Serie Heimat Am Wasser zu Hause

Duisburg · Seit mehr als 300 Jahren legen in Duisburg-Ruhrort Schiffe an. Heute zählt der Standort zu den 40 weltgrößten Häfen. Benno Lensdorf hat die Entwicklung des Hafenstadtteils Ruhrort erlebt: vom Rotlichtviertel zur Logistikdrehscheibe.

 Der ehemalige Duisburger Bürgermeister Benno Lensdorf ist ein Ruhrorter Urgestein. Seit 70 Jahren wohnt er in Duisburg, die meisten davon im Hafenstadtteil. Sein Lieblingsort im Hafenviertel ist die Mühlenweide, wo auch der hohe Flaggenmast steht. Dieser wurde 2008 dank Spenden restauriert.

Der ehemalige Duisburger Bürgermeister Benno Lensdorf ist ein Ruhrorter Urgestein. Seit 70 Jahren wohnt er in Duisburg, die meisten davon im Hafenstadtteil. Sein Lieblingsort im Hafenviertel ist die Mühlenweide, wo auch der hohe Flaggenmast steht. Dieser wurde 2008 dank Spenden restauriert.

Foto: Christoph Reichwein

Der schwarze VW-Kombi hängt in der Luft und wackelt. Für einen Moment sieht es aus, als würde er vom Schiffskran fallen. Doch wenig später setzt der Wagen sanft auf festem Boden auf. Das Verladen von Autos und anderen Gütern ist für einige Passanten Grund genug, ein paar Minuten stehen zu bleiben, für niederländische Schiffer ist es Alltag - und für Benno Lensdorf.

Der 75-Jährige kennt die Duisburg-Ruhrorter Häfen, heute kurz Duisburger Hafen, so gut wie kaum ein anderer. Seit 70 Jahren lebt er in der Stadt. Bis Lensdorf Ende des vergangenen Jahres in den Ruhestand ging, führte er "Benno Profi Equipment", ein Geschäft für Schiffs- und Industriebedarf. Sein Vater hatte den Laden 1950 in Ruhrort gegründet. Das Hafenleben lernte er schon als Kind kennen: "Mein Vater nahm mich häufig zu Schiffen mit, die er belieferte", erzählt Lensdorf. "Den Geruch der Dampfschiffe habe ich noch heute in der Nase."

Zur Zeit des Wirtschaftsaufschwungs in den 1950er-Jahren war der Stadtteil Ruhrort bekannt für sein Nachtleben. "Hier gab es zahlreiche Bordelle und mehr als 100 Kneipen", sagt Lensdorf. Auch das Familienunternehmen stand im früheren Rotlichtviertel.

Anbindung ans Hinterland

Der Duisburger Hafen hat eine lange Tradition: 1716 gilt als Gründungsjahr des mit zehn Quadratkilometern Fläche größten Binnenhafens der Welt. Durch seine Lage an der Ruhr-Mündung in den Rhein wird er von Seehäfen als Anbindung ans Hinterland genutzt. Seeschiffe aus Nordseehäfen wie Rotterdam, Antwerpen und Hamburg laden ihre Fracht in Duisburg auf Binnenschiffe um; dann geht die Fahrt weiter ins europäische Hinterland.

In den Sechzigern machte sich der Strukturwandel jedoch auch in Duisburg bemerkbar. Während der ersten Kohlekrise gingen viele Reedereien bankrott. "Früher lagen Schiffe drei oder vier Tage im Hafen", erzählt Lensdorf. "Die Familien gingen in Ruhrort an Land: zur Bank, zur Post und in die Kneipe." Dann kam der Umbruch, und viele Geschäfte im Stadtteil standen leer. "Heute ist die Schifffahrt anonym", sagt er. "Die meisten Schiffe sind schon am nächsten Tag wieder weg."

Diese Veränderungen hatten großen Einfluss auf Benno Lensdorfs Leben: 1963 stieg er als 20-jähriger Bankkaufmann in die Firma seines Vaters ein. "Der Strukturwandel war für mich auch der Grund, in die Politik einzutreten", erklärt er. 1970 wurde Lensdorf CDU-Mitglied, 1979 zog er in den Stadtrat ein, wurde später Fraktionsvorsitzender, dann Bürgermeister. "Ich wollte etwas in meiner Heimat bewirken." Der Wandel der Branche kostete viele Menschen ihren Arbeitsplatz, dafür entstanden neue Stellen. "Allerdings ging durch die Modernisierung ein Stück Heimat verloren", sagt Lensdorf.

Heute sind rund 300 Firmen im Duisburger Hafen ansässig. Das Areal reicht von Ruhrort den Rhein aufwärts nach Rheinhausen. Rund 17.000 Arbeitsplätze in Duisburg, insgesamt 36.000 in der Region, sind vom Hafen abhängig. Das ist etwa jeder zehnte Job in der Stadt.

1992 wurde im Duisburger Hafen ein Bahnhof für kombinierten Verkehr eröffnet. Seitdem verbindet das Terminal die drei Transportwege Schiene, Straße und Wasser an einem Ort. Seit 2012 ist Duisburg außerdem durch eine Güterzug-Strecke mit der mehr als 11.000 Kilometer entfernten chinesischen Millionenstadt Chongqing verbunden. "Das ist die neue Seidenstraße", sagt Lensdorf. Dreimal in der Woche startet ein Zug auf die 16 Tage lange Route.

Der Duisburger Hafen zählt mittlerweile zu den 40 größten Häfen der Welt. Auch, weil er sich früh dem Trend zu Containern anpasste: 1984 entstand der erste Containerterminal. Mit einer Kapazität von inzwischen fünf Millionen Standardcontainern (TEU) hat sich Duisburg zum weltgrößten Containerumschlagplatz im Binnenland entwickelt. Mehr als 20.000 Schiffe und 25.000 Züge fahren den Hafen jährlich an. "Die Hamburger schauen mittlerweile neidisch zu uns", sagt Benno Lensdorf.

Betreiber des Hafens ist seit 2000 die Duisburger Hafen AG, die mit ihren Tochtergesellschaften unter der Dachmarke Duisport agiert. Eigentümer sind zu jeweils einem Drittel die Bundesrepublik, das Land NRW und die Stadt Duisburg. Duisport entwickelt Hafen- und Logistikkonzepte rund um den Globus.

"Früher war die Schifffahrt noch heimelig", sagt Benno Lensdorf. "Die Schiffshörner im Hafen waren ständig zu hören. An Weihnachten fuhren Kirchenboote herum, Seelsorger beschenkten und betreuten die Schifferfamilien. Wenn ich als Kind die Weihnachtsmusik von den Booten hörte, wusste ich: Es ist Zeit für die Bescherung. Solche Rituale fehlen heute."

"Jedes Schiff wird willkommen geheißen"

Der Stadtteil Ruhrort aber ist immer noch durch den Hafen geprägt. "Wegen der internationalen Ausrichtung sind die Ruhrorter anderen Kulturen gegenüber sehr tolerant", sagt Benno Lensdorf. Der Lieblingsort des 75-Jährigen ist die Mühlenweide, ein großes freies Gelände am Rhein: "Sie steht für Offenheit gegenüber jedermann. Jedes Schiff wird willkommen geheißen."

Dort steht auch ein hoher Mast mit Flaggen von Reedereien und Duisburger Firmen. Ohne Lensdorf würde es ihn so nicht geben. 2008 gründete er einen Verein, um den damals maroden Mast zu sanieren. Bis heute engagiert er sich beim Verein "Maritimes Ruhrort".

Auch als sich Benno Lensdorf 2014 nach fast 40 Jahren Kommunalpolitik zurückzog, war das Wasser sein Begleiter - auf einer Kreuzfahrt von Argentinien nach Kanada. "Das brauchte ich als geistigen Abschied vom Rathaus." Ende 2017 schloss er dann nach 67 Jahren auch den Familienbetrieb.

Was bleibt, ist der Blick auf Rhein und Ruhr: Benno Lensdorf wohnt in Ruhrort mit Blick auf seinen Heimathafen. Das Wasser reizt ihn bis heute. Im Sommer möchte er nach England segeln: "Das Schiff wartet nicht."

(mba)
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