Analyse vor der Landtagswahl Das grüne Profil wird unscharf

Düsseldorf · Gut sieben Monate vor der Landtagswahl haben die NRW-Grünen ihr Wahlprogramm vorgestellt. Dabei wird deutlich: Bei einigen Themen ist die Partei der CDU näher als der SPD, ihrem aktuellen Koalitionspartner.

 NRW-Bildungsministerin und Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann.

NRW-Bildungsministerin und Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann.

Foto: dpa, rwe sab

Die Grünen werden Opfer ihres Erfolges. Die Gründungsidee ihres politischen Geschäftsmodells wird längst von fast allen Parteien kopiert: Der Ausstieg aus der Atomkraft und der Kampf gegen den Klimawandel ist heute politischer Mainstream. Entsprechend schwer fällt es den Grünen, ihr Profil zu verteidigen. Einerseits. Andererseits ist die zunehmende Überschneidung der grünen Politik mit den anderen Parteien für sie auch von Vorteil: Sie haben nach der Wahl 2017 auch in NRW wohl die meisten Koalitionsoptionen. Das zeigt auch das aktuelle Wahlprogramm, das die Partei nun vorgestellt hat.

Die Ausschreitungen in der Kölner Silvesternacht haben die Grünen zum Umdenken gezwungen. Auch sie haben der Ausweitung der Videobeobachtung öffentlicher Plätze in NRW zugestimmt und sich damit den Positionen von CDU und SPD angenähert. Die Grünen fordern nun ebenfalls mehr Polizei. Anders als die CDU lehnen sie schlechter ausgebildete Hilfspolizisten in NRW aber ab. Damit gehen sie einen Konflikt mit NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) ein. Als einzige Partei im Landtag überhaupt haben die Grünen ein Konzept für eine umfassende Polizeireform in NRW vorgelegt. Unter anderem wollen sie die Kreispolizeibehörden reduzieren - mit 47 hat NRW mehr als jedes andere Bundesland. SPD und CDU lehnen das ab. Allerdings zählt die innere Sicherheit laut Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann nicht zu den Themen, die den Grünen besonders wichtig sind.

Neben ihren klassischen Forderungen nach mehr Wind- und Solarenergie machen sich die Grünen mehr als alle anderen Parteien im Landtag für Lärmschutz stark. Gerade im dicht besiedelten NRW glauben sie dabei viele Betroffene hinter sich. Allerdings treten sie damit - etwa mit der Forderung nach weitreichenden Nachtflugverboten in NRW - auch der Wirtschaft auf die Füße. Ihr Regierungspartner SPD wiederum will hier im Wahlkampf offenbar keine neue Front mit der Wirtschaft aufmachen. Die CDU hingegen hat das Potenzial des Themas Lärmschutz erkannt und positioniert sich neuerdings aufgeschlossen. Aktuell sind die Überschneidungen von CDU und Grünen beim Lärmschutz größer als innerhalb der NRW-Koalition.

Finanzpolitisch bekennen die Grünen sich zwar zum Schuldenabbau: "Schulden bedeuten stets eine Einschränkung der Handlungsspielräume künftiger politischer Repräsentant*innen (...) Nicht zuletzt deshalb ist eine solide und nachhaltige Haushalts- und Finanzpolitik unser Anliegen." Innerhalb der rot-grünen Landesregierung sind sie aber auch nicht gerade mit lautem Widerspruch gegen die Konsolidierungsbemühungen von NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) aufgefallen. Unterm Strich geben die Grünen die Verantwortung für die Finanzpolitik an den Bund ab: "Da die Bundesländer alleine kaum Möglichkeiten haben, ihre Einnahmen zu erhöhen, wird die langfristige Einhaltung der Schuldenbremse nur gelingen können, wenn der Bund deutlich die Einnahmen verbessert", heißt es im Wahlprogramm. Das ist näher an der SPD als an CDU und FDP.

In der Kohlepolitik kam es zwischen Rot-Grün immer wieder zu Differenzen. Im neuen Wahlprogramm wollen sich die Grünen auf einen verbindlichen Ausstieg aus der Braunkohle festlegen. Spätestens im Jahr 2037 solle endgültig Schluss sein, konkretisierte gestern Spitzenkandidatin Löhrmann. Das wäre mindestens acht Jahre früher, als es die NRW-SPD bisher für machbar hält. In der Wirtschaftsförderung haben die Grünen wie CDU und FDP den Mittelstand im Blick. Besondere Aufmerksamkeit widmen sie dem Handwerk - wie übrigens auch die CDU. "Die Förderung von Mittelstand und Handwerk ist ein wichtiger Schwerpunkt grüner Wirtschaftspolitik", heißt es in dem Programm. Das Niveau von Meisterbrief und Fachhochschulabschluss soll angeglichen werden, und es soll ein kreditfinanziertes Programm für Meister geben, die sich selbstständig machen wollen. Zudem machen sie sich, wie alle anderen NRW-Fraktionen, für einen flächendeckenden Glasfaserausbau und freies öffentliches W-Lan stark.

Landtagswahl 2017: Aktuelles Wahl-Programm der NRW-Grünen
Foto: Zörner

Anders als die SPD streben die Grünen vorerst keine durchweg gebührenfreien Kita-Jahre an. Die Partei will festlegen, wie viele Kinder es pro Erzieher maximal geben soll und dabei die Gruppengrößen beschränken. Kitas sollen höhere Fortbildungsbudgets bekommen, mehr Fachkräfte mit Hochschulabschluss, und die Betreuungszeiten sollen ausgeweitet werden. Zugleich sollen die Anforderungen an Tagesmütter steigen. Jugendliche sollen ab 16 Jahren wählen können, eine Forderung auch der SPD, der CDU und FDP aber zuletzt ihre Zustimmung verweigerten.

In der Diskussion um das Turbo-Abitur verfolgen die Grünen den Ansatz "Jedes Kind braucht seine Zeit". Im Schulgesetz soll es eine Öffnungsklausel geben, die Schulen Möglichkeiten gibt, eine flexible Lernzeit einzuführen. Das können tägliche individuelle Lernzeiten sein, zwei unterschiedlich lange Gymnasialzüge bis zur Oberstufe oder eine Brückenklasse 10, die wahlweise ausgelassen werden kann. Letztere Option kommt dem SPD-Vorschlag am nächsten, der eine freiwillige Klasse 11 vorsieht. Die FDP will den Schulen die Wahl zwischen G 8 und G 9 überlassen, die CDU hat sich noch nicht festgelegt. Die Grünen wollen zudem Grundschullehrer besser bezahlen.

(RP)
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