noch selbst. Dass es sein Parteifreund ist, auf den bei Podiumsdiskussionen die Augen gerichtet sind, dessen Name auf der Kandidatenliste steht und der am Ende — auch dank Navels Hilfe — in den Landtag einziehen könnte, stört ihn nicht, wie er sagt: "Ich möchte gar nicht im Rampenlicht stehen."

Anfeindungen am Wahlkampfstand

Damit ist auch Louisa Warden ganz zufrieden. Ein normales Familienleben kennt sie nicht: "Seitdem ich denken kann, ist meine Mutter politisch aktiv." Warden, die zuletzt eine leitende Position in der Kommunalverwaltung innehatte, war vor ihrer Abgeordnetentätigkeit im Rat der Stadt Düsseldorf und engagierte sich im Ehrenamt. Gemeinsame Abendessen oder Frühstücke sind selten.

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Foto: dpa/Federico Gambarini

Deshalb versuchen Mutter und Tochter, nicht nur im Wahlkampf engen Kontakt zu halten. "Wir halten uns beispielsweise über Whatsapp auf dem Laufenden", erklärt Marion Warden. "Und wenn etwas Wichtiges ist, unterbreche ich natürlich auch die Arbeit." Im Wahlkampf ist das allerdings schwierig, deshalb kommt Louisa einfach mit zum Stand, verteilt Flyer, spricht Leute an.

Eine Rolle, in der sich sonst auch Heiner Bäther wohlfühlt. Als ehrenamtlicher Fahrer muss er sich zwischen den Fahrten aber auch einmal ausruhen, da bleibt nicht viel Zeit für eigenen Wahlkampf. Während Özlem Demirel also vor einem Rewe-Supermarkt in Gerresheim versucht, Passanten von den Inhalten der Linkspartei zu überzeugen, steht Bäther ein paar Meter weiter weg. Er trinkt Kaffee und raucht eine Zigarette.

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Foto: dpa, obe vge jai tba

Der ehemalige Gartenbautechniker kennt lange Autofahrten. Nachdem er seinen Beruf wegen Arthrose im Knie und in der Hüfte aufgeben musste, arbeitete er als Taxifahrer. Auch einen kleinen Schulbus für behinderte Kinder fuhr er damals. Seit einigen Jahren ist er Hausmann — "und dadurch prädestiniert für den Vollzeitjob als Wahlkampffahrer", sagt er und lacht.

Überhaupt ist Heiner Bäther an diesem Samstag guter Dinge. Von feindseliger Stimmung gegenüber der Politik ist nichts zu spüren. "Wir bekommen in diesem Wahlkampf sehr viel Zuspruch, mehr als bei der letzten Wahl", sagt Bäther. "Es gibt nur sehr wenige unangenehme Situationen." Früher sei das oft anders gewesen. Auch Louisa Warden hat mit negativen Reaktionen und sogar Anfeindungen Erfahrungen gemacht, zum Beispiel am Wahlkampfstand. Aber sie steht dennoch hinter ihrer Mutter und deren politischen Ideen.

Unterschiedliche Ansichten, ähnliches Engagement

Genau wie Louisa Warden lassen sich auch Heiner Bäther und Hermann Navel nicht beirren. So unterschiedlich die politischen Ansichten der drei Wahlkampfhelfer sind, so ähnlich ist doch ihr Engagement. Sie wenden viel Zeit auf für ihre politischen Ideen und das, obwohl sie nicht selbst im Mittelpunkt stehen. Außerhalb des Rampenlichts erledigen sie für ihre Parteien wichtige Arbeit — und für die Menschen, die sie unterstützen: Freunde, Parteigenossen, Familienangehörige.

Diese Schattenrolle wird oft unterschätzt. Dabei kann sich daraus, wie im Fall von Heiner Bäther, auch durchaus eine prominentere entwickeln: Im September tritt Bäther für die Linkspartei im Rhein-Kreis Neuss als Direktkandidat für die Bundestagswahl an. Für einen eigenen Fahrer wird es dann zwar nicht reichen — aber damit hat Bäther ja ohnehin selbst genug Erfahrung.

Hier finden Sie weitere News zur Wahl in NRW.

(kess)
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