Leitbild-Verschärfung gefordert Polizei in NRW muss Zähne zeigen dürfen

Düsseldorf · Die Vorstellung von einer noch robuster auftretenden Polizei bereitet vielen Bürgern Unbehagen. Aber Teile der Gesellschaft sind brutaler geworden und mit Worten kaum zu erreichen. Dafür braucht die Polizei neue Antworten. Eine Analyse.

 Polizisten am Düsseldorfer Hauptbahnhof (Symbolfoto).

Polizisten am Düsseldorfer Hauptbahnhof (Symbolfoto).

Foto: dpa, os kno

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) ist sich der Brisanz des Papieres bewusst. Persönlich will er sich deshalb erst gar nicht zu den Eckpunkten für eine neue Polizei-Leitlinie äußern, die seine Spitzenbeamten monatelang in geheimen Sitzungen erarbeitet haben. Über einen Sprecher versucht er, das Papier zu relativieren: Es handele sich "nicht um ein offizielles Papier des Ministeriums, sondern um eine Ausarbeitung auf Arbeitsebene."

Aber das Papier ist trotzdem in der Welt. Die dort vorgeschlagenen Vorgaben für ein deutlich robusteres Auftreten der NRW-Polizei inklusive schärferer Trainingseinheiten für Kampfeinsätze werden im NRW-Innenministerium bereits heiß diskutiert. Reul weiß: Das Papier spricht den meisten der rund 42.000 Polizeibeamten in NRW aus der Seele. Und es hat gute Chancen, die bisher gültige Leitlinie für Polizeieinsätze aus den frühen 1980-er Jahren abzulösen - denn es entspricht genau der neuen "Null-Toleranz-Strategie", mit der die Landesregierung Gewalttäter in ihre Schranken weisen will.

Wachsende Gewalt gegen Polizeibeamte

Die ranghohen Experten, deren Namen aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden dürfen, sehen in der wachsenden Gewalt gegen Polizeibeamte nicht weniger als eine Gefahr für das Gewaltmonopol des Staates. Sie nennen Beispiele: Ganze Streifenwagen-Besatzungen, die in der Dortmunder Nordstadt den Einschüchterungsversuchen von riesigen Schläger-Gruppen ausgesetzt sind.

Einen Streit um ein Knöllchen in Düren, bei dem ein Familienclan im November 2016 gleich zehn Polizisten zusammenschlug - einem Beamten wurde mit einem Schraubenschlüssel die Augenhöhle zertrümmert. Die brutale Attacke von 30 Vermummten auf ein Fußballspiel in Jülich nur wenige Tage zuvor. Und die nicht enden wollenden Debatten über angebliche "No-go-Areas" in Duisburg, Essen und Gelsenkirchen, von denen es - wenn auch zu Unrecht - heißt, dass die Polizei sich dort nicht einmal mehr hintraue.

Die Polizei-Strategen befürchten einen "Verlust der Autorität des Aushängeschildes des Rechtsstaats". Sie fordern mehr "körperliche Robustheit, Präsenz und Durchsetzungsfähigkeit" für die Polizei. Ebenso eine "Anpassung polizeilichen Auftretens in der Öffentlichkeit" und ein "konsequentes Einschreiten und Durchsetzen der polizeilichen Maßnahmen (...) auch bei scheinbaren Bagatellsachverhalten."

Auch optisch sollen Polizisten mehr Autorität ausstrahlen

In der Ausbildung sollen die Polizisten deshalb gezielter als bislang körperliche Gegenwehr trainieren: "Der Charakter des Dienstsports muss sich von dem Aufbau bzw. dem Erhalt einer Grundfitness hin zum Training einer speziellen körperlichen Leistungsfähigkeit für (...) den polizeilichen Zwangseinsatz (...) wandeln", heißt es in dem Papier.

