Ruhrtriennale 2015 Wagner und Proust bei den Malochern

Bochum · Rote Teppiche gibt es bei der Ruhrtriennale nicht, dafür aber Kultur dort, wo früher malocht wurde. Der neue Intendant Johan Simons gibt dem experimentellen Festival einen sozialkritischen Touch.

 Der neue Intendant der Ruhrtriennale, Johan Simons.

Der neue Intendant der Ruhrtriennale, Johan Simons.

Foto: dpa

Wenn jemand den Maschinenraum der Kultur liebt, den Ort, wo Geistiges auf Maloche trifft, dann ist das Johan Simons. Der preisgekrönte niederländische Regisseur tourte schon in jungen Jahren mit einem Wandertheater durch leerstehende Fabriken in der holländischen Provinz.

 Bühnenbauarbeiten in der Kohlenmischhalle der Zeche Lohberg in Dinslaken.

Bühnenbauarbeiten in der Kohlenmischhalle der Zeche Lohberg in Dinslaken.

Foto: dpa, mku htf

Dass der 68-Jährige profilierte Theatermann für drei Jahre das experimentelle Musik-, Theater- und Kunstfestival Ruhrtriennale leiten wird, erscheint als logische Konsequenz. Für die Intendanz im rauen Ruhrgebiet verließ Simons nach fünf erfolgreichen Jahren die Kammerspiele im feinen München. Vom 14. August bis 26. September läuft die erste Ruhrtriennale unter seiner Intendanz. Drei Jahre, so die Regeln des europaweit beachteten Festivals, bleibt ein Intendant - dann ist wieder Stabwechsel.

Politischer Stempel für die Ruhrtriennale

Anders als sein Vorgänger, der Komponist Heiner Goebbels, drückt Simons der Ruhrtriennale einen politischen Stempel auf und bemüht stark den Arbeitermythos des Reviers. Für Simons sind soziale Gerechtigkeit, die Kluft zwischen Arm und Reich, Arbeit und Arbeitslosigkeit die Leitthemen.

"Die Kritik, die Reflexion ist meine Aufgabe", sagte Simons im dpa-Interview. Die meisten Menschen bezögen ihre Identität und ihren Selbstwert aus der Arbeit. Er aber frage sich, ob das richtig sei. Die Hoffnungslosigkeit der Menschen ganz unten auf der gesellschaftlichen Leiter ist gleich in Simons' Eröffnungspremiere am 14. August das zentrale Thema.

Er adaptiert Pasolinis berühmtes Sozialdrama "Accatone - Wer nie sein Brot mit Tränen aß" für die Bühne - zu Musik von Bach. Aber was heißt schon Bühne bei Simons? Er verwandelt die 200 Meter lange Mischhalle der ehemaligen Zeche Lohberg in Dinslaken erstmals in ein Theater.

Das ist auch für heutige Ruhrgebietsverhältnisse eine wüste Gegend - anders als die in ihrem rostigen Charme schon chic zu nennenden Aufführungsorte wie die Zeche Zollverein in Essen oder die Jahrhunderthalle Bochum. Simons aber führt die Ruhrtriennale auf entlegenere Pfade. Schon Lohberg dürfte für die meisten Besucher nur mit Navi zu finden sein.

Auch bei der Kunst zieht es ihn dorthin, wo es normalerweise keine Kunst gibt. So ist die spektakuläre begehbare Wasserinstallation "Nomanslanding" im alten Eisenbahnhafen in Duisburg-Ruhrort zu finden. Künstlern vertraute er auch verwaiste Ladenlokale irgendwo im Zentrum Bochums oder in den engen Straßen von Ruhrort an.

Moderate Preise

Simons hatte schon bei der Übernahme der Ruhrtriennale-Intendanz angekündigt, er suche die Annäherung an die Arbeiter und Arbeitslosen. "Seid umschlungen" heißt das Motto des Festivals, übernommen aus Schillers "Ode an die Freude". Die Preise für Tickets liegen im Vergleich zu renommierten Festspielen in anderen Städten im moderaten Bereich zwischen fünf und 80 Euro.

Dabei weiß auch Simons, dass ein Festival, wo Wagner und Monteverdi - wenn auch mit moderner Musik unterlegt - gespielt werden und die Wälzer der französischen Literaten Zola und Proust auf die Bühne kommen, eher das Bürgertum ansprechen dürfte. "Die Leute, die meistens im Publikum sitzen, sind natürlich bürgerlich, die Bourgeoisie", sagt er der dpa. Aber zumindest dürften sie nach dem Besuch in Lohberg das Stadtviertel besser verstehen.

Einen kleinen Skandal provozierte die erste Ruhrtriennale schon vor Beginn. Auf die Fußböden einiger Bahnhöfe hatte das Festival Plakate mit dem gekreuzigten Jesus kleben lassen, um für "Accatone" zu werben. Dass man auf dem Gottessohn mit den Füßen herumtrampeln konnte, sorgte für Protest. Die Plakate wurden wieder entfernt.

Die Höhepunkte

MUSIKTHEATER

- "Accattone": Johan Simons' Auftaktinszenierung ist eine Adaption des gleichnamigen Unterschichten-Spielfilms des Italieners Pier Paolo Pasolini aus dem Jahr 1961. Begleitet wird das Sozialdrama von Musik von Johann Sebastian Bach. Spektakulär ist der Aufführungsort: die 200 Meter lange Mischhalle der Zeche Lohberg in Dinslaken.

- "Orfeo": Die Produktion orientiert sich an Claudio Monteverdis Oper, jedoch wird in die Originalpartitur musikalisch eingegriffen. Die Zuschauer begeben sich in der Kokerei Zeche Zollverein in Kleingruppen in die Unterwelt. Regie führt unter anderem Susanne Kennedy, die zum Team des künftigen Chefs der Berliner Volksbühne, Chris Dercon, gehört.

- "Das Rheingold": Wagner pur darf man bei Regisseur Johan Simons nicht erwarten. Bei ihm wird der Nibelungenschatz zum revolutionären Sozialdrama. Der finnische Techno-Pionier Mika Vainio bricht die Partitur auf. Der eigenwillige griechische Dirigent Teodor Currentzis bringt für sein Wagner-Debüt sein Orchester MusicAeterna aus der russischen Ural-Stadt Perm mit.

SCHAUSPIEL:

- "Liebe.Trilogie meiner Familie I": Das Schauspiel unter der Regie von Luk Perceval ist der erste Teil einer Trilogie, die einen Bogen über Simons' dreijährige Intendanz spannt. Vorlage ist Émile Zolas 20-bändiger sozialkritischer Romanzyklus "Die Rougon-Macquart".

- "Die Franzosen": Fünf Stunden dauert die Aufführung des Stücks, eine Adaption von Marcel Prousts gewaltigem Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski sucht nach den Wurzeln des heutigen europäischen Geistes.

TANZ:

- "Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke": Die belgische Choreographin Anne Teresa De Keersmaeker nimmt sich Rainer Maria Rilkes berühmte Kriegserzählung "Cornet" vor, die während der beiden Weltkriege eine Art Kultbuch der Soldaten war.

KUNST:

- "Nomanslanding": Die begehbare Installation ist über zwei auf dem Wasser schwimmende Stege zugänglich. Sie umfasst zwei große Plattformen, die sich auf der Wasserfläche allmählich zu einem Dom in Form einer Halbkugel vereinigen. Im Innenraum ist eine Sound-Collage zu hören. Das Gemeinschaftsprojekt von fünf internationalen Künstlern wird nach Sydney nun in Duisburg-Ruhrort gezeigt.

(lnw)
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