Analyse zur Kommunalwahl Warum so wenige wählen gehen

Düsseldorf · Wenn es vor Ort keine Konkurrenzsituation im Wahlkampf gibt, ist die Motivation der Bürger eher gering. Fatal für die Wahlbeteiligung wirkte sich offenbar auch die Entkoppelung von Rats- und Bürgermeisterwahl aus.

Bürgermeisterwahl NRW 2015: Das waren die Aufreger
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Das waren die Aufreger der Bürgermeisterwahl 2015

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Die schlimmsten Erwartungen wurden übertroffen: Bei der Bürgermeisterwahl am Sonntag sank in manchen Städten die Wahlbeteiligung auf einen absoluten Tiefstand. In Unna füllten nur 25 Prozent den Stimmzettel aus. Nicht viel besser sah es in Lotte (Kreis Steinfurt) mit 28,6 Prozent oder in Weeze (31,3 Prozent) aus. Selbst in der kreisfreien Stadt Krefeld (wo es übernächsten Sonntag zur Stichwahl zwischen den beiden Bewerbern von SPD und CDU kommt), nahmen nur 38,4 Prozent an der Oberbürgermeister-Wahl teil. Auch in anderen Großstädten lag die Quote unter 40 Prozent. Landesweit waren es wegen des Stadt-Land-Gefälles immerhin 40,9 Prozent. Doch das ist so wenig, wie noch nie in der Geschichte Nordrhein-Westfalens. Allerdings handelte es sich diesmal nicht um eine Ratswahl, sondern "nur" um die Wahl von Hauptverwaltungsbeamten.

Zwar hatten Experten vorausgesagt, dass die Wahlbeteiligung diesmal nicht mehr so "hoch" ausfallen werde wie bei der Kommunalwahl im vorigen Jahr, als immerhin 50 Prozent der Bürger von ihrem Stimmrecht Gebrauch machten. Doch dass jetzt das landesweite Ergebnis um fast zehn Prozentpunkte darunter liegt, hat dann doch überrascht.

Woran könnte es liegen, dass so viele Bürger der Wahlurne ferngeblieben sind? Der Politikwissenschaftler David Gehne (Ruhr-Universität Bochum) sagte unserer Redaktion, es gebe - vor allem in armutsgeprägten Milieus - Menschen, die sich generell von der Politik abgewandt hätten und sich deshalb bei Wahlen "dauerhaft abstinent" verhielten. Als Beweggrund kämen vor allem persönliche Frustrationserfahrungen infrage, wie etwa ein von Amts wegen abgelehnter Antrag. Auch in der Mittelschicht sei die Meinung anzutreffen, dass "die da oben sowieso machen, was sie wollen". Dies führe mitunter zu einer dauerhaften Politikerverachtung, sagte Gehne. Bei Kommunalwahlen seien allerdings auch "systembezogene Nichtwähler" auszumachen. Gemeint sind diejenigen, die das kommunale Geschehen und mithin Kommunalwahlen für nicht wichtig halten und deshalb gar nicht erst zur Wahl gehen.

Stichwahlen in NRW: Gewinner und Verlierer
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Gewinner und Verlierer der Stichwahlen in NRW

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Zudem spielt bei Kommunalwahlen auch ein "situativer Faktor" eine Rolle: Dort, wo es nur einen Kandidaten gebe, sei die Bereitschaft der Bürger, zur Wahl zu gehen, in der Regel nicht sonderlich ausgeprägt, stellt der Rechtswissenschaftler Janbernd Oebbecke (Universität Münster) fest. Dies aber dürfe nicht von vornherein als Protesthaltung interpretiert werden: "Nichtwahl kann auch Zustimmung bedeuten." Gemeint ist das Einverständnis mit dem, was auf kommunaler Ebene geschieht. Allerdings trete bei den Bürgern immer dann eine gewisse Unentschlossenheit auf, wenn sich zwei Bürgermeister-Kandidaten inhaltlich kaum voneinander unterschieden, es also keine echte Konkurrenzsituation gebe. "Was soll einen da treiben, zur Wahl zu gehen?", fragt Oebbecke.

Das bedeutet: Die Bürger wollen Alternativen. Der Kandidat muss mit seinem Auftreten und seinen Ansichten überzeugen. Auf weitschweifige Ausflüge in die Landes- oder Bundespolitik kommt es nicht an; vielmehr können sich diese als hinderlich erweisen. Der neue OB in Oberhausen, Daniel Schranz (CDU), sagt, er habe ganz bewusst auf Bundesprominenz verzichtet, weil er sich im Wahlkampf auf lokale Themen habe konzentrieren wollen.

Bemerkenswert: In Baden-Württemberg stehen bei Bürgermeisterwahlen nur die Namen der Kandidaten auf dem Stimmzettel, nicht jedoch deren Parteizugehörigkeit. Den Bürgern wird allerdings auf diese Weise abverlangt, sich im Vorfeld mit den Kandidaten zu beschäftigen.

Seit 1999 sinkt in NRW die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen. Von Vorschlägen, deswegen das Wahlverfahren zu vereinfachen, indem man beispielsweise seine Stimme im Supermarkt abgeben kann, hält Gehne nichts. Vielmehr müsse es gelingen, diejenigen, die aus der Politik ausgestiegen sind, wiederzugewinnen: "Das ist keine Arbeit nur für ein paar Wochen im Wahlkampf, sondern für fünf Jahre." Hinzu komme: Wenn eine Partei glaube, sie könne allein oder mit anderen hinter den Kulissen Entscheidungen treffen, dann dürfe sie sich nicht über das Wahlverhalten der Bürger wundern. Nötig sei Transparenz - "und zwar, bevor die Entscheidung gefallen ist".

Die extrem niedrige Wahlbeteiligung am Sonntag dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass die Bürgermeisterwahl diesmal nicht wie vor einem Jahr mit einer Ratswahl verbunden war. Die frühere schwarz-gelbe Landesregierung hatte beide Wahlen "entkoppelt", um die Position der hauptamtlichen Bürgermeister aufzuwerten. Durch eine gesonderte Wahl, so glaubte man, werde das Interesse der Bürger an der Persönlichkeit verstärkt, so dass es eine höhere Wahlbeteiligung gebe.

Dies hat sich als Irrtum erwiesen. Selbst die CDU ist nur allzu gern auf die frühere Regelung umgeschwenkt, beide Wahlen an einem Tag anzusetzen. Die Entkoppelung sei "eine der grandiosen Fehlleistungen der schwarz-gelben Vorgängerregierung" gewesen, setzte SPD-Generalsekretär André Stinka gestern nach. Auch Grünen-Landeschefin Mona Neubaur sprach von einer "unsinnigen" Regelung. Sie zeigte sich zuversichtlich, dass 2020, wenn Rats- und Bürgermeisterwahlen wieder gleichzeitig stattfinden, die Wahlbeteiligung "deutlich höher" ausfallen wird.

Für einige Kommunen galt dies bereits am Sonntag. So lag die Wahlbeteiligung in Kaarst (Kreis Neuss) und Haan (Kreis Mettmann) immerhin bei 50,3 beziehungsweise 50,4 Prozent. In Issum (Kreis Kleve) gingen 54,6 Prozent der Bürger zur Wahl. Spitzenreiter ist die münsterländische Stadt Billerbeck (Kreis Coesfeld), in der beachtliche 67,9 Prozent der Wahlberechtigten ihr Kreuzchen machten.

(hüw)
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