NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft — Landesmutter a.D.

Düsseldorf · Als Kümmerin feierte Hannelore Kraft große Wahlerfolge. Doch nach der Silvesternacht in Köln schwieg sie viel zu lange. Und auch im Umgang mit der AfD in Talkshows ringt sie um eine klare Haltung.

Hannelore Kraft – Ministerpräsidentin von NRW & SPD-Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl 2017
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Das ist Hannelore Kraft

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Foto: dpa, ve

Hannelore Kraft blickt wehmütig auf den Kohlebrocken in ihren Händen. Um sie herum Bergleute, die Gesichter schwarz. Sie findet die tröstenden Worte, die es braucht, wenn Hunderte Männer noch vor dem 50. Geburtstag ihre Arbeit verlieren. Sie könnten alle stolz auf sich sein, sagt die NRW-Ministerpräsidentin. An diesem trüben Dezembertag kurz vor Weihnachten ist die letzte Schicht in der Zeche Auguste Victoria - das Bergwerk in Marl schließt.

Es ist ein Termin, wie ihn Imageberater für die Sozialdemokratin nicht besser hätten erfinden können. Die Landesmutter kümmert sich um die kleinen Leute. Sie hat nicht vergessen, woher sie kommt.

Nicht einmal zwei Wochen später bleibt Kraft stumm. Die Vorfälle in Köln haben das Land in einen Schockzustand versetzt. Die Polizei des Landes hat sich blamiert. Doch die Ministerpräsidentin informiert sich weder vor Ort noch sucht sie Gespräche mit Opfern. Sie war im Winterurlaub, heißt es. Die Lage sei nicht klar genug gewesen, meint sie. Erst nach fünf Tagen meldet sich die Regierungschefin mit einer knappen Mitteilung zu Wort. Plausibel erklären kann sie ihr langes Schweigen nicht.

Hier Landesmutter, dort Technokratin - Kraft gibt Rätsel auf. Dabei verdankt sie ihre große Beliebtheit nicht zuletzt einem tragischen Ereignis. Am 24. Juli 2010 regiert sie das Land erst wenige Tage; ihre rot-grüne Minderheitsregierung, die von den Linken toleriert wird, ist umstritten. Dann sterben bei der Loveparade in Duisburg 21 Menschen, die frisch gewählte Ministerpräsidentin spricht bewegende Worte, wirkt dabei sehr authentisch. Es wird eine Marke daraus: "die Kümmerin". Zwei Jahre später gewinnt Kraft die Landtagswahl. Seit 2012 verfügt sie über eine stabile rot-grüne Mehrheit.

Wer Kraft jetzt erlebt, dem erscheint die 54-Jährige verändert. Dünnhäutig sei sie geworden, berichten Mitarbeiter. Manchmal sei es eine Sache von Sekunden, dass ihre Stimmung von einem Extrem ins andere wechsele. Termine wie in Marl, auf denen sie glänzen, auf denen sie dem Mythos Kohle nachtrauern kann, sind rar geworden. Die alten Industrien sterben, das Land fällt ökonomisch zurück. Das Verfassungsgericht rügt die Finanzpolitik, die Arbeitslosenquote liegt über dem Bundesschnitt, das Wirtschaftswachstum darunter. Erinnerungen an Erfolge wie die Abschaffung der Studiengebühren und ein freies Kita-Jahr sind verblasst.

Viel bundespolitischen Einfluss eingebüßt

Eine Vision davon, wofür das Land in Zukunft stehen soll, hat Kraft in sechs Jahren nicht entwickelt. Ein Regierungskurs ist kaum zu erkennen, niemand weiß, mit welchem Programm sie im Mai 2017 wiedergewählt werden will. Auch ihre Ankündigung "Ich werde nie, nie als Kanzlerkandidatin antreten" war ein Fehler. Durch den Verzicht auf jegliche bundespolitische Ambitionen hat Kraft zugleich viel bundespolitischen Einfluss eingebüßt. Nie zuvor hat sich ein Regierungschef des bevölkerungsreichsten Bundeslandes so klein gemacht.

Parteifreunde in Berlin sind wegen Krafts fehlenden Ehrgeizes irritiert. Dabei verfügt die SPD-Vize über großen parteiinternen Rückhalt. Auf dem Bundesparteitag im Dezember wurde sie mit 91,4 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Dieses Votum ist auch eine Aufforderung, sich in Berlin stärker zu engagieren. Doch Kraft macht das Gegenteil, sie nimmt sich noch mehr zurück. Der Verzagtheit folgt das Misstrauen.

So wie im Umgang mit ihrem Privatleben. Noch vor Kurzem erzählte sie öffentlich recht freimütig von ihrem Ehemann Udo, einem Elektroinstallateur. Zum Beispiel, dass er ihr schon als Schuljunge Juckpulver in den Kragen steckte. Auch die kirchliche Hochzeit 2012 in Namibia war ein großes selbstinszeniertes Medienthema. Aber nur wenige Eingeweihte wissen, dass Udo Kraft seit mehr als zehn Jahren Tarifangestellter im Bauamt der SPD-regierten Heimatstadt Mülheim ist. Nachfragen schätzt sie da gar nicht.

In Düsseldorf traut Kraft nur noch wenigen: Fraktionschef Norbert Römer, Regierungssprecher Thomas Breustedt sowie Staatssekretärin Anja Surmann gehören dazu. Auch mit ihrer grünen Stellvertreterin Sylvia Löhrmann versteht sie sich. Im Kabinett hat sie vor allem einen engen Verbündeten: Innenminister Ralf Jäger.

Ausgerechnet Jäger, der in Köln erst gar nicht, dann hilflos agierte. Im Landtag musste Jäger einräumen, er sei schon am Neujahrstag darüber informiert worden, dass es mehr als ein Dutzend Anzeigen und einen größeren Täterkreis gegeben habe. Es mussten Minister schon wegen geringerer Vorwürfe gehen. Doch Kraft hält an Jäger fest. Sie schätzen einander - beide kommen aus dem Ruhrpott, beide aus kleinen Verhältnissen.

Doch der Druck wächst, die Landtagswahl rückt näher. Eine aktuelle Wahlumfrage sieht SPD und CDU in der Wählergunst gleichauf. Die AfD könnte ins Landesparlament einziehen. Im Umgang mit den Rechtspopulisten aber zeigte sich Kraft zuletzt wankelmütig. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk wurde sie zunächst recht deutlich: "Ich habe für mich entschieden: Ich gehe nicht in Fernsehsendungen mit Vertretern der AfD."

Nur wenige Tage später im Landtag klang das schon wieder anders: Ob dieser Boykott auch für die Talkrunden vor der NRW-Wahl gelte, ließ sie plötzlich wieder offen. Und betonte in einem weiteren Interview mit dem "Kölner Stadt-Anzeiger" ein paar Tage später dann doch: "Ich mache mich aber nicht in Talkshows zum Teil von Inszenierungen dieser Rechtspopulisten oder Rechtsextremisten."

Die Übergriffe in Köln könnten endgültig zum Wendepunkt werden. Ein Untersuchungsausschuss wird in den kommenden Monaten die Versäumnisse der Landesregierung rund um die Silvesternacht anprangern. Am Thema innere Sicherheit wird sich die Landtagswahl entscheiden. Kraft kann kämpfen, das hat sie schon bewiesen. Aber dafür müsste sich die Landesmutter a.D. neu erfinden. Derzeit erweckt sie aber vor allem den Eindruck, als lähme sie die Angst vor dem Scheitern.

(RP)
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