NRW-Innenminister in der Kritik Vom Jäger zum Gejagten

Düsseldorf · Der Kölner Silvester-Skandal ist die schwerste innenpolitische Krise der aktuellen Landesregierung. Trotz hinlänglicher Rücktrittsgründe wird Jäger die Krise aber wohl überstehen. Auch, weil Rot-Grün keine Alternative hat.

Ralf Jäger (SPD) - Innenminister von Nordrhein-Westfalen
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Das ist Ralf Jäger

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Keine Verstärkung angefordert, desolate Einsatz-Koordination und dann auch noch die Öffentlichkeit falsch informiert. Wegen der Silvester-Exzesse in Köln, bei denen überwiegend ausländische Täter offenbar Hunderte Frauen sexuell belästigt und bestohlen haben, lässt NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) kein gutes Haar an seiner Polizei: "Das Bild, das die Kölner Polizei in der Silvesternacht abgegeben hat, ist nicht akzeptabel", so Jäger.

Schonungslos spricht der oberste Polizeichef des Landes von "gravierenden Fehlern" in der Kölner Mammut-Behörde, sogar vom "Vertrauensverlust der Bevölkerung in den Rechtsstaat" und fordert ein hartes Vorgehen gegen die Täter. Aber was ist mit ihm selbst? Wird Jäger die schwerste innenpolitische Krise der aktuellen Landesregierung überleben? Ist ein Minister, der seiner mit Abstand größten Polizeibehörde so schweres Versagen attestiert, denn selbst noch zu retten?

Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Ja. Wahrscheinlich wird Jäger die Köln-Krise, obschon sie gerade zu seiner eigenen wird, politisch überleben. Wenn ihm nicht noch eine persönliche Verstrickung nachgewiesen werden kann. Wenn er zum Beispiel selbst auf die bis zur Lüge verharmlosende Presseerklärung des Kölner Polizeipräsidiums vom Neujahrsmorgen hingewirkt hätte. Oder falls er frühe Warnungen von Nachrichtendiensten ignoriert haben sollte. Aber darauf deutet nichts hin.

Also drohen Jäger wahrscheinlich nur noch ein paar unangenehme Tage voller kritischer Fragen von Journalisten und der Opposition. Er wird sie konsequent mit dem Verweis auf Fehler der ihm untergeordneten Behörden beantworten, stets mit betont selbstkritischer Geste. Obwohl ja gerade der permanente Verweis auf die Fehler anderer eben keine Selbstkritik ist. Als krisenerprobter Minister wird Jäger dann 2017 an der Seite von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) in den Landtagswahlkampf ziehen - und vielleicht sogar eines Tages ihr Nachfolger.

Angriffe auf Ausländer in der Kölner Innenstadt
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Angriffe auf Ausländer in Köln

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Foto: dpa, mjh hpl

Trotzdem ist der Fall Köln alles andere als landespolitische Routine. Im Gegenteil: Auch wenn absehbar ist, dass Jäger den Kölner Polizeiskandal übersteht, sind die Bürger in NRW in diesem Fall trotzdem Augenzeugen eines kleinen politischen Wunders.

Denn natürlich reicht ein solches Debakel, das nach Jägers eigenen Worten das Vertrauen in die Polizei zerstört hat, für den Rücktritt eines Ministers aus. Denn Jägers Behauptung, er habe keinen Einfluss auf das operative Versagen seiner Kölner Behörde gehabt, ist doppelt falsch. Erstens, weil es bei Politikern fast nie um operative Verantwortung geht - ihre Verantwortung ist im Wesentlichen stets nur politisch. Politische Verantwortung übernehmen heißt, bei gravierenden Schieflagen im eigenen Verantwortungsbereich auch dann zurückzutreten, wenn man nicht persönlichen involviert war. Das zerstörte Vertrauen in den Polizeiapparat ist eine gravierende Schieflage.

Zweitens: Jäger hat sehr wohl auch mindestens einen operativen Fehler gemacht. Dass Wolfgang Albers der Führung des 5000-Mann-Präsidiums in Köln nicht gewachsen ist, war auch vor Silvester schon klar. Im August 2014 erklärte das Kölner Präsidium unter der Aufsicht von Albers den Einsatz eines Polizeihubschraubers für ein privates Abschiedsfoto auf der Kölner Severinsbrücke gegenüber der Stadt Köln und der Presse als "Höhenübung". Das mit dem Foto: keine große Sache. Aber darf die Polizei lügen? Im Oktober 2014 unterschätzte Albers dann eine angemeldete Demonstration gewaltbereiter Hooligans in der Kölner Innenstadt. Ergebnis: Die völlig unterbesetzten Polizisten mussten zusehen, wie Chaoten ihre Einsatzfahrzeuge umwarfen und 59 Kollegen verletzten. Im vergangenen Sommer wurden schließlich die entwürdigenden Aufnahmerituale eines Kölner Sondereinsatzkommandos bekannt. Auch da machte Albers eine so schlechte Figur, dass die Opposition seinen Rücktritt forderte. Jäger belächelte den Ruf nach einem neuen Polizeipräsidenten damals noch und hielt an seinem Parteifreund fest. Das war ein operativer Fehler.

Wenn Jäger das Kölner Debakel trotz alledem politisch überlebt, liegt das weder an seinem Geschick noch an mangelnden Rücktrittsgründen, sondern einzig an zwei für ihn glücklichen Zufällen. Der erste: Hannelore Kraft hat keine Alternative. Neben Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD), der mit seinen CD-Ankäufen nachweislich für mehr Steuerehrlichkeit gesorgt hat, ist Jäger der einzige SPD-Minister in NRW, der im nächsten Landtagswahlkampf Erfolge verkaufen kann. Obwohl NRW überproportional mehr Flüchtlinge aufnimmt als alle anderen Bundesländer, werden sie hier überdurchschnittlich gut versorgt. Inoffiziell räumt selbst die Opposition ein, dass Jäger den Flüchtlingszustrom bislang gut organisiert. Auch mit dem "Kommunal-Soli", bei dem starke Kommunen ihren verarmten Nachbargemeinden finanziell unter die Arme greifen müssen, hat Jäger gepunktet. Zwar ist das Instrument umstritten, weil es sparsame Kommunen bestraft und verschwenderische belohnt. Aber rein handwerklich betrachtet hat Jäger eine neue Säule der Kommunalfinanzierung erfunden und aufgebaut. Jägers Kommunal-Soli ist für die NRW-Regierung das, was die Riester-Rente 2002 für die Bundesregierung war.

Neben seiner Unverzichtbarkeit für das Kabinett profitiert Jäger aber auch von der Schwäche der Opposition. Weil die vier innenpolitischen Hauptakteure der CDU-Fraktion sich in internen Rivalitäten verzetteln, hat die CDU keine Kraft für den Aufbau eines starken Gegenspielers. Und Fraktionschef Armin Laschet meldet sich nur zögerlich mit ein paar Phrasen vom Spielfeldrand.

Beim Thema "Silvesternacht Köln" scheint die Opposition eine Chance zu verpassen. Wieder einmal.

(RP)
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