Schweizer über deutsche Unsitten Weshalb man nie – gar nie! – Fleisch zum Raclette isst

Zürich · Raclette geht immer: Überall in Deutschland wird zu Weihnachten und Silvester Käse auf Pfännchen in den Elektrogrill geschoben. Aber überbacken wir eigentlich richtig? Hier kommt eine Raclette-Anleitung aus der Schweiz.

 Draußen nur Pfännchen: Auf mindestens einem dieser Raclette-Schieber läuft etwas grundlegend falsch, sagt unser Gastautor

Draußen nur Pfännchen: Auf mindestens einem dieser Raclette-Schieber läuft etwas grundlegend falsch, sagt unser Gastautor

Foto: margouillat photo/ Shutterstock.com

Wir Schweizer lieben unsere Küche und fiese Klischees. Gerne auch solche über Deutsche. Ich war deshalb nur kurz erschüttert, danach in meinen Vorurteilen bestätigt, als der sehr muntere und gewitzte Chefredakteur der Rheinischen Post bei seinem Besuch in Zürich erzählte, dass seine deutschen Landsleute Fleisch zum Raclette essen.

Fleisch zum Raclette? Was für Barbaren! Welch kulturelle Ignoranz gegenüber einer Jahrhunderte alten Tradition. So etwas macht man nicht! Genauso wenig wie man Eiswürfel in den Rotwein oder Ketchup auf Spaghetti kippt.

Was mich aber doch ein wenig stolz macht, ist die kulinarische Verschiebung von der Weihnachtsgans (das deutsche Feiertagsgericht — dachte ich wenigstens bis heute) hin zu einem urschweizerischen Menü. Das Raclette kommt aus dem Wallis. Aus jenem Tal im Südwesten der Schweiz, wo das Matterhorn steht und Dutzende Berge die 4000-Meter-Marke überschreiten. Etwas, wovon die Österreicher nur träumen. Die haben mit Glück einen 3000er. Die Walliser selbst sind ziemlich verschrobene Kerle, deren Sprache man in der restlichen Schweiz schlecht versteht, deren Wesen sich uns nie erschliessen wird.

Aber sie können Raclette. Und würden nie, gar nie, Fleisch zum Raclette essen! Raclette genügt sich selbst. Es hat eine No-bullshit-Attitüde: Direkt, simpel, authentisch. Nicht multikulti. Es passt in seiner amorphen Veränderlichkeit von fest zu schmelzig hervorragend zur Jahresend-Abrechnung mit dem eigenen Leben, zum Alles-ist-im-Fluss. Ausserdem ist es gemütlich. Vorne zu heiss vom Ofen, im Rücken dafür zu kalt. Ein Wintergefühl. Als Vorspeise ist ein Plättli mit Walliser Trockenfleisch oder Bündnerfleisch mit einer Flasche Fendant übrigens in Ordnung. Aber danach: Hände weg vom Fleisch!

Die Frage umtreibt mich seit Jahren: Wieso ist für viele Deutsche eine Mahlzeit ohne Fleisch oder Wurst keine Mahlzeit? Geholfen hat mir der wunderbare Roman "Fleisch ist mein Gemüse" von Heinz Strunk von 2004. Es hat sich 400.000 Mal verkauft. Empfehlenswert für alle Deutschen, die sich selbst nicht verstehen.

Wie macht man denn nun ein richtiges Raclette?

Ohne Fleisch. Die Raclette-Öfen mit ihrer Teflonabdeckung verführen zu falschen Schlüssen. Sie dient nur dazu, den Käse von unten und von oben zum Schmelzen zu bringen. Der Geschmack von gebratenem Fleisch macht dem Käse auch in der Nase unnötig Konkurrenz. Das geht so wenig zusammen wie Merkel und Seehofer.

Keine Scheibletten! Achten Sie auf die Qualität des Käses. Es ist schockierend, aber er kostet so viel wie ein gutes Steak. Verlangen Sie Raclette-Käse aus der Schweiz. Deutschland ist unser größter Abnehmer, um die 500 Tonnen jedes Jahr. Kaufen Sie ihn am Stück oder besser vorgeschnitten.

Lassen Sie sich nicht zu exotischen Experimenten überreden. Pfefferkörner im Käse ist gerade noch ok. Aber nicht Knoblauch, Pilze, Paprika und sicher kein Fleisch!

Trinken Sie kein Wasser zum Raclette! Das verklumpt den Käse im Magen. Trinken Sie Schwarztee oder natürlich Weisswein dazu. Unbedingt einen Trockenen mit eher tiefem Säuregehalt wie der Walliser Chasselas. Er muss gegen die Mastigkeit und fette Schwere des geschmolzenen Käses antreten können. Ein Riesling (Kompliment, darin sind die deutschen Winzer Spitze) würde in diesem Kräftemessen versagen. Soll es Rotwein sein, dann am ehesten ein Pinot Noir. Roter wird aus Tradition kaum zum Raclette getrunken. Vielleicht ein Fehler.

Auch bei den Beilagen sind wir streng: Pellkartoffeln natürlich (in der Schweiz sind sie als "Raclette-Kartoffeln" angeschrieben), Gurken, Essigzwiebeln. Pfeffer, ein speziell komponiertes Raclette-Gewürz. Mehr braucht es nicht.

De-Luxe-Variante wäre natürlich ein professioneller Raclette-Ofen, in den ein halber Laib Käse eingespannt wird. Die oberste Schicht schmilzt am offenen Feuer und wird auf den Teller geschabt. Diese Variante ist aber kaum im Privatgebrauch — ausserhalb des Wallis. Wer hat schon ein offenes Feuer zu Hause!

Falls Sie sich unbedingt zum Narren machen wollen, schneiden Sie die Käserinde ab, bevor Sie die Scheibe in ihr Pfännchen legen und in die Hitze schieben. Das macht man nicht. Beim geschmolzenen Käse isst der Kenner die Rinde mit.

Bringen Sie den Käfig mit Ihrem Wellensittich aus dem Esszimmer. Wird Teflon stark erhitzt, entstehen Gase, die für Käfigvögel tödlich sind. Schon manch bittere Träne ist aus Unwissenheit über diese Gefahr vergossen worden.

Essen Sie nie Raclette im Sommer. Das machen nur chinesische und amerikanische Touristen auf dem Jungfraujoch. Und Walliser — aber Sie sind kein Walliser.

Und wenn Sie sich mit dem Raclette richtig auskennen, gehen wir einen Schritt weiter zum Fondue. Dann wird es erst richtig schwierig. Ich erkläre es Ihnen dann.

Peter Röthlisberger war Chefredakteur der "Blick"-Gruppe in Zürich.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien zum ersten Mal im Jahr 2016 bei RP ONLINE. Die Tipps unseres Experten haben aber nichts an Aktualität eingebüßt. Guten Appetit!

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