Heimat in Mönchengladbach St. Martin mit Tränen in den Augen

Mönchengladbach · Im Purpurmantel mit römischem Helm und Schwert auf einem Schimmel: So zieht seit Jahrhunderten St. Martin im November durch die Straßen und teilt am Martinsfeuer seinen Mantel mit einem Bettler. Der Gladbacher Wolfgang von der Ruhren spielt diese Rolle seit 45 Jahren.

 Auch mit 73 Jahren ist Wolfgang von der Ruhren noch als Fernfahrer unterwegs.

Auch mit 73 Jahren ist Wolfgang von der Ruhren noch als Fernfahrer unterwegs.

Foto: W. von der Ruhren

Erwartungsvolle, strahlende Kinderaugen: Darauf freut er sich immer wieder: "Kinder sind etwas Besonderes. Wenn ich ihnen eine Freude machen kann, bin auch ich glücklich", sagt Wolfgang von der Ruhren. Er ist seit vier Jahrzehnten als Fernfahrer auf Lastkraftwagen unterwegs. Und schlüpft seit 1972 im November in eine ganz andere Rolle: die St. Martins, eines der bekanntesten Heiligen der Kirche.

 Auftritt vor abendlicher Münsterkulisse: St. Martin und der Bettler.

Auftritt vor abendlicher Münsterkulisse: St. Martin und der Bettler.

Foto: Bender

Ein Brauch, der längst nicht nur im Rheinland, von Katholiken und auch evangelischen Christen gepflegt wird: Kinder ziehen am Martinsabend mit bunten Laternen oder Fackeln singend durch die Straßen. Sie erinnern an einen römischen Soldaten, der um 316 nach Christus geboren wurde und, so die Legende, an einem kalten Wintertag an einem hungernden und frierenden Bettler vorbeiritt. Dieser tat ihm Leid, und so teilte Martin mit dem Schwert seinen Mantel und gab dem Bettler eine Hälfte. In der Nacht soll ihm der Bettler dann im Traum erschienen sein und sich als Jesus Christus zu erkennen gegeben haben.

 Nicht nur die Kleinen haben ihren Spaß beim Zug mit Sankt Martin Wolfgang von der Ruhren.

Nicht nur die Kleinen haben ihren Spaß beim Zug mit Sankt Martin Wolfgang von der Ruhren.

Foto: Bender, vdr

"Ich habe schon im Kindergarten und in der Schule jedes Jahr diesem Abend entgegengefiebert", erzählt Wolfgang von der Ruhren: "Dem Martinszug, bei dem es am Ende Süßigkeiten oder einen Weckmann gab. Und danach zogen wir Kinder durch die Straßen, schellten an den Haustüren und sangen Martinslieder wie ,Hier wohnt ein reicher Mann, der uns gut was geben kann'. Das war immer ein toller Abend."

 Die Mantelteilung: St. Martin und Bettler Frank Stappen.

Die Mantelteilung: St. Martin und Bettler Frank Stappen.

Foto: Bender

Ganz so groß wie einst, als es in der Stadt mehr als 100 Züge gab, ist der Martinsabend nicht mehr. "Aber viele Kinder freuen sich immer noch jedes Jahr darauf", sagt von der Ruhren, inzwischen 73 Jahre alt und immer noch aktiv - für die Kinder und die eigene Freude. "Ich habe nicht nur einmal erlebt, dass ihm die Tränen in den Augen standen, wenn die Kapelle zu spielen begann und der Zug losging", erzählt seine Frau Annelie.

37 Jahre, von 1972 bis 2009, war er der St. Martin beim großen Gladbacher Zug, der vom Bismarckplatz über die Hindenburgstraße hinauf zum Alten Markt zog, wo Ferdi Stappen im maßgeschneiderten Lumpenkostüm als Bettler wartete. Als der große Zug aufgegeben wurde, übernahm er sechs Jahre die Martins-Rolle in der Rheydter City. "Ich habe oft viele Jahre um den 11. November, den offiziellen St. Martins-Tag, zwei Wochen Urlaub genommen, um zu spielen. Ich hatte bis zu drei Auftritte am Tag."

Wilhelm Metzer, Vorsteher des Stadtbezirks Stadtmitte, Bezirks-Bundesmeister der Schützenbruderschaften und wie Wolfgang von der Ruhren Mitglied des Bürgerschützenvereins Untereicken, hat ihn 1972 für die St. Martins-Rolle gewonnen: "Er sprach mich an, erzählte, er wolle einen Fackelzug durch die Innenstadt veranstalten und fragte, ob ich mitmachen wolle. Dass ich den St. Martin spielen sollte, das war mir zunächst gar nicht klar." Für Metzer war von der Ruhren die perfekte Besetzung: Als Schützenbruder hatte er gerade einen Reitkurs in Neersen absolviert. Nach kurzem Überlegen sagte er zu: "Begonnen habe ich mit einfachen Mitteln, mir für 500 Mark so etwas wie einen römischen Helm gekauft, meine Schwiegermutter Ida Peichl hat den ersten Mantel genäht."

So fing seine "Karriere" als St. Martin an. Am Bismarckplatz ging der große Stadtzug los, und es kamen immer mehr Kindergärten, Schulen, Vereine und von 2009 bis 2015 auch das Rheydter City-Management hinzu, die von der Ruhren "buchten". Denn er kann nicht nur reiten, sondern hat auch Kontakte zu Reitställen, die Pferde vermieten, ist mit Bettler Frank Stappen ein eingespieltes Duo. Und er verlangt kein Honorar. Seine Rechnung für die Veranstalter: "Ein Pferd zu leihen kostet etwa 150 Euro. Die Helfer bekommen einen kleinen Obolus, und sollten für alle zum Abschluss ein paar Bier drin sein." Vor einem Jahr hat von der Ruhren eine Herzoperation überstanden, tritt nun kürzer, auch als St. Martin. Ganz mag er es aber nicht lassen. "Birgit Brunen, Geschäftsführerin meines Schützenvereins St. Franziskus Untereicken, sagt, ich solle den St. Martin spielen, bis ich vom Pferd falle", erzählt er lachend. Einen Nachfolger hat er bereits ausgesucht: Marcel Dederichs aus seinem Schützenzug St. Franziskus.

Den Auftritt in seiner Schule Untereicken, wo er schon als "I-Dötzchen" mitgezogen ist, wird von der Ruhren wieder wahrnehmen. Termin diesmal: Freitag, 10. November, 17.15 Uhr, ab Katholische Grundschule, Eickener Straße 311. Mit St. Martin Wolfgang von der Ruhren, Pferd, Helm, Schwert und Bettler Frank Stappen. Und wahrscheinlich kommt anschließend wieder der eine oder andere Dankesbrief in kindlicher Handschrift an Sankt Martin hinzu. Wolfgang von der Ruhren hat sie über all die Jahre aufbewahrt. Eine stolze Sammlung.

(RP)
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