Kein Stein der Weißen

Vor 30 Jahren bekamen Australiens Ureinwohner ihren roten Superfelsen zurück: Seit 26. Oktober 1985 heißt er nicht mehr Ayers Rock, sondern Uluru.

Ayers Rock, der heilige Berg
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"Hier ist nichts, was normale Reisende in diesen desolaten, versandeten Teil Australiens treiben könnte." Klare Worte von Naturforscher Prof. Baldwin Spencer. Allerdings aus dem Jahr 1912. Inzwischen haben jährlich mehr als 300.000 Reisende erhebliches Interesse, zum Uluru zu kommen. 23 von ihnen sind heute unterwegs mit Ranger Lee Dalton, wollen den Sonnenaufgang am roten Superfelsen erleben, ihn umrunden und begreifen, welche Bedeutung er in der Kultur der Aborigines hat.

6.30 Uhr, dick eingepackt in Fleece-Jacken, Mützen und Schals, steigt die Gruppe aus dem Kleinbus. