Michael Groschek Sozi alter Schule soll NRW-SPD zu neuem Glanz verhelfen

Düsseldorf · Parteichef Michael Groschek soll die nordrhein-westfälische SPD wieder aufrichten und dem größten Landesverband zu neuer Bedeutung im Bund verhelfen. Das ist nicht leicht für einen Traditionalisten wie ihn.

 "Direkt und klar": Michael Groschek.

"Direkt und klar": Michael Groschek.

Foto: Andreas Endermann

In schwierigen Situationen kommt Michael Groschek gern auf seine Kindheit zu sprechen. Dann erzählt der Parteichef der NRW-SPD davon, wie er im Ruhrgebiet in einer Oberhausener Bergarbeitersiedlung aufwuchs. Wie seine Nachbarn als 50- oder 60-Jährige mit einer Staublunge aufs Altenteil geschickt wurden und sie ihre Tage von da an am Fenster verbrachten, auf ein Kissen gestützt. Wie sie dann wenig später ganz verschwanden, eben "weg vom Fenster" waren. Und dass sich daran nichts geändert hätte ohne die Sozialdemokratie.

Das schlechteste Ergebnis

Von solchen Erzählungen braucht es zurzeit viele bei der SPD in Nordrhein-Westfalen. Nach der schweren Niederlage bei der Landtagswahl im Mai ist die Partei in ihrem Selbstverständnis so stark erschüttert wie nie zuvor. In ihrem Herzkammer-Land, das Johannes Rau einst 20 Jahre in Folge regierte, bekam die SPD nur noch 31,2 Prozent der Stimmen. Es ist das schlechteste Ergebnis in der Geschichte des Landes. Hannelore Kraft trat noch am Abend der Niederlage als Parteichefin zurück.

Ihr Nachfolger Michael Groschek soll es nun richten. Ausgerechnet einer, der als Urgestein der NRW-SPD gilt und die Wahlniederlage als Kabinettsmitglied mitzuverantworten hat, soll den Neuanfang ermöglichen. Mehr als das: Der 60-Jährige muss der Partei wieder eine Identität geben. Er muss an einer neuen Erzählung der Sozialdemokratie arbeiten, wenn die SPD in Zukunft noch eine Volkspartei sein will. Dazu muss er ihr zu neuer Bedeutung im Bund verhelfen - denn nicht erst seit der verlorenen NRW-Wahl hat der mitgliederstärkste Landesverband in Berlin an Einfluss verloren. Zumal Stephan Weil in Niedersachsen nun auch noch vorgemacht hat, wie die SPD Landtagswahlen gewinnen kann. Damit gerät die NRW-SPD im Bund noch stärker ins Hintertreffen.

Kraft selbst schweigt

Für Groschek selbst ist die Sache klar: "Der Vorsitzende der NRW-SPD spielt auch nach der Bundestagswahl in Berlin eine entscheidende Rolle", versichert der Landesparteichef im Gespräch mit unserer Redaktion. Selbstverständlich ist das heute nicht mehr. Für den über die Jahre schleichenden Bedeutungsverlust machen Parteifreunde vor allem Hannelore Kraft verantwortlich. Mit ihrer Weigerung, jemals in die Bundespolitik zu wechseln, verbannte sie die Genossen aus NRW an den Rand des Berliner Geschehens. Ein unverzeihlicher Fehler aber war es aus Sicht vieler Parteifreunde, dass Kraft sich auch im NRW-Wahlkampf bei wichtigen Themen Einmischung aus Berlin und von Spitzenkandidat Martin Schulz verbeten haben soll. Kraft selbst äußert sich dazu nicht.

In der Folge verschwand der SPD-Kanzlerkandidat in den Wochen des NRW-Wahlkampfs fast völlig von der Bildfläche. Als er wieder auftauchte, war der Schulz-Hype vorbei und eine weitere Landtagswahl für die SPD verloren. Mit der Landespartei verbindet Schulz ohnehin nicht allzu viel. Als Würselener ist er zwar Nordrhein-Westfale. Im Land hat der Europapolitiker aber nie eine Rolle gespielt. Immerhin scheint es auf der persönlichen Ebene zwischen ihm und Groschek zu stimmen: "Wir beide sind vom Typ her ähnlich: direkt und klar", sagt der Landesparteichef. Eine gemeinsame Historie haben sie aber nicht. Wenig Verständnis habe Groschek auch dafür, dass Schulz sich während des Wahlkampfs ungeschützt von einem "Spiegel"-Reporter begleiten ließ, heißt es. Feste Größen für Groschek sind in Berlin seit Längerem Achim Post, der Vorsitzende der SPD-Landesgruppe in der Bundestagsfraktion, und Noch-Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. Zudem sympathisiert Groschek mit dem Seeheimer Kreis, dem konservativen Flügel der SPD.

Die Erfahrung macht den Unterschied

Für die vor ihm liegende Aufgabe der Runderneuerung qualifiziert Groschek vor allem eines: Erfahrung. Kaum einer kennt die Landespartei so gut wie er. "Mike" ist so etwas wie das fleischgewordene Klischee des Ruhrpott-Sozis. Mit lauten Sprüchen kumpelt er sich durch die Parteigremien, sein unerschrockener Gebrauch kreativer Metaphern ist beinahe legendär: "Wir müssen aufpassen, dass wir von der herben Niederlage nicht als Trauerkloß ins Schneckenhaus verdrängt werden, sondern wir gehören in die Nachbarhäuser."

Als Scheidungskind wuchs er überwiegend bei den Großeltern auf. Das Schicksal der Mutter habe dazu beigetragen, dass er Sozialdemokrat wurde, erzählt er. Eigentlich hätte sie das Zeug fürs Lyzeum gehabt, aber sein Opa habe auf der Zeche nicht genug Geld verdient. Also durfte sie nur zur Handelsschule gehen, musste Bürokauffrau werden. Obwohl sie sehr begabt gewesen sei: Als er die Modezeichnungen gesehen habe, die sie als junge Frau malte, seien ihm fast die Tränen gekommen. "Daher weiß ich, wie wichtig gebührenfreie Bildung ist." Er selbst macht als erster in seiner Familie Abitur, studiert Wirtschafts- und Kommunikationswissenschaften.

Jemand, der den Laden gut kennt

Schon mit 15 Jahren will er den Jusos beitreten, wird abgewiesen, weil er zu jung ist - und kommt wieder. Er wird Juso-Chef in Oberhausen, Stadtrat, SPD-Bezirksvorstand, NRW-Generalsekretär, Bundestagsabgeordneter - und Bau- und Verkehrsminister in NRW. Es ist ein undankbares Ressort. Im bevölkerungsreichsten Bundesland sind die Staus länger als anderswo, beim Abrufen von Infrastrukturgeldern vom Bund macht er zeitweise keine gute Figur. CDU und FDP schlachten das im NRW-Wahlkampf aus, es wird zu einem der größten Aufregerthemen. Im Landeskabinett gerät er oft mit den Grünen überkreuz, die das Umweltressort führen. Polternd und mit offenem Visier trage er solche Auseinandersetzungen aus, heißt es über ihn. Aber nicht unfair, die Inhalte stünden an erster Stelle.

Seine Bodenständigkeit gibt manchem in der Partei zurzeit den nötigen Halt. "Wir brauchen jetzt jemanden, der den Laden hier gut kennt und weiß, wie die Partei tickt", sagt ein Mitglied der Führungsspitze. Das sehen allerdings längst nicht alle so: Gerade die Jusos halten Groscheks Wahl für das falsche Signal.

Einer Sache zu dienen, das sei für ihn wesentlicher Antrieb, sagen Vertraute über ihn. Als junger Mann verpflichtete er sich bei der Marine, diese Zeit habe ihn sehr geprägt. Tatsächlich war der in zweiter Ehe verheiratete Vater eines Sohnes und einer Adoptivtochter 2013 als Verteidigungsminister im Gespräch, bevor die CDU den Ministerposten für sich reklamierte.

Genossen in Berlin sollen standhaft bleiben

Das ist lange her. Mit ihrer Absage an eine neuerliche große Koalition in Berlin haben sich die Sozialdemokraten auf ihre Oppositionsrolle festgelegt. Groschek weiß, dass eine Neuauflage der großen Koalition die Suche der SPD nach einem neuen Profil sehr erschweren würde. In NRW räumte die Partei diese Option gleich nach der Wahl ab. Jetzt hoffe der Landesvorstand, dass die Genossen in Berlin standhaft bleiben, wenn die Jamaika-Verhandlungen scheitern.

Würde die Bundespartei wie in alten Zeiten auf den NRW-Parteichef hören, wäre zumindest in diesem Punkt klar, wofür die SPD künftig steht.

(RP)
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