Ein Blick auf 128 Kilometer Autobahn Die A57 - Horror-Autobahn und Lebensader

Köln/Goch · Die A57 gehört zu den Strecken mit den meisten Staus in NRW. Sie ist Ärgernis und Wirtschaftsfaktor zugleich. Doch der sechsspurige Ausbau von nur 64 Kilometern dauert mehr als 30 Jahre – fast ein Erwerbsleben.

 Die Grafiken zeigen die neuralgischen Punkte an der A57.

Die Grafiken zeigen die neuralgischen Punkte an der A57.

Foto: Ferl

Die A57 gehört zu den Strecken mit den meisten Staus in NRW. Sie ist Ärgernis und Wirtschaftsfaktor zugleich. Doch der sechsspurige Ausbau von nur 64 Kilometern dauert mehr als 30 Jahre — fast ein Erwerbsleben.

Sie misst nur 128 Kilometer. Das ist fast nichts für eine der großen bundesdeutschen Autobahnen. Und doch ist die Autobahn A57 für Hunderttausende von Pendlern, Urlaubern und Berufsfahrern fast so etwas wie eine zweite Heimat - denn sie verbringen Stunden auf der Magistrale des Niederrheins.

Die A57 - Horror-Autobahn und Lebensader - Ein Blick auf 128 Kilometer Autobahn
Foto: Ferl

Die A57 ist Verkehrsader, Staufalle, Unglücksstraße und Wirtschaftsfaktor in einem. Wer morgens in den oft zehn und mehr Kilometer langen Autoschlangen steht und bis zu einer Stunde zu spät an seinem Zielort ankommt, flucht über die Engpässe, Baustellen und überlasteten Kreuze. Wer entlang der A57 wohnt, ärgert sich über den Lärm, verdankt aber gleichzeitig seinen Arbeitsplatz oder gar seinen Wohlstand der wichtigsten Verkehrsader des Niederrheins. Fast 13 Prozent der Wirtschaftsleistung Nordrhein-Westfalens, genau 77,5 Milliarden Euro, werden auf der Fläche zwischen Rhein und niederländischer Grenze produziert. Das ist mehr als das Bruttoinlandsprodukt der Rhein-Main-Metropole Frankfurt.

Weltkonzerne liegen an der Verkehrsader A57

Weltkonzerne wie Ford, Bayer, Covestro, Solvay und Norsk Hydro haben neben der Autobahn ihre Werke, der amerikanische Technologiekonzern 3M unterhält an der Ausfahrt Neuss-Hafen seine Forschungslabors, der Versandhändler Amazon, der Sportartikelhersteller Asics und die Discounter Aldi und Lidl betreiben ihre wichtigsten Warenverteilzentren entlang der Autobahn. Der größte Binnenhafen der Welt in Duisburg ist von der A57 binnen weniger Minuten ebenso gut zu erreichen wie die Fabriken der Lebensmittel-, Papier- und Autoteileindustrie im Neuss-Düsseldorfer Hafen.

Wer seine Freizeit im Wunderland Kalkar oder in der Skihalle Neuss verbringen will, auf den Spuren des Jahrhundertkünstlers Joseph Beuys wandelt oder den einzigartigen Archäologischen Park der einstigen Römerstadt Xanten besuchen will, kommt um die A57 nicht herum. Fast zwei Millionen Menschen wohnen in ihrem Einzugsgebiet, nicht wenige können von ihren Hochhäusern direkt den Verkehr beobachten. Für manche spielte die A57 Schicksal - als Lebensretter wie als Todesfalle. 16 Menschen starben dort seit 2011, im vergangenen Jahr waren es zwei.

Teilabschnitte hoffnungslos überlastet

Die A57 bewegt die Menschen. Wenn sie sich auf ihr bewegen können. Denn die niederrheinische Magistrale ist hoffnungslos überlastet. 254.300 Autos passieren an einem normalen Werktag den Abschnitt zwischen Neuss-Hafen und Neuss-West. Er ist eine der meistbefahrenen Stellen in Nordrhein-Westfalen. Nicht selten erreichen die Staus zwischen Kamp-Lintfort und Krefeld-Oppum mehr als zehn Kilometer Länge. Und auch in Richtung Köln-Nord heißt es oft: alles dicht. Dabei ist die A57 derzeit fast baustellenfrei. Denn die Mega-Projekte Kreuz Kaarst/Kreuz Meerbusch mit über vier Jahren Bauzeit und der sechsstreifige Ausbau zwischen Neuss-West und Neuss-Hafen mit sogar sieben Jahren Bauzeit sind fertig. Doch auf die stressgeplagten Autofahrer kommt neue Unbill zu. Bis 2030 soll die Verkehrsverbindung von Kamp-Lintfort bis Köln-Nord auf sechs Spuren verbreitert werden. Fast eine halbe Milliarde Euro soll das Vorhaben kosten. Auf 64 Kilometern zwischen der Domstadt und Kamp-Lintfort wird dann wenig gehen.

