Nordrhein-Westfalen "700 Richter und Staatsanwälte fehlen"

Düsseldorf · In NRW wächst bei Richtern und Staatsanwälten der Frust über eine Arbeitszeitbelastung von mehr als 50 Wochenstunden und über mangelnde Anerkennung durch die rot-grüne Landesregierung.

 In der Kritik NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD).

In der Kritik NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD).

Foto: dpa, Daniel Naupold

Die nach offiziellen Angaben 4930 Richter und 1080 Staatsanwälte in NRW hält der Deutsche Richterbund (DRB) nicht für ausreichend. Vielmehr fehlten in den Oberlandesgerichtsbezirken (OLG) Düsseldorf, Köln und Hamm 480 Richter und bis zu 210 Staatsanwälte, sagte DRB-Landeschef Reiner Lindemann. Besonders eklatant sei die Belastung an den 130 Amtsgerichten im Land sowie an den Strafkammern der 19 Landgerichte.

Die Beschwerden des Richterbundes, der auch Staatsanwälte vertritt, gehen aber noch weiter. Lindemann sagte, seine Organisation werde im neuen Jahr "kampfeslustig für einen Systemwechsel" eintreten. Es müsse Schluss sein mit der systemwidrigen Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaften gegenüber der Politik und mit dem politischen Missverständnis, dass die Justiz Teil der Verwaltung sei.

"Wir wollen keine Extrawurst"

"Wir Richter und Staatsanwälte wollen keine Extrawurst, wir wollen nur die Verfassung leben und als echte dritte Staatsgewalt betrachtet werden", erklärte der DRB-Landesvorsitzende und fügte hinzu: "Die Wertschätzung fehlt." Die Politik in NRW müsse sich endlich darüber bewusst sein, dass das Land mehr Richter und Staatsanwälte benötige.

Laut Lindemann liegt die durchschnittliche Arbeitswoche eines Amtsrichters im OLG-Bezirk Hamm bei 51,25 Stunden. Bezahlt werden die Richter nur für 41 Wochenstunden. Junge Richter und Staatsanwälte kommen nach der Berechnung auf 55 bis 60 Arbeitsstunden pro Woche. Ein 28-jähriger Amtsrichter erhält, wenn er ledig und kinderlos ist, ein Monatsgehalt von 3500 Euro brutto. Nach Abzug von Steuern und Krankenversicherung blieben netto 2550 Euro übrig. Im OLG-Bezirk Hamm gebe es bereits zu wenig qualifizierte Bewerber.

Kutschaty weiß um die Probleme

NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) weiß um den Unmut bei Richtern und Staatsanwälten. In allen Bereichen der Gesellschaft habe zuletzt eine Arbeitsverdichtung stattgefunden — "dies trifft auch auf die Justiz zu", sagte der Minister. Allerdings gehe aus der jüngsten Umfrage des DRB hervor, dass 73 Prozent der Befragten mit ihren Arbeitsbedingungen zufrieden seien. Kutschaty: "Das ist ein erfreulicher Wert, auf dem ich mich aber nicht ausruhen werde." Laut Justizministerium waren zum 1. Oktober landesweit lediglich 46 Planstellen für Richter und Staatsanwälte nicht besetzt. Die Zahl von 700 fehlenden Stellen sei "sehr weit hergeholt", sagte ein Sprecher.

Die personelle Unterbesetzung führe zu Frust bei den Richtern, so der CDU-Rechtsexperte Jens Kamieth. Er kritisiert auch, dass die rot-grüne Landesregierung viel Geld an der falschen Stelle ausgebe: "Es kann doch nicht sein, dass in Oberhausen für einen einzigen Gefangenen ein Therapiezentrum für 4,3 Millionen Euro errichtet wird." Ebenso wie Kamieth hat auch der rechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Dirk Wedel, kein Verständnis dafür, dass Richter und Staatsanwälte als "angebliche Besserverdienende von Besoldungserhöhungen ausgegrenzt" würden. Dies sei eine "Demotivation erster Güte" durch das Land als Dienstherrn.

Richter aus Köln, Bonn und Siegen haben inzwischen erklärt, bislang freiwillig übernommene Aufgaben (etwa Klausuraufsichten bei Staatsexamina) nicht mehr wahrzunehmen. Sie protestieren damit gegen steigende Belastungen bei faktisch sinkender Besoldung.

(RP)
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