Düsseldorf Die "Gutachteritis" der NRW-Landesregierung

Düsseldorf · Rot-Grün hat in zwei Jahren über 17 Millionen Euro für Gutachten ausgegeben. Die Opposition hält viele davon für überflüssig.

In Sonntagsreden loben die Minister der rot-grünen Landesregierung gerne die Expertise ihrer Ministerialbeamten. In der Praxis kaufen sie aber im Schnitt für 720.000 Euro pro Monat Sachverstand von außen ein. Das geht aus der noch unveröffentlichten Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage des FDP-Fraktionsvize im Landtag, Ralf Witzel, hervor. Demnach gab die rot-grüne Regierung in NRW von Oktober 2012 bis heute 17,35 Millionen Euro für 258 Gutachten aus.

Dass die Landesregierung Fachwissen zukauft, kritisiert Witzel gar nicht. "Es gibt auch Gutachten, die beim Geldsparen helfen", sagt der Finanzexperte der FDP. Aber vor dem Hintergrund der desolaten Kassenlage im Land und den neuerdings auch sehr ungewöhnlichen Sparmaßnahmen der Landesregierung meint er: "In Zeiten, in denen Regierungsgäste nur noch Leitungswasser serviert bekommen, ist die Kosten-Nutzen-Relation fremder Beratungsleistungen gründlich zu prüfen. Historische Analysen zur Jagdgeschichte ab 1918, zu Frauenquoten und Genderperspektiven sind dem Steuerzahler nicht länger zuzumuten."

32 Millionen Euro für 457 Gutachten zwischen 2005 und 2007

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Die schwarz-gelbe Vorgängerregierung gab auch viel Geld für Gutachter aus: Von 2005 bis 2007 für 457 Gutachten über 32 Millionen Euro. Aber die Ära des damaligen CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers lässt sich kaum mit der heutigen Lage des Landes vergleichen: Die Fragestellungen waren damals andere. Und Schwarz-Gelb konnte sich vielleicht auch deshalb mehr Gutachten leisten, weil Rüttgers an anderer Stelle mehr sparte. Rot-Grün hingegen hat angesichts seiner ausufernden Schuldenpläne inzwischen Schwierigkeiten, überhaupt noch einen legalen Finanzplan hinzubekommen. Die Not ist so groß, dass NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) dem gesamten Land gerade eine Haushaltssperre verordnet hat.

Auch Aufträge für Gutachten mit skurrilen Titeln wie "Imame werden Demokratiebotschafter" (Preis: 15.000 Euro) oder eine "Untersuchung zur hohen Inanspruchnahme von Elternzeit durch Väter in Sachsen" (Preis: 17.000 Euro) können die rot-grünen Ministerien gut erklären: Mal geht es um Maßnahmen gegen radikalisierte Islamisten, mal um die Wirksamkeit der Förderung von Vätern, die für die Kindererziehung vorübergehend ihren Beruf aufgeben. Auch das staatliche Ziel von mehr Frauen in Führungspositionen ist besser erreichbar, wenn das "mehr" durch eine konkrete Zielquote definiert wird. Und vielleicht ist die Analyse der Rechtstradition in der deutschen Jagd ja wirklich hilfreich, wenn das Umweltministerium sich mit den Jägern des Landes über die Zukunft des Jagdgesetzes streitet.

"Waldmanagementkonzept" kostet 95.900 Euro

Manche Gutachten werden auch ausdrücklich von der Wirtschaft verlangt, andere von der EU. Aber Heiner Cloesges vom Bund der Steuerzahler NRW fragt sich: "Muss wirklich immer wieder jede Frage neu begutachtet werden? Kann man nicht auch mal auf bereits vorhandene Studien aus anderen Bundesländern zurückgreifen?" So hat das NRW-Umweltministerium die Folgen des Klimawandels auf den Wald untersuchen lassen. Ergänzt um ein paar Ratschläge zum Umgang damit kostete das "Waldmanagementkonzept" 95.900 Euro. Wer dieselbe Fragestellung in der Internet-Suchmaschine "Google" eingibt, bekommt in 0,31 Sekunden 110.000 Treffer. Cloesges meint, dass die 4000 Beamten in den höheren Besoldungsgruppen der NRW-Ministerien viele der Fragen auch selbst beantworten können müssten.

Die Gutachten umfassen manchmal nur wenige, manchmal mehrere Hundert Seiten. Aber das kürzeste aller Gutachten stellte Walter-Borjans in seiner schriftlichen Antwort auf eine der Fragen von Witzel selbst aus. Der FDP-Politiker wollte wissen, bei welchen der 258 Gutachten seit August 2012 der Regierung im Nachhinein Zweifel an einer sinnvollen Kosten-Nutzen-Relation gekommen seien. Die Antwort des Finanzministers: "Bei keinem."

(RP)
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