Sven Lehmann im Interview "Belgische Reaktoren sind tickende Zeitbomben"

Düsseldorf · Sven Lehmann, Grünen-Vorsitzender in NRW, sprach mit unserer Redaktion über Flüchtlinge, belgische Atomkraftwerke, die AfD und Body-Cams für Polizisten. Auch zum geplanten Ausstieg aus der Braunkohle-Förderung bezog Lehmann Stellung.

 Sven Lehmann und Mona Neubaur führen die Grünen in NRW.

Sven Lehmann und Mona Neubaur führen die Grünen in NRW.

Foto: dpa, obe nic

Herr Lehmann, auch die Grünen waren mal eine Protestpartei. Lassen Sie den Vergleich mit der AfD gelten?

Lehmann Ich höre gelegentlich solche Vergleiche, weise sie aber strikt zurück. Die Grünen standen immer auf dem Boden des Grundgesetzes, was man von der von der AfD nicht sagen kann. Diese Partei ist im Kern menschenfeindlich und in Teilen gemeingefährlich.

Wieso gemeingefährlich?

Lehmann Sowohl AfD-Landeschef Marcus Pretzell als auch die Bundesvorsitzende Frauke Petry haben gefordert, an den Grenzen mit Waffen auf Flüchtlinge zu schießen. Das ist widerlich. Auch deswegen finde ich es richtig, dass die AfD vom Verfassungsschutz unter die Lupe genommen wird.

Was bedeutet das für den Umgang anderer Parteien mit der AfD?

Lehmann Wir haben immer gesagt, wir konfrontieren die AfD mit ihren rassistischen und menschenfeindlichen Positionen. Bei Diskussionen wollen wir ihnen nicht die Bühne überlassen. Sie reden zum Teil als Biedermänner, sind aber Brandstifter. Das muss man entlarven. Wir werden dem nicht ausweichen.

Weicht Frau Kraft aus?

Lehmann Ich kann verstehen, dass sie nicht gern mit Rassisten diskutieren möchte. Jede Partei entscheidet das aber für sich. Wir Grüne haben von Anfang an auf Konfrontation mit der AfD gesetzt.

NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) rechnet damit, dass in diesem Jahr wieder wie 2015 rund 250.000 Flüchtlinge nach NRW kommen. Ist das noch zu schaffen?

Lehmann Ja, davon bin ich überzeugt. Grüne sind die Partei der Zuversicht. Wir setzen dabei auf den Staat und die große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung. Das bringt mehr als Debatten um Obergrenzen und Abschreckung. Im Übrigen ist der Bund in der Pflicht, für schnellere Asylverfahren zu sorgen. Auch bei der Integration der Flüchtlinge herrscht da bisher Fehlanzeige. Das ist geradezu Arbeitsverweigerung der Bundesregierung.

Die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlingsheime hat sich im letzten Jahr verachtfacht …

Lehmann Das bereitet uns sehr große Sorgen. So etwas muss hart verfolgt und bestraft werden.

Können Sie sich vorstellen, größere Unterkünfte zum Schutz der Flüchtlinge mit Videokameras zu überwachen?

Lehmann Ich hoffe, dass das nicht nötig sein wird. Ich setze auf eine starke Präsenz von Sicherheitskräften und Polizei vor den Flüchtlingsheimen.

Warum tun sich die Grünen so schwer mit Video-Überwachung?

Lehmann Videobeobachtung ist ein Eingriff in die Privatsphäre, außerdem bietet sie häufig nur eine Scheinsicherheit. Sie ist nur dann sinnvoll, wenn Polizisten hinter den Bildschirmen sitzen und ihre Kollegen schneller an den Einsatzort lotsen können. Diese Möglichkeit gibt es ja schon. Bei allem Bedürfnis nach Sicherheit müssen auch immer Bürgerrechte gewahrt bleiben.

Deshalb sind Sie auch gegen polizeiliche Body-Cams?

Lehmann Dazu laufen gerade Pilotversuche in anderen Ländern, die wir auswerten werden. Die rechtliche Grundfrage ist: Was wird damit bezweckt? Geht es um den Schutz der Polizei oder der Bürger? In den USA nämlich sollen die Bürger mit Bodycams vor Übergriffen der Polizei geschützt werden.

Ist das nicht völlig weltfremd? Hier in NRW gibt es in letzter Zeit immer häufiger Angriffe von Zivilisten auf Polizisten…

Lehmann Richtig. Im Gegensatz zu den USA, wo es es rassistisch motivierte Übergriffe von Polizisten auf Bürger gab, sollen Bodycams hier zur Abschreckung von Gewalt gegen Polizeibeamte dienen. Dazu gibt es bisher jedoch keine wissenschaftlich haltbaren Belege.

NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) hält sich ausdrücklich offen, auch Polizisten mit Body-Cams auszustatten.

Lehmann Wir machen keinen Schnellschuss.

Ein anderes Thema: Für wie gefährlich halten Sie die belgischen Reaktoren?

Lehmann Das sind tickende Zeitbomben. Wir können das nicht länger hinnehmen. Die Grünen haben schon vor Jahren, als Rissbildungen an den Druckbehältern bekannt wurden, die sofortige Abschaltung der Schrottreaktoren in Tihange und Doel gefordert. Ich finde es gut, dass die Bundesumweltministerin, die anfangs viel zu zögerlich war, jetzt endlich aktiv wird. Aber letztlich ist das eine europäische Angelegenheit. Die EU muss hier einschreiten. Strahlung kennt keine Grenzen.

Wann ist in NRW Schluss mit der Braunkohle-Förderung? Bundesministerin Barbara Hendricks (SPD) ist für einen forcierten Ausstieg.

Lehmann Nach der Weltklimakonferenz von Paris sollten wir schnell, aber sozialverträglich aussteigen. Hier stehen wir Grüne der Bundesumweltministerin näher als der NRW-SPD.

Das heißt Ausstieg 2035?

Lehmann Es geht bei dieser Frage nicht um ein Jahr mehr oder weniger. Es geht darum, den Kohle-Ausstieg und damit die Energiewende beherzt voranzutreiben. Für uns ist und bleibt das ein Kernanliegen grüner Landespolitik.

(hüw)
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