Kempen Die Hauptstadt der Fledermäuse

Kempen · In der Kempener Ortschaft St. Hubert hängen mehr als 50 Fledermaus-Häuschen. In keiner anderen NRW-Gemeinde gibt es mehr.

Nur einen Finger breit ist der Abstand zwischen den Brettern im Schlafkasten der Fledermäuse: Peter Jeskes Hand passt kaum dazwischen. Er ist Ortsleiter des Nabu Kempen-St. Hubert-Tönisberg. Im Kempener Stadtteil St. Hubert sind die Nachtschwärmer beliebt: Die Gemeinde hat sich vor Jahren zum Ziel gesetzt, besonders gastfreundlich zu Fledermäusen zu sein. Der Ort gilt als erstes fledermausfreundliches Dorf in NRW und wurde vom Naturschutzbund (Nabu) ausgezeichnet.

Die Einwohner des Wohngebietes "An der Gastendonk" hatten zuvor bereits die Auszeichnung als fledermausfreundliche Siedlung erhalten. "Daraufhin meldeten sich andere Bürger, die den Fledermäusen helfen wollten", berichtet Jeske. Mittlerweile hängen im ganzen Dorf rund 50 Unterkünfte für Fledermäuse, viele haben in Gärten und auf Terrassen Sträucher und Blumen gepflanzt, die Futter-Insekten für die Fledermäuse anlocken. "Der erste Schritt im Projekt war, die Menschen dazu zu bewegen, so einen Kasten bei sich aufzuhängen", sagt Jeske. "Der zweite - zu zeigen, welche Pflanzen im heimischen Garten Insekten anlocken, damit die Fledermäuse genügend Futter haben."

Doch warum der Aufwand? Nicht nur in Nordrhein-Westfalen, auch in anderen Gebieten bundesweit sind die Flattertiere bedroht, vor allem durch Zerstörung der Lebensräume und Futtermangel. Dabei ist die Fledermaus der größte Feind von Mücken und Nachtfaltern, von denen einige Arten manchmal auch Kohl und andere Nutzpflanzen anfressen.

Wird in NRW genug für die Fledermaus getan? "Nein", findet Diplombiologe und Fledermausexperte Michael Straube. "Wir schädigen die Fledermaus zwar nicht absichtlich, aber durch unsere Bewirtschaftung und durch die Veränderungen in der Umwelt entfallen Lebensräume." Außerdem hat sich in den vergangenen Jahren die Insektenlandschaft schwerwiegend verändert. Pflanzenschutzmittel und andere Chemikalien gelangen durch die Insekten in den Körper der Fledermäuse und schwächen die Tiere. Aber auch die sogenannte Biomasse, der Umfang an Grundnahrung für Fledermäuse, ist in den vergangenen Jahren drastisch geschrumpft. Dies ergab eine Untersuchung durch Krefelder Entomologen. Demnach hatten Forscher 1989 an einem Standort noch rund 1,4 Kilogramm Bio-Insektenmasse gesammelt, 2013 waren es weniger als 300 Gramm. Unter anderem ist die starke Bewirtschaftung des Landes ein Grund für den Insektenschwund. Aber Nabu-Ortsleiter Jeske sieht die Schuld keineswegs bei den Landwirten - bei Land und Wirtschaft sei eben nicht viel Platz für Insekten.

Auch die Suche nach einem Domizil gestaltet sich für Fledermäuse zunehmend schwierig. Jeske: "Früher gab es offene Dachböden oder andere Stellen, an denen Fledermäuse 'übertagen' konnten." Dabei reichen den kleinen Säugern auch ganz schmale Spalten in Gebäudemauern. "Diese Stellen sind kleiner, als man denkt", sagt Straube. In NRW ist am meisten die Zwergfledermaus verbreitet. Ein trächtiges Weibchen passt durch einen Spalt, der gerade mal einen Zeigefinger breit ist. Aber solche Schlupflöcher sind rar: "Besonders durch Modernisierungsmaßnahmen an Häusern verschwinden die Quartiere." Vor allem der Ausbau von Dachböden und Kellern als Wohnraum, aber auch Baumaßnahmen für Energieersparnis in Häusern. Straube steht "voll hinter den Maßnahmen", jedoch sei das Gleichgewicht zwischen Quartierverlust und Neugewinn aus dem Lot geraten.

Straube bemüht sich seit Jahrzehnten, Werbung für die Tiere zu machen: "Dass in der Bevölkerung ein gutes Bild von Fledermäusen herrscht, ist nicht selbstverständlich." Vor 40 Jahren habe das noch ganz anders ausgesehen, "da galten sie als ekelig oder als Blutsauger". Heute sind die Tiere bundesweit streng geschützt. Selbst, wenn das Quartier die Hausbewohner stört, dürfen sie es nicht räumen - im Problemfall ist die Stadtverwaltung zuständig, bei Kreisstädten die Kreisverwaltung.

Wer verletzte oder geschwächte Tiere findet, kann diese zu einer "Fledermausambulanz" bringen. Manuela Menn betreibt eine Stelle für Viersen und Umgebung. Angefasst werden sollten die Tiere nur mit festen Handschuhen. Im Fall eines Bisses ist unbedingt ein Arzt aufzusuchen, um eine Infektion mit Tollwut auszuschließen. Oft sind es von Katzen angegriffene Fledermäuse, die bei Menn landen. "Wenn Flügel gebrochen sind, müssen wir das Tier leider beim Tierarzt einschläfern", sagt Menn. In vielen Fällen genüge aber eine Aufpäppelungs-Kur, und die Gäste sind wieder fit und flügge: "Ein wenig Wasser und Futter, dann geht's wieder".

(RP)
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