Haldern Pop Ein Familiending

Rees-Haldern · Beim Haldern-Pop-Festival gab es sagenhafte Konzerte und einen Musiker, der sein Publikum 15 Minuten lang eine Zeile singen ließ.

Haldern Pop Festival 2017: Eindrücke von Tag 2
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Haldern Pop Festival 2017: Eindrücke von Tag 2

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Foto: Kensbock

Es gibt diese Auftritte beim Haldern-Pop-Festival, die Einzug in die Dorfchronik halten werden, weil sie emotional so aufwühlen, weil sie so denkwürdig und einzigartig sind. Die Performance der britischen Rap-Poetin Kate Tempest auf dem alten Reitplatz an der Lohstraße am Samstagabend zum Finale des Festivals war so ein Ding. Eine Stunde lang präsentierte die 31-Jährige chronologisch die Songs ihres aktuellen Albums "Let Them Eat Chaos". Ein musikalischer Roman ist das, mit 13 Kapiteln. Erzählt wird von sieben Menschen, die alle an einer Straße wohnen und morgens um 4:18 Uhr wach liegen. Die Storytellerin Kate Tempest strickt aus diesen Biografien eine große Wutrede auf die Zustände der Welt.

Wie eine Rapversion der Punk-Ikone Patti Smith wirkt Tempest, die schon jetzt als eine der wichtigsten Musikkünstlerinnen der Gegenwart gelten darf. Lyrikpreise hat sie gewonnen, ihr Gedichtband "Hold Your Own" wurde ins Deutsche übersetzt, 2016 erschien auch ihr Roman "Worauf Du Dich verlassen kannst" in deutscher Übersetzung. Die junge Frau zetert in Haldern, sie redet im Überfluss, die kurzen Pausen dienen nur dem Atemholen. Musikalisch wird sie von einer kleinen Band im Rücken begleitet, die nur harte, schnelle Beats erzeugt. Im Hintergrund flackert das Licht. Die Zuschauer stehen dicht gedrängt vor der Bühne, nicht selten mit offenem Mund. Alles kulminiert im Song "Tunnel Vision", groß und mächtig. Da stehen die sieben Charaktere morgens beim Unwetter auf der Straße. "Sieben gebrochene Herzen, sieben leere Gesichter". Tempests Botschaft am Ende: "Love more."

Drei friedliche Musiktage hat Haldern erlebt. Dafür ist dieses Festival ja bekannt: Dass hier die Zeit von der Uhr genommen wird, dass man hier nicht von einem Künstler zum nächsten hetzt. Zwar ist deutlich mehr Security zu sehen als in früheren Jahren. Zwar sind die Schlangen vor dem Eingang aufgrund der Sicherheitsauflagen deutlich länger. Die Konzertgäste ertragen das aber mit stoischer Ruhe. Wer eine ganze Nacht bei strömendem Regen in einem Zelt erlebt hat - der Festivalauftakt am Donnerstag war in dieser Hinsicht ein Wetter-Fiasko - den kann auch das Warten in einer Schlange nicht schocken. Über Nacht hat das Festivalteam Sägespäne auf dem Reitplatz verteilt. Der Freitag und Samstag bleiben trocken, die Füße auch. Und so sehen die Besucher drei in ihrer Dramaturgie völlig unterschiedliche Konzerttage mit 69 Bands auf sechs Bühnen, verteilt über das ganze Dorf. Die Hauptbühne auf dem Reitplatz ist der Spielort für die großen Namen. Kleinere Konzerte finden in der Haldern-Pop-Bar im Ort oder im katholischen Jugendheim statt.

Der Donnerstag ist mit dem deutschen Songwriter Clueso der massentauglichste - der Erfurter Künstler überzeugt trotz Rückenbeschwerden mit einem souveränen Set. Für den Freitag hat sich das Team um den Festivalorganisator Stefan Reichmann das mutigste Programm ausgedacht. Dort spielt zunächst die kanadische HipHop-Jazzband BadBadNotGood, von der man am Anfang nicht weiß, ob sie noch probt oder schon spielt. Es folgt der Brite Benjamin Clementine, der sich die Freiheit nimmt, während seines knapp einstündigen Sets rund 15 Minuten mit dem Festivalpublikum nur eine Songzeile einzusingen. "I'm sending my condolence - to fear", muss das Publikum immer wieder zum Besten geben. Sperrig, ambitioniert, schräg. In Haldern wird solchen Künstlern der Raum für Experimente gegeben. Das Scheitern ist eingepreist. Der Samstag hat mit der amerikanischen Rockband Afghan Whigs, die vor Kate Tempest spielt, noch einen zweiten Höhepunkt zu bieten. Der Auftritt der Rap-Poetin Tempest überstrahlt dann aber alles.

Vielleicht begreift man das Festival mittlerweile aber am besten, wenn man die Konzerte in der Dorfkirche St. Georg besucht. Seit einigen Jahren ist das Gotteshaus Teil des Festivals. Der Eintritt ist hier frei - viele Dorfbewohner, die sich die 125 Euro für ein Festivalticket nicht leisten wollen, bekommen hier die Chance, dennoch ihr Dorffestival zu erleben. In der Kirche wohnt also viel von dem Gemeinschaftsgeist, der Haldern Pop immer noch auszeichnet. Der britische Songwriter Charlie Cunningham spielt dort am Donnerstagabend ein Programm voller warmer Folksongs, die vom Publikum in den Songpausen mit euphorischem Jubel begleitet werden. Es sei immer sein Traum gewesen, dieses Festival zu spielen, sagt ein sichtlich bewegter Cunningham am Ende. Gut möglich, dass man ihn demnächst mal auf der Hauptbühne sieht. Denn auch das ist Programm in Haldern: Bewährte Künstler kommen hier immer wieder. Haldern Pop ist eben ein Familiending.

(RP)
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