Sylvia Löhrmann Die beschädigte Ministerin

Düsseldorf · Sylvia Löhrmann war der Inbegriff der abwägenden Pragmatikerin. Mit ihrem hastigen G 8-Vorstoß hat sie Vertrauen zerstört. Die neue Devise hieß: Flucht nach vorn.

 Unter Druck: Sylvia Löhrmann.

Unter Druck: Sylvia Löhrmann.

Foto: dpa, ve axs

Wie lange Sylvia Löhrmann noch NRW-Schulministerin ist, weiß niemand. Dass aber der 14. September 2016 einmal als Zäsur ihrer Amtszeit gelten wird, davon darf man ausgehen. Da nämlich trat Löhrmann mit einem Vorschlag zur Flexibilisierung der Schulzeit an, um in der Debatte um das achtjährige Gymnasium (G 8) in die Offensive zu kommen. Es war eine inhaltliche Wende und ein Strategiewechsel.

Löhrmann ist freilich eher unter die Räder gekommen als in die Offensive. Wenn die nordrhein-westfälischen Grünen sie am Wochenende in Oberhausen als Spitzenkandidatin für die Landtagswahl aufstellen, dann wählen sie eine beschädigte Schulministerin.

Die Zäsur ist tief. Vorher war Sylvia Löhrmann eine, die abwägte bis an die Grenze des Erträglichen. Von ihr eine klare Aussage zur Zukunft des G 8 in NRW zu erhalten, war praktisch aussichtslos. Löhrmann mühte sich stets, alle Beteiligten anzuhören, um dann zu entscheiden - und auch das sollte dann möglichst nicht als Festlegung erscheinen. Diese Strategie, gepaart mit viel Pragmatismus, führte Löhrmann im Sommer 2011 zu ihrem größten Triumph: zum Schulkonsens von SPD, Grünen und CDU. Damals setzte sie die Sekundarschule als neue Schulform des längeren gemeinsamen Lernens durch; im Gegenzug wurde das gegliederte Schulsystem in der Landesverfassung garantiert.

Löhrmanns Bilanz war schon vor dem G 8-Vorstoß nicht makellos; das ist jedoch für eine Ministerin, die das Pulverfass Schulpolitik verwaltet, auch schlecht möglich. Eltern und Lehrer sind frustriert über die Umsetzung der Inklusion, überall fehlen Sonderpädagogen, aber es gibt auch keine Vorbilder für dieses Jahrhundertprojekt. Im ewigen Streit um den Unterrichtsausfall machte Löhrmann keine gute Figur, weil sie sich lange einer aussagekräftigeren Erhebungsmethode verweigerte. Das war aber eher parteipolitischer Förmchenkrieg als eine Auseinandersetzung, die an die ministerielle Substanz ging. Insgesamt war Löhrmann eindeutig ein Aktivposten im rot-grünen Kabinett.

Ihre Kompetenz stellen nur die radikalsten Gegner infrage. "Die fängste nich hinterm ersten Busch", heißt es anerkennend aus der Opposition. Soll heißen: Die ist schwer zu stellen. Und bei den schulpolitischen Verbänden, auch den konservativen, empfindet man Löhrmann trotz einer gewissen Sprödigkeit im Umgang bis heute als Wohltat gegenüber ihrer CDU-Vorgängerin Barbara Sommer.

Und dann das. Am 14. September schob die Parteipolitikerin Löhrmann die Ministerin Löhrmann beiseite, die stets mantrahaft auf die G 8-Reformen des runden Tischs verwiesen hatte. Offenbar wollte sie dem zwei Tage später offiziell vorgestellten Konzept der SPD zuvorkommen. Es will die Sekundarstufe I wieder auf sechs Jahre verlängern; dann können Schüler ein "Orientierungsjahr" einfügen, um in neun Jahren zum Abi zu kommen. Grundsätzlich aber soll G 8 bleiben. Der Vorstoß ist heute Thema auf dem SPD-Parteitag in Bochum.

Löhrmanns Anspruch war es, die Debatte um acht oder neun Jahre zu überwinden. Der Eindruck war aber: Sie argumentiert an der Debatte vorbei, weil ihre Vorschläge auf einen Komplettumbau hinauslaufen, nicht eine in zwei, drei Jahren umzusetzende Reform. Eine Woche lang herrschte öffentliche Ratlosigkeit, bis Löhrmann präzisierte: Denkbar seien nicht nur individuelle Lernzeiten, sondern auch ein zweigleisiges System mit schnellen und langsamen Strängen. Das klang mehr nach SPD, weniger nach Revolution, konterkarierte aber auch Löhrmanns Beteuerung, es gehe nicht um eine Strukturreform. Das mitgelieferte Versprechen, die Gymnasien könnten bis 2018 in Ruhe arbeiten, klingt fast wie ein schlechter Witz. Schon heute fühlen sich die Gymnasien als studienvorbereitende Schule von Löhrmann nicht angemessen verstanden.

"Das war der erste große Fehler ihrer Amtszeit", sagt einer, der die Arbeit der Ministerin gut kennt. Löhrmann hatte sich öffentlich zu lange an den runden Tisch geklammert, um sich in der plötzlich sehr flüssig gewordenen politischen Debatte noch fundiert positionieren zu können - ein eigentlich simples strategisches Versäumnis.

Die neue Devise hieß: Flucht nach vorn. Man habe offenbar einen grünen Nerv getroffen, heißt es in der Partei; die Flexi-Schule mobilisiere Anhänger. Doch der Preis ist hoch: erstens ist der runde Tisch entwertet. Zweitens waren sofort konservative Klischees hervorgekramt, bei den Grünen dürfe wohl jedes Kind machen, was es wolle. Und sofort stand das hässliche Wort der Einheitsschule im Raum, angeblich seit jeher das Ziel linker Pädagogik. Die bürgerlich-katholische Löhrmann, solcher Umsturzpläne eigentlich unverdächtig, weist beides zurück.

Dennoch hat sie der alten Sorge Nahrung gegeben, bei den Grünen siege eben doch regelmäßig Ideologie über Pragmatismus, besonders vor Wahlen. Und die entscheiden schließlich darüber, wie lange Sylvia Löhrmann noch Ministerin ist.

(fvo)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort