Flüchtlingsskandal Kraft gesteht Fehler ein — Jäger unter Druck

Düsseldorf · Nach den Übergriffen gegen Flüchtlinge in Notunterkünften hat die Opposition im Landtag schwere Vorwürfe gegen Innenminister Ralf Jäger gerichtet. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gestand Fehler ein. Ihre Regierung trage die politische Verantwortung.

NRW-Landtag: Opposition attackiert Innenminister Ralf Jäger
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"Angesichts dieses Flüchtlingszustroms sind wir nicht in der Lage gewesen, offensichtlich, die Qualitätsstandards, die vorgegeben sind, einzuhalten", sagte die Regierungschefin am Donnerstag im Düsseldorfer Landtag.

"Und wir haben auch angesichts dieses Drucks die Kontrollen nicht ausreichend durchgeführt. Das werden wir umgehend ändern". Die Regierung trage dafür die politische Verantwortung.

Scharfe Kritik kam von der Opposition. Das Land sei seiner Verantwortung für diese Menschen nicht gerecht geworden, sagte CDU-Oppositionschef Armin Laschet. Die Bilder von den Misshandlungen seien "eine Schande für das Land".

Jäger habe anfangs sogar bestritten, dass es Versäumnisse gegeben habe und die Übergriffe mit kriminellen Machenschaften zu erklären versucht. "Sie haben mit Sicherheitsdiensten kooperiert, die Kriminelle eingestellt haben", hielt Laschet dem Minister vor.

Laschet macht den Anfang

Die eingehende Überprüfung der Ordnungskräfte in den Unterkünften, die jetzt vereinbart worden sei, hätte längst erfolgen müssen. "Sie gucken nicht danach, was in Flüchtlingsheimen los ist", sagte Laschet.

Etliche Kommunen hätten schon vor Monaten vor der sich zuspitzenden Lage in den Heimen gewarnt. Jäger habe jedoch alle Mahnungen in den Wind geschlagen. "Bedauern ersetzt nicht politische Verantwortung", sagte der CDU-Vorsitzende und stellte die rhetorische Frage, ob Jäger zurücktreten müsse. In Deutschland seien schon zahlreiche Innenminister für Vorgänge zurückgetreten, die sie nicht direkt zu verantworten hatten.

Dabei erinnerte Laschet an Jägers eigene Vergangenheit, als er unter dem Spitznamen "Jäger 90" Mitglieder der damaligen schwarz-gelben Landesregierung immer wieder mit Rücktrittsforderungen eindeckte.

Die Aggressivität früherer Jahre kehrte Laschet nun um - und richtete sie gegen den Minister selbst: "Der Jäger-Stil ist nicht unser Stil. Aber wenn der Maßstab Jäger hieße, säße er nicht mehr da", sagte Laschet auf den Minister zeigend.

"Blendgranaten"

FDP-Chef Christian Lindner geht mit Jäger weniger perfide, aber dafür umso deutlicher ins Gericht. "Wenn Sie noch einen Funken Ehre im Leib haben, dann stellen Sie Ihr Amt zur Verfügung", rief er dem Minister zu und griff auch Ministerpräsidentin Hannelore Kraft direkt an: "Die soziale Fassade der Hannelore Kraft - sie ist umgefallen."

Joachim Stamp (FDP) bezeichnete die Übergriffe gegen die Flüchtlinge als ekelhaft und beschämend. Jäger weise jedoch die politische Verantwortung dafür zurück. Bei kriminellen Machenschaften versage die beste Kontrolle, behaupte der Minister. "Welche Kontrolle?" fragte Stamp. Er warf Jäger vor, mehrfach gewarnt worden zu sein, "aber Sie haben nicht gehandelt". Statt dessen versuche er, mit "Blendgranaten" von eigenem Versagen abzulenken.