Ausschreibungen dauern über ein Jahr

Die langen Bauzeiten sind gewollt. "Die Planung und Durchführung muss alle Vorgaben der demokratischen Beteiligung, der Umweltverträglichkeit und der europaweiten Ausschreibung berücksichtigen", meint Athanasios Mpasios, Projektleiter bei Straßen NRW, der für die Bauplanung verantwortlich ist. Allein das Ausschreibungsverfahren am Ausbauabschnitt Kaarst hat über ein Jahr gedauert, ehe die Unternehmen Züblin, Frauenrath und Schnorpfeil bauen konnten.

Eine besonders hartnäckige Baustelle ist die Brücke bei Nievenheim. Brutale Rabauken hatten 2012 in einem Kunststoffröhren-Lager unter der Querung Feuer gelegt. Durch die Rauchentwicklung kam es auf der Autobahn zu einer Massenkarambolage mit einem Toten und zahlreichen Verletzten. Die Brücke selbst wurde durch die Hitze so beschädigt, dass sie abgerissen werden musste.

Seit dieser Zeit plant und baut der NRW-Straßenbetrieb an der Querung. Ein Stück deutscher Bauverwaltung im 21. Jahrhundert: Zunächst brauchte die Behörde einige Zeit, um Baurecht zu erhalten, dann wurde die Brücke innerhalb eines Jahres abgerissen. Dabei ging die Baufirma in Insolvenz. Schließlich übernahm eine andere Abteilung von Straßen NRW Planung und Ausführung. Da hatte das Projekt schon zwei Jahre Verspätung, und die Behelfsbrücke, die nach dem Abriss aufgebaut wurde, führt an jedem Werktag zu Staus und Verzögerungen.

Der Bau der endgültigen Brücke, die sechsstreifig ausgeführt wird, begann 2014 und nimmt noch vier Jahre in Anspruch. Die Ausschreibung erfolgte europaweit, Einsprüche von Anliegern mussten behandelt werden. Zudem ist der Ausbau um eine Behelfsbrücke herum technisch kompliziert. "Aufgrund der Schwierigkeiten beim Bauen unter Verkehr hat sich die Bauzeit erheblich verlängert", meint Bauplaner Mpasios. "Wir sind in einem Korsett."

Im Jahr 2018 - sechs Jahre nach dem üblen Jugendstreich - könnte dann die Brücke als erster Teil des sechsstreifigen Ausbaus der Strecke zwischen Dormagen und Neuss-Süd fertig sein. Vielleicht.

"Fehlendes Geld ist nicht das Problem"

"Die fehlende Planungskapazität, nicht das Geld ist das Problem", meint denn auch Stefan Dietzfelbinger, Hauptgeschäftsführer der IHK Niederrhein in Duisburg. Eine Autobahn wie die A57 sei die "Wirtschaftsgrundlage einer ganzen Region". Ein Engpass verzögere die Wirtschaftsentwicklung, vor allem wenn große Logistiker wie Amazon, DHL, Zalando oder Hawi-Logistics die Autobahn nutzten. Von den elf Bauabschnitten, die seit 1997 geplant sind, wurden in 20 Jahren erst zwei realisiert. Selbst wenn 2030 alles fertig ist, hätte die Verbreiterung auf einer Strecke von 64 Kilometern über 30 Jahre gedauert.

Projektleiter Mpasios verweist auf die rechtlichen Probleme: "Früher erstellten wir Plattenbauten direkt an der Autobahn." Die Bewohner nehmen den Lärm aber nicht mehr hin. So hätte die Städtische Wohnungsbaugesellschaft in Dormagen Einwendungen gegen den für sie nicht ausreichenden Lärmschutz erhoben. Der Abstimmungsprozess hat sich nicht zuletzt dadurch auf drei Jahre verlängert. Jetzt soll bei Dormagen eine Galerie mit halber Überdachung den Lärm von den Hochhäusern an der A57 abhalten. Die Baugenehmigung soll 2018 erfolgen. Rechtliche Probleme haben die Frist erneut um ein Jahr verzögert. Damit dauert allein das Verfahren bis zur Baureife neun Jahre.

"Autobahnen in NRW werden nie fertig"

Die Staus werden der Region und ihrer wichtigsten Autobahn erhalten bleiben. Vielleicht kann die Menschen am Niederrhein trösten, dass die A1 von Köln nach Dortmund bereits seit rund 40 Jahren noch nie ohne Baustelle war. "Autobahnen in Nordrhein-Westfalen", so klagte einmal Helmut an de Meulen, der langjährige Geschäftsführer des Dortmunder IT-Unternehmens Materna, "werden nie fertig."

(kes)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort