Innenminister Ralf Jäger Im Angriffsmodus

Duisburg/Düsseldorf · NRW-Innenminister Ralf Jäger steht angesichts der Terrorgefahr im Fokus wie nie zuvor. Bei der Innenministerkonferenz der Länder in Koblenz am Donnerstag und Freitag muss er punkten.

 So sieht sich NRW-Innenminister Ralf Jäger(SPD) gerne: Inmitten junger Polizisten zeigt der 54-Jährige, wo es langgehen soll.

So sieht sich NRW-Innenminister Ralf Jäger(SPD) gerne: Inmitten junger Polizisten zeigt der 54-Jährige, wo es langgehen soll.

Foto: dpa

Der Nachmittag des 24. Juli 2010, jener Tag, an dessen Ende eine der schlimmsten deutschen Nachkriegskatastrophen stehen sollte, fing für den neuen Landesinnenminister harmlos an. Im VIP-Bereich des Loveparade-Geländes schüttelte der gebürtige Duisburger Ralf Jäger (SPD) Hände, man gratulierte ihm zum neuen Amt.

Um 16.47 Uhr filmte ihn eine Fernsehkamera, wie er mit dem Duisburger Vizepolizeipräsidenten beisammensteht. Beide ahnten nicht, dass ganz in ihrer Nähe schon die ersten Menschen starben. Jäger brach zur Geburtstagsfeier eines seiner drei Kinder auf. Von der tödlichen Massenpanik erfuhr er erst später.

Am Abend, die Lage war noch völlig unübersichtlich, kehrte er zurück. Vor den Kameras erklärte er, die Polizei habe alles richtig gemacht. Plötzlich stand der gelernte Groß- und Einzelhandelskaufmann mit abgebrochenem Pädagogikstudium aus dem Arbeiterviertel Meiderich im bundesweiten Rampenlicht. Kaum im Amt, wurde er zum Krisenmanager in seiner Heimatstadt.

Bis heute werfen ihm Kritiker vor, sich zu schnell vor seine Beamten gestellt zu haben. Dieses Risiko hätte Jäger auch das Amt kosten können. Er hatte Glück. Unter den von der Staatsanwaltschaft beschuldigten Personen befindet sich kein Polizist. Aber die Polizei dankt ihm diesen Auftritt bis heute. Parteifreunde beschreiben Jäger als Macher. Als einen, der anpackt. Als einen, der aber oft auch zu viel will. Andere beklagen sich, Jäger sei ein PR-Minister, der viele medienwirksame Aktionen wie den Blitz-Marathon initiiert, aber mit all den schönen Schlagworten nur von der traurigen Wirklichkeit ablenken will.

Beides ist nur halb wahr. Kein Minister hat in seinem Amt mehr Chancen, Profil zu gewinnen: Flüchtlinge, Einbruchsschutz, Kriminalitätsbekämpfung, Terrorabwehr, Kommunalfinanzen. Damit hat aber auch keiner mehr Feinde.

Beispiel Flüchtlinge: Seit geraumer Zeit ist NRW das Ziel einer Völkerwanderung. Der wöchentliche Zustrom Tausender Flüchtlinge überfordert die Kommunen. Obwohl das Land die Hilfen für die Kommunen kräftig aufgestockt hat, ist der Jammer der 396 Bürgermeister und Landräte in NRW bei diesem Thema chronisch: Sie wollen noch mehr Geld. Ob er Schuld trägt oder nicht - als Kommunalminister ist Jäger ihre Zielscheibe. Andererseits sind sie ihm dankbar: In NRW muss kein Flüchtling in einer Zeltstadt schlafen. "Logistisch hat er das im Vergleich zu anderen Bundesländern ganz gut im Griff", muss selbst ein CDU-Abgeordneter einräumen. Sein Vorwurf: "Aber politisch nicht. Als Innenminister des größten deutschen Bundeslandes müsste er ein Gegenkonzept zur Flüchtlingspolitik der Bundesregierung formulieren." Müsste er. Aber offenbar darf er nicht: Auf Bundesebene reklamiert NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) das Thema für sich. "Dass NRW damit in Berlin nicht punktet, liegt nicht an Jäger", heißt es wenig diplomatisch bei den Grünen.

Beispiel Sicherheit: Der Kampf gegen die organisierte Kriminalität - und aus aktuellem Anlass auch gegen den Terror - ist für alle Innenminister das wichtigste Markenzeichen. Jäger setzt auf Großrazzien, Verbote und markige Worte wie "Ihre Welt besteht aus Bedrohung, Gewalt, Waffen und Selbstjustiz." Aber seine Konzepte greifen nicht. Die Rockerbanden in NRW breiten sich seit dem Beginn von Jägers Amtszeit weiter aus. Auch die Einbruchszahlen gehen nicht zurück. Ebenso hat sich die salafistische Szene im Land, die als Keimzelle für potenzielle Terroristen gilt, seit Jägers Amtsantritt mehr als verdreifacht. Obwohl er Aussteigerprogramme organisiert hat, mit dem griffigen Aktionsprogramm "Riegel vor" die Bevölkerung in der Vorbeugung von Einbrüche trainiert und immer wieder mal einen Rockerclub verbieten lässt. "Diese Kriminalitätsstrukturen sind Ausläufer internationaler Megatrends, gegen die ein Landesinnenminister gar nichts ausrichten kann", verteidigt ihn ein Parteifreund im Landtag. Also warum tut er denn dann so, als könne er?

Jäger, der Macher: Die Missstände im Kölner Polizeipräsidium, wo Spezialeinheiten Kollegen gedemütigt und einen Hubschrauber für private Abschiedsfotos missbraucht haben, waren nur wenige Tage öffentlich. Aber Jäger war bereits im Angriffsmodus. "Untragbar", ließ er verlauten, gründete Sonderkommissionen zur Untersuchung und ließ ein ganzes Sondereinsatzkommando kaltstellen. Mit dieser "Flucht-nach-vorne"-Taktik überwand er auch schon in der Burbach-Affäre seine Defensive. Dort soll in einem Heim das Sicherheitspersonal einen Flüchtling gequält haben. In beiden Fällen ging die Taktik auf. Aber in beiden Fällen wurde auch sichtbar: Wenn es eng für ihn persönlich wird, hält der sonst so stürmische Jäger sich plötzlich zurück. Schlechte Nachrichten und defensive Statements lässt er gerne von seinen Ministerialbeamten vortragen. Er selbst verkauft fast nur Erfolge und Aktionen.

Jäger, der Staatsmann: Der kritische Fragen nach dem Ausrüstungsstand der Polizei nicht beantwortet, "um die Sicherheit der Beamten nicht zu gefährden". Der routiniert die Register seines Apparates zieht, wenn er Zeit gewinnen will. Bei der von ihm versprochenen Polizeireform zum Beispiel. Anstatt einfach Aufgaben zu definieren, die zur Entlastung der unterbesetzten Polizei privatisiert werden könnten, delegiert er das Thema an eine Expertenkommission. Die kommt zwar zu keinem Ergebnis. Jäger lässt den Abschlussbericht trotzdem erst mal "auswerten". Ob die Reform in dieser Legislatur noch kommt?

Im Kabinett hat er zwar keine Gegner. Aber Neider. "Egal, wie viele Stellen der zusätzlich haben will - der kriegt immer alles durch", klagt ein Staatssekretär aus einem anderen Ressort. Soviel finanzieller Spielraum werde sonst nur noch Umweltminister Johannes Remmel zugestanden. Keine schlechte Karriere für einen, der in seiner Jugend helfen musste, die Familie nach dem frühen Tod des Vaters mit einer Eckkneipe durchzubringen. Wahrscheinlich hat er in dieser Zeit auch sein Talent zum scharfen Angriff trainiert, das ihm in seiner Zeit als Oppositionspolitiker den Spitznamen "Jäger 90" eingebracht hat: Weil er von der damals schwarz-gelben Regierung ständig irgendwelche Rücktritte einforderte.

Nur manchmal mischt sich in seine betont forschen Auftritte plötzlich eine überraschende Unsicherheit. Dann liest er Wort für Wort ab, was sein Ministerium ihm aufgeschrieben hat. Damit er nichts vergisst. Und den richtigen Ton trifft. Manchmal verstolpert er sich dabei auch und sucht über den Rand seiner Lesebrille hinweg den Blick eines Mitarbeiters.

Solche Szenen kann man als Beleg dafür nehmen, dass die Stiefel eines Ministers für den Studienabbrecher von damals vielleicht zu groß sind. Man kann darin aber auch seinen Respekt vor dem Amt sehen. Jäger gibt sich eben Mühe. Das ist nicht das Schlechteste, was man über einen Minister sagen kann.

(tor)
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