Behinderte im Unterricht Inklusion ist in vielen Ländern bereits Alltag

Düsseldorf · Während in Deutschland erst spät über die Inklusion debattiert wurde, haben andere Länder schon vor Jahren damit begonnen, möglichst viele behinderte Schüler in den normalen Unterricht zu integrieren.

Das Thema Inklusion beschäftigt nicht nur in Deutschland Politiker, Eltern und Lehrer. Nachfolgend stellen wir die Lage in einigen anderen Ländern vor.

Frankreich

Schon ein französisches Gesetz aus dem Jahr 2005 über die "Rechts- und Chancengleichheit" verpflichtete alle schulischen Einrichtungen, "ohne Diskriminierung" Behinderte aufzunehmen. Statt von Inklusion sprechen die Franzosen indes lieber von der "Schule für alle". Und Frankreich verfolgt einen mehrgleisigen Ansatz, der sich am Grad der individuellen Behinderung ausrichtet. Im Idealfall, etwa bei nur leichter Beeinträchtigung der Sprache, wird das Kind komplett in den Regelunterricht an einer normalen Schule integriert und bei Bedarf von Begleitpersonal unterstützt. Inklusive Beschulung bedeutet in Frankreich aber auch, dass es für Schüler mit schwereren Behinderungen wie intellektuellen oder kognitiven Handicaps gesonderte Klassen in der gleichen Schule geben kann.

Nur wenn die Behinderung zu stark ist, kommt die Förderschule ins Spiel. Die untersteht nicht dem Bildungsministerium, sondern gilt als medizinisch-soziale Einrichtung. Innerhalb von zehn Jahren ist der Anteil der dort betreuten Schüler von 45 auf 29 Prozent zurückgegangen. Die Entscheidung, in welcher Einrichtung der Schüler unterrichtet wird, trifft eine außerschulische Kommission unter Einbeziehung der Eltern.

Dennoch gibt es Probleme: Viele Sonderpädagogen, vor allem aber die Hilfskräfte für den Einsatz im Regelunterricht, sind meist nur unzureichend ausgebildet, letztere zudem krass unterbezahlt. Die Folge: Es fehlt sehr viel Personal.

Italien

Anders als in Deutschland wurden in Italien die Sonderschulen schon vor 37 Jahren abgeschafft; seitdem herrscht strikte Inklusion. Die ersten Schritte zur Zusammenführung von behinderten und nicht behinderten Schülern erfolgten in den späten 60er Jahren. Eine Gemeinschaft linksorientierter italienischer Bürger forderte Integration statt Trennung. Diese Bewegung führte schnell zu gesetzlichen Änderungen.

1977 wurde die Inklusion behinderter Schüler gesetzlich festgelegt. Somit wurden Kindergärten, Grund-, Mittel- und Oberstufen sowie Berufsschulen zu inklusiven Bildungseinrichtungen. Mit individuellen Bildungsplänen folgen die Schüler dem regulären Unterricht wenigstens teilweise. Zusätzlich wird mit gesonderten Schulfächern eine spezifische Betreuung garantiert.

Ein weiterer Service ist der kostenlose Schultransport für die Schüler mit Handicap. Bedenklich ist allerdings die oberflächliche Ausbildung der Lehrkräfte. Um die Berufschancen Behinderter in Italien steht es trotz der gemeinsamen Ausbildung schlecht.

Großbritannien

Sonderschulen wie in Deutschland findet man in Großbritannien kaum. Es gibt spezielle Schulen nur für Kinder mit schweren Behinderungen; sonst wird versucht, eine sonderpädagogische Förderung innerhalb des Unterrichts an Regelschulen zu gewährleisten.

Seit 2001 ist gesetzlich vorgeschrieben, dass es an jeder Schule im Land einen Koordinator für "spezielle pädagogische Anforderungen" geben muss. Da die Bildung einer der wenigen Bereiche ist, in denen es in Großbritannien unterschiedliche Zuständigkeiten und Systeme in den Einzelstaaten England, Wales, Schottland und Nordirland gibt, versucht ein ebenfalls 2001 erstellter Leitfaden, gemeinsame "beste Praktiken" festzuschreiben.

Eine Statistik aus dem Jahre 2009 zeigte, dass an englischen Schulen 17,8 Prozent der Schüler "spezielle pädagogische Bedürfnisse" haben.

USA

In den Vereinigten Staaten kam die Wende beim Thema Inklusion mit einem 1975 verabschiedeten Gesetz, dem "Individuals with Disabilities Education Act" (Idea). Behinderte Kinder, so steht es in der Schlüsselpassage der Novelle, sollen in "größtmöglichem Maß" gemeinsam mit Kindern ohne Behinderung lernen - in einem Umfeld, das ihnen möglichst wenige Beschränkungen auferlegt.

Heute gehen rund 60 Prozent aller behinderten Heranwachsenden an reguläre Schulen. Noch Anfang der 90er Jahre waren es erst knapp zehn Prozent. Die 50 Bundesstaaten müssen dem Bildungsministerium in Washington regelmäßig berichten, wie sie die Vorgaben des Idea-Gesetzes umsetzen. Verfehlen sie ihre Ziele, kann die Bundesregierung Zuschüsse streichen.

Russland

In Russland werden die meisten behinderten Kinder immer noch in Sonderschulen und Internaten unterrichtet, getrennt von ihren Altersgenossen. Und das, obwohl Russland 2012 die UN-Resolution über die Rechte von Behinderten unterzeichnet hat. Auch das föderale "Gesetz über die Ausbildung von Personen mit eingeschränkten gesundheitlichen Möglichkeiten" sieht die Möglichkeit der Integration behinderter Kinder an allgemeinbildenden Schulen vor.

In der Praxis jedoch ist die russische Gesellschaft wenig tolerant gegenüber Behinderten. Mütter, die ein behindertes Kind zur Welt bringen, erhalten oft noch im Krankenhaus die Anträge auf Freigabe des Neugeborenen zur Adoption. Stehen die Eltern zu ihren behinderten Kindern und wollen sie nicht in Waisenheime, Internate und sogenannte Spezialschulen abschieben, dann kämpfen sie einen zähen Kampf gegen die russischen Behörden.

Meistens weigern sich die staatlichen Kindergärten und Schulen, Kinder mit Handicap aufzunehmen.

(RP)
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