Stamp nahm auch die für Flüchtlingsfragen zuständige Bezirksregierung Arnsberg ins Visier. Es sei ungeheuerlich, wenn Regierungspräsident Gerd Bollermann (SPD) trotz der Bilder zu den Übergriffen behaupte, seine Behörde sei nicht überlastet. "

"Jetzt fällt ihr Kartenhaus zusammen"

Was Sie aus dem Effeff können, ist, sich PR-mäßig in Szene zu setzen", bescheinigte der Vorsitzende der Piratenfraktion, Joachim Paul, dem Minister. Jäger habe sein Haus nicht im Griff: "Sie hätten sich lieber um einen Blitzmarathon bei den privaten Sicherheitsleuten kümmern sollen. Jetzt fällt ihr Kartenhaus zusammen." Paul sprach von Systemfehlern, für die Jäger die Verantwortung trage.

Zu Beginn der Debatte hatte Jäger noch einmal betonte, dass lückenlose Aufklärung vonnöten sei. Damit sei unmittelbar nach Bekanntwerden der Misshandlungen begonnen worden. Das Thema werde nicht totgeschwiegen. Die Bezirksregierung Arnsberg habe umgehend gehandelt und sich von dem beschuldigten Sicherheitsunternehmen getrennt. Außerdem sei dort das Personal aufgestockt worden.

Jäger räumt Fehler ein

Es sei ein Fehler gewesen, die Einhaltung der Standards in den Flüchtlingsunterkünften nicht gründlich genug überprüft zu haben, gab Jäger zu. Das dürfe nicht wieder passieren. In diesem Jahr rechne er mit 40.000 Flüchtlingen. Das sei eine große Herausforderung."Wir nehmen die Herausforderung an", betonte der Minister. "Wir stehen für eine Willkommensgesellschaft". Nordrhein-Westfalen sei ein Land, das diese Menschen willkommen heiße.

Jäger widersprach der Behauptung, das Land erstatte den Kommunen lediglich 20 Prozent der Kosten für die Unterbringung der Asyllbewerber. Einige Städte bekämen sogar mehr als 100 Prozent. Jäger begrüßte es, dass Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) einen Runden Tisch zur Flüchtlingsproblematik angeregt hat.

Kraft betonte, sie habe sich früh zu den Vorgängen in den Heimen geäußert. Sie bekräftigte, dass sie fassungslos sei und sich für die Übergriffe schäme. "Selbstverständlich" trage die Landesregierung dafür die politische Verantwortung.

Grüne werfen Laschet Unredlichkeit vor

Der SPD-Politiker Hans-Willi Körfges räumte ebenfalls selbstkritisch ein, dass "wir zu arglos und zu unkritisch" gewesen seien. Die Betreuungssituation sei "etwas aus dem Blickfeld geraten". Man habe nicht genau geprüft, mit welchen Sicherheitsdiensten die Heimbetreiber zusammengearbeitet hätten. Der Regierung könne man jetzt aber nicht Unentschlossenheit oder Verharmlosung vorhalten. Der CDU warf er vor, sich in "Tabu brechender Weise" mit der "Alternative für Deutschland" eingelassen zu haben. Das schade auch der Flüchtlingspolitik in NRW.

Auch Monika Düker (Grüne) bezeichnete es als "Fehleinschätzung", dass die Einhaltung der Standards nicht hinreichend überprüft worden sei. "Offenbar kann man in diesem Land leichter einen Sicherheitsdienst aufmachen als eine Pommesbude." Zudem gehöre das gesamte System der Erstaufnahme auf den Prüfstand. Allerdings sei es verfehlt, von "Flüchtlingsströmen" zu reden: "Es kommen Menschen."

Der CDU warf sie vor, sich nach außen hin für die Asylsuchenden einzusetzen, während die Bürgermeister vor Ort versuchten, neue Flüchtlingsunterkünfte zu verhindern. "Bleiben Sie redlich", rief sie Laschet zu. Für ihre Bemerkung, der CDU-Politiker habe "verlogenes Zeug von sich gegeben", wurde sie von Landtagsvizepräsident Oliver Keymis (Grüne) ermahnt: Dieser Sprachgebrauch sei unparlamentarisch.

(hüw)
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