Auch optisch sollen die Polizisten mehr Autorität ausstrahlen: Polizisten würden "nicht nur mit ihrer Uniform als staatlichem Symbol, sondern auch mit ihrer körperlichen Konstitution von der Bevölkerung als Vertreter des Staates und seiner Leistungsfähigkeit wahrgenommen." Zu kleine Menschen seien ebenso ungeeignet für den klassischen Polizeidienst wie solche mit sichtbaren Tätowierungen.

Am Dienstagmittag gab Reul bekannt, dass in NRW neue Polizei-Spezialeinheiten eingeführt werden sollen. Die sogenannten "Beweissicherungs-und Festnahmeeinheiten" sollen bei Demonstrationen, Razzien oder Ausschreitungen am Rande von Fußballspielen zum Einsatz kommen. Stationiert werden sollen sie in Bochum, Wuppertal und Köln.

Natürlich ist die NRW-Polizei auch heute schon auf Gewalt vorbereitet. Die aktuelle Leitlinie gibt vor: "Gewalttätigkeiten ist entschieden entgegenzugtreten." Aber sie betont vor allem den Deeskalations-Auftrag der Polizei: "Beteiligten und Unbeteiligten müssen Wunsch und Ziel der Polizei deutlich ins Auge fallen, Auseinandersetzungen zu vermeiden. Auf unnötiges Zeigen starker Kräfte ist zu verzichten."

Wenn die Polizei aber zunehmend auf Gewalttäter trifft, die mit Worten kaum zu erreichen sind und ihrerseits die Eskalation erzwingen, geraten Polizisten mit grundsätzlichem Deeskalationsauftrag in Gefahr. Nach Angaben von Arnold Plickert, NRW-Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), zählten die Behörden im Jahr 2011 noch 9808 Übergriffe auf NRW-Polizisten. Im vergangen Jahr waren es bereits 17.000 - verbale Beleidigungen der übelsten Art inklusive.

"85 Prozent der Übergriffe haben sich gegen den Wachdienst gerichtet", schildert Plickert die Situation, "dort findet der erste Kontakt der Gewalttäter mit der Polizei statt." Reul stellte jüngst im Innenausschuss eine Statistik vor, derzufolge NRW-Polizisten allein im vergangenen Jahr in 334 Fällen Opfer einer gefährlichen Körperverletzung geworden sind.

"Trainingseinheiten zum Umgang mit Gewalt deutlich ausweiten"

Deshalb unterstützt Plickert die Forderungen nach einer robusteren Polizei - auch, damit die Beamten sich selbst besser schützen können: "Die Trainingseinheiten zum Umgang mit Gewalt müssen deutlich ausgeweitet werden", sagt auch Plickert. Wichtig sei zudem, dass die Polizisten bessere Techniken zum Bewältigen von Stress erlernen - auch das sieht das Expertenkonzept für eine neue Polizeileitlinie vor.

Anderen bereitet die Vorstellung einer robusteren Polizei großes Unbehagen. Zum Beispiel der Polizei-Expertin der Grünen im NRW-Landtag, Verena Schäffer. "Das Konzept ist eine deutliche Abkehr von der bisherigen Linie der Polizei NRW, die auf Bürgernähe, Deeskalation und Kommunikation setzt", stellt sie fest. Damit drohe die NRW-Polizei ihre bundesweite Reputation aufs Spiel zu setzen. Schäffer meint: "Deeskalierendes und kommunikatives Verhalten ist kein Selbstzweck, sondern Teil einer Einsatzstrategie, damit Konflikte nicht eskalieren. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass durch ein martialischeres Auftreten weniger Angriffe auf Polizisten verübt würden."

Dennoch: Ein Teil der Gesellschaft ist messbar brutaler geworden. Diesen Menschen mit einer "Leitlinie für den bürgernahen Einsatz" aus den 1980-er Jahren begegnen zu wollen, ist naiv und gefährlich. Nicht nur für die Polizisten selbst, sondern auch für die Gesellschaft, die chronische Schläger glaubwürdig abschrecken muss.

(tor)
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