Dschihadist droht Kanzlerin Bergisches Land Hochburg der Salafisten

Solingen/Berlin · In einem Internetvideo spricht Konvertit Michael N. massive Drohungen gegen Angela Merkel aus. Die Terrorbekämpfer haben ein Täterprofil der Dschihadisten erarbeitet: Die meisten wurden in der Schule gemobbt, waren Außenseiter.

Razzia gegen Solinger Salafisten im Juni 2012
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Weltweite Aufmerksamkeit haben drei Konvertiten aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien mit einem Drohvideo des terroristischen "Islamischen Staates" (IS) gegen die Regierungschefs ihrer Heimatländer ausgelöst. Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte der Islamist mit dem Kampfnamen Abu Dawud Al-Amani (der Deutsche) "schmutzig" und rief alle Muslime in Deutschland, Österreich und der Schweiz zur Unterstützung im Kampf für das Kalifat auf. Abu Dawud hieß früher Michael N. und machte über Stationen in Gladbeck und Solingen eine zweifelhafte Karriere.

Erstmals fiel N., der zehn Monate in Gladbeck gelebt hat, den Sicherheitsbehörden auf, als er eine Initiative anführte, die unter dem Namen An-Nussrah Spenden für die Islamisten in Syrien sammelte. Wie das Bundesamt für Verfassungsschutz gestern Abend bestätigte, trat N. Anfang 2012 als Prediger in der Solinger Moschee-Gemeinde Millatu Ibrahim auf. Seine im Internet verbreiteten Hasspredigten seien Teil der Begründungen für das nachfolgende Verbot von Millatu Ibrahim gewesen. Seinerzeit habe er sich auch gegen die Kanzlerin geäußert, sie aber nicht bedroht.

 Bei Youtube kursieren zahlreiche Propaganda-Videos des Dschihadisten "Abu Dawud".

Bei Youtube kursieren zahlreiche Propaganda-Videos des Dschihadisten "Abu Dawud".

Foto: Screenshot/ Youtube

N.'s Neigung zur Gewalttätigkeit wurde aktenkundig am 1. Mai 2012, als er im Zusammenhang mit Protesten gegen die Mohammed-Karikaturen in Solingen in Erscheinung trat. Das Amtsgericht erließ gegen ihn einen Untersuchungshaftbefehl wegen Widerstands und gemeinschaftlicher Körperverletzung. Nach den Aufzeichnungen der Verfassungsschützer reiste N. am 26. Juli 2012 mit Frau und Kindern nach Ägypten. Wie aus Sicherheitskreisen weiter zu erfahren war, soll er sich anschließend kurz in Libyen aufgehalten und sich dann in Syrien dem IS angeschlossen haben. Beim Generalbundesanwalt läuft deshalb längst ein Ermittlungsverfahren gegen ihn. Er würde also umgehend verhaftet, wenn Behörden seine Wiedereinreise nach Deutschland feststellen würden.

1. Mai 2012 in Solingen: Salafisten attackieren Polizei
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1. Mai 2012 in Solingen: Salafisten attackieren Polizei

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Foto: Kempner, Martin

Auf dem Video ist Abu Dawud mit Gewehr und langem roten Bart zu sehen. Er spricht Deutsch; die Sätze werden mit englischen und arabischen Untertiteln begleitet. Nach Einschätzung des Verfassungsschutzes reiht sich das aktuelle Video ein in die Serie der früheren deutschsprachigen Propaganda-Filme des "Islamischen Staates". Wie aus Sicherheitskreisen zu erfahren war, verweist eine interne Gefährdungsbewertung des Bundeskriminalamtes darauf, dass Merkel zwar direkt benannt werde, aber innerhalb eines Vergleichs mit US-Präsident Barack Obama. Eine konkrete Bedrohung der Kanzlerin lesen die Analysten daher nicht aus den Sätzen heraus. Die Politik in Berlin nimmt die Botschaft des "Islamischen Staates" gegen Länder, die den Kampf gegen ihn direkt oder indirekt unterstützen, gleichwohl sehr ernst. Angesichts des Aufrufes von Abu Dawud an alle deutschsprachigen Muslime, sich dem Kampf für den IS anzuschließen, rief SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann dazu auf, "mit aller Härte" gegen Versuche dieser Szene vorzugehen, in Deutschland weiter Nachwuchs zu rekrutieren.

Der NRW-Verfassungsschutz hat für Dschihadisten wie Michael N. eine Art Täterprofil erstellt. Demnach begünstigen fünf Faktoren ein Abrutschen in den radikalen Islamismus: persönliche Kränkung, Enttäuschung, Lebenskrise, fehlende Orientierung und kein Halt im Leben. Bei den jungen Männern aus Deutschland, die konvertieren und sich radikalisieren, handelt es sich in der Regel um Personen, die in der Schule oder der Ausbildung gescheitert sind. Oftmals wurden sie von Klassenkameraden gehänselt und gemobbt. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der Solinger Konvertit Robert B., der nach Angaben der Terrormiliz IS im Nordirak bei einem Selbstmordattentat ums Leben gekommen ist.

Isis/IS - Islamischer Staat im Irak und Syrien
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Foto: dpa, sdt moa

Seine Mutter sagte über ihren Sohn, nachdem dieser sich den Islamisten angeschlossen hatte, dass er ein Außenseiter war, der die Schule nach der neunten Klasse abbrach, dann zur Bundeswehr ging, um Panzer zu fahren. Doch beim Bund kam er auch nicht zurecht mit seinen Kollegen und driftete schließlich in den Salafismus ab. "Das ist ein exemplarischer Werdegang eines deutschen Dschihadisten", sagt ein Terrorermittler. "Diese Profile weisen oft ähnliche Merkmale wie die eines jungen Amokläufers auf, der in der Schule plötzlich auf seine Mitschüler und Lehrer schießt", erklärt er.

Laut Innenministerium sind die für den Salafismus anfälligen Personen zwischen 15 und 30 Jahre alt. Sie sind in der Regel vorher nie mit Recht und Gesetz in Konflikt geraten und sind deshalb auch nicht in irgendwelchen Datenbanken der Polizei erfasst. Die Sicherheitsbehörden haben eine interessante Beobachtung gemacht: Die Entscheidung, ein radikaler Salafist zu werden, hängt auch von der Region ab, aus der man kommt und in der man aufgewachsen ist. "Das beobachten wir", sagt eine Sprecherin von Innenminister Ralf Jäger (SPD). "Es gibt Gegenden in NRW, da gibt es besonders viele Salafisten und Gegenden, wo es gar keine gibt." Zu den Hochburgen in NRW gehören Solingen und Teile des Bergischen Landes, der Ortsteil Lohberg in Dinslaken sowie Bonn - und zunehmend auch Düsseldorf.

(may-)
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