Köln FDP-Politiker bedauert tödlichen Unfall

Köln · Er galt als eine große Hoffnung der FDP, der ehemalige Vizepräsident des EU-Parlaments, Alexander Alvaro. Doch dann raste er auf der A1 in einen Unfallwagen. Seit gestern steht er vor Gericht. Er selbst hält sich für unschuldig.

Rekonstruktion des Alvaro-Unfalls
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Foto: Miserius, Uwe

Alexander Alvaro spricht stockend. Nach jedem Satz macht er eine kurze Pause. "Es ist mir wichtig zu sagen, dass der Unfalltag für alle Beteiligten eine furchtbare Tragödie war", sagt er dann. Seine Anteilnahme gelte allen, die davon betroffen seien, insbesondere den Eltern, die ihren Sohn verloren hätten. Er selbst könne sich infolge von Schädelverletzungen jedoch nicht an die Tragik dieses Unfalltages erinnern, die ihn nach wie vor erschüttere. Seine Erinnerung setze wegen retrograder Amnesie erst an dem Tag vollständig wieder ein, als er aus dem Koma erwachte, antwortet der einstige Spitzenpolitiker, der zumindest äußerlich keine Folgen davongetragen zu haben scheint.

Der FDP-Politiker und ehemalige Vizepräsident des EU-Parlaments muss sich seit gestern wegen des Vorwurfs fahrlässiger Tötung vor dem Kölner Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 42-Jährigen vor, am 22. Februar 2013 mit überhöhter Geschwindigkeit in ein bereits verunglücktes Auto gerast zu sein. Auf der A1 war es, zwischen Burscheid und Leverkusen, gegen 22.30 Uhr, als Alvaro in ein Auto hineinfuhr, das quer auf der Fahrbahn stand. Mit etwa 160 Stundenkilometern sei der querstehende Wagen zuvor über die A1 gefahren, dann habe der Fahrer die Kontrolle über das Fahrzeug verloren, referiert der Oberstaatsanwalt nüchtern die schrecklichen Details jener Nacht.

Der Wagen sei zunächst in die ansteigende Böschung geschleudert worden, dann auf dem Dach zurück auf die Fahrbahn. Dort lag er laut Staatsanwaltschaft, als Alvaro in einem A8 mit 160 bis 190 Stundenkilometern bei trockener Straße und klarer Sicht auf den Unfallwagen in Fahrerhöhe prallte. Zwar gab es an jener Stelle damals keine Geschwindigkeitsbegrenzung, "aber 110 Stundenkilometer wären angezeigt gewesen", so der Staatsanwalt, allein wegen der Dunkelheit sei das hohe Tempo nicht angemessen.

Der 21 Jahre alte Fahrer des Wagens starb, seine zwei Beifahrer wurden schwer verletzt. Alvaro kam in einem kritischen Zustand ins Krankenhaus und lag tagelang im Koma. Wenig später hob das Europaparlament seine Immunität auf. Wird er verurteilt, drohen ihm bis zu fünf Jahre Haft.

Bis zu seinem Unfall galt Alvaro als Shooting-Star der FDP. Seine politische Karriere verlief glatt: Mitglied des Bundesvorstandes der Jungen Liberalen, 2004 FDP-Abgeordneter im Europaparlament, 2011 wurde er einer von 14 Vizepräsidenten und bildete mit Alexander Graf Lambsdorff die neue Doppelspitze der FDP im Europaparlament.

An diesem Morgen im Kölner Landgericht fasst Alvaro sich kurz, als er nach seinem Lebenslauf gefragt wird. Er sei in Bonn geboren, habe die deutsche und portugiesische Staatsangehörigkeit. Den Großteil seiner Kindheit habe er in Australien verbracht, aber in Düsseldorf Abitur gemacht. Das Jura-Studium beendete er mit dem ersten Staatsexamen, weil die Europawahl 2004 "ein Mandat bescherte". Von 2011 bis 2014 sei er EU-Vizepräsident gewesen und fügt hinzu: "Wenn ich das noch richtig hinkriege." Er sei seit 2014 verheiratet und arbeite heute als selbstständiger Berater für Institutionen oder Stiftungen in Fragen der EU. Kinder habe er keine.

Alles Übrige überlässt Alvaro an diesem Morgen seinem Anwalt. "Klares Ziel ist der Freispruch", macht sein Verteidiger Hanns W. Feigen deutlich. Der Kölner zählt in Deutschland zu jener kleinen Gruppe von Anwälten, die Politiker und Manager gern verpflichten. Der Unfall sei für seinen Mandanten unvermeidlich gewesen, "so bedauerlich und tragisch er war", sagt Feigen und beruft sich dabei auf ein Sachverständigen-Gutachten, das die Strafkammer veranlasst hatte.

Zur Verlesung des Gutachtens kommt es an diesem ersten Verhandlungstag noch nicht. Wohl aber trägt der Vorsitzende Richter Ralph Ernst einen Polizeibericht vom Unfallabend vor. Danach konnten zwei Zeugen offenbar rechtzeitig anhalten, und das taten sie auch. Im Gegensatz zu rund 50 Autos, die einfach weiterfuhren. Ein Lkw stoppte Zeugen zufolge kurz, gab dann aber wieder Gas. Und ein Auto mit Berliner Kennzeichen fuhr so langsam, dass ein Zeuge den Fahrer auffordern konnte anzuhalten. Der habe gefragt: "Wieso?" Das Berliner Auto sei einfach weitergefahren.

Ganz hinten im Gerichtssaal, auf der Bank der Nebenkläger, sitzt ein junger Mann, der all dies mit unbewegter Miene verfolgt. Der linke Fuß steckt in einem Turnschuh, über den rechten passt offenbar nur ein Badeschlappen. Er ist einer der Beifahrer, die in dem Unfallauto saßen, in das Alvaro hineingerast war. Als einziger Nebenkläger ist er heute im Gericht erschienen. Die Eltern des getöteten Jungen sind nicht gekommen.

(RP)
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