NRW Lehrer frustriert über Inklusion

Düsseldorf · Seit einem Jahr haben behinderte Kinder in NRW Anspruch auf einen Regelschul-Platz. Inzwischen häufen sich die Klagen über mangelhafte Ausstattung. Inklusions-Befürworter werfen den Lehrern Unwillen vor.

 Die Inklusion stellt die Schulen in NRW vor Herausforderungen.

Die Inklusion stellt die Schulen in NRW vor Herausforderungen.

Foto: dpa

An den Schulen in Nordrhein-Westfalen herrscht massiver Unmut über die Bedingungen des gemeinsamen Unterrichts behinderter und nicht behinderter Kinder. Es gebe weder genügend Personal für die Inklusion, noch finde ein geregelter Erfahrungsaustausch zwischen Sonderpädagogen und Regelschullehrern statt - das ist der Tenor einer Reihe von Beschwerden einzelner Lehrer, ganzer Kollegien und Personalvertretungen, die unserer Zeitung vorliegen.

In einem Schreiben einer Realschule aus dem Rheinland heißt es zum Beispiel: "Erkennbar ist ein ständig wachsendes Gefühl, der Belastung nicht gewachsen zu sein." Eine "bewusst in Kauf genommene Vernachlässigung der Kinder" kritisiert ein Realschullehrer im Münsterland. 19 Kollegen aus dem Ruhrgebiet bemängeln in einem Schreiben, "dass es an Strukturen und erfahrenen Mitarbeitern mangelt".

An einer anderen Schule schreibt eine Regelschullehrerin: "Wir sind keine Sonderpädagogen, unsere Schulen sind weder personell noch räumlich auf die Inklusion vorbereitet. Alle wissen das, auch die Schulministerin weiß es. Es fragt sich nur, wann sie es endlich zugibt."

Seit dem Sommer 2014 haben Eltern besonders förderbedürftiger Kinder in NRW den Anspruch auf einen Platz an einer Regelschule für ihr Kind. Im laufenden Schuljahr werden 34 Prozent der behinderten Kinder an Regel- und nicht mehr an eigenen Förderschulen unterrichtet. Als Problem wird dabei meist nicht die Inklusion körperbehinderter Kinder empfunden, sondern der Umgang mit Schülern, die Lern- und Entwicklungsstörungen aufweisen. Mehr als zwei Drittel der behinderten Kinder an Regelschulen fallen in diese Kategorie.

"Unterricht gelingt allerhöchstens unter schwierigsten Bedingungen", heißt es im Brief eines Personalrats an Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne): "Kollegen sind nur noch frustriert." Es gebe "landesweit Rückmeldung, dass unsere Bedenken sich bewahrheiten".

Zu der Kritik sagte Löhrmann unserer Redaktion: "Ich denke, dass Debatten über Ressourcen und Vorstellungen bei einer so tiefgreifenden Veränderung dazugehören. Den einen geht es zu schnell, den anderen nicht schnell genug." Klar sei aber: "Die Rückmeldungen verhallen bei uns nicht ungehört." Das Land stelle für die Inklusion insgesamt rund eine Milliarde Euro zusätzlich bereit: "für 3200 zusätzliche Lehrerstellen, für neue Studienplätze, für die Kommunen und für die Fortbildung". 28 000 Lehrer hätten bereits an einer Inklusions-Fortbildung teilgenommen.

Dem Verband Lehrer NRW, der vor allem die Realschulen vertritt, reicht das nicht. "Sylvia Löhrmann bemüht gern das Bild einer Bergwanderung", sagte Verbandschefin Brigitte Balbach. "Die Ministerin aber schickt die Lehrkräfte mit kurzer Hose, T-Shirt und Badelatschen los und sagt: Nun lauft mal schön." NRW habe kein Konzept; der Rechtsanspruch sei überhastet eingeführt worden. Nötig seien eine durchgehende Doppelbesetzung mit Lehrer und Sonderpädagoge im gemeinsamen Unterricht sowie professionelle Fortbildungen für alle.

Kritik üben auch die Gymnasien: "In Stunden ohne Doppelbesetzung kommen alle zu kurz", sagte Ingrid Habrich, Vorsitzende der Rheinischen Direktorenvereinigung, "und die Lehrer, die ihr Bestes geben, fühlen sich zwischen den Bedürfnissen ihrer Schüler hin- und hergerissen." Der Widerstand dagegen, Lernbehinderte am Gymnasium in Inklusionsklassen nach eigenen Förderplänen zu betreuen, zeige den "begründeten Zweifel, dass der eingeschlagene Weg der richtige ist".

Selbst die Befürworter der "Schule für alle" räumen Probleme ein. "Die Ausstattung mit Sonderpädagogen ist zweifellos zu knapp", sagte Eva-Maria Thoms vom Kölner Verein "Mittendrin" - vor allem, weil "viele Sonderpädagogen nach wie vor in den Förderschulen arbeiten". Es gehe aber nicht nur um Ausstattung: "Offenbar fehlt es vielen Lehrern noch immer an der Motivation, sich auf die Inklusion einzulassen, und das, obwohl die inklusive Bildung inzwischen geltendes Recht ist."

(RP)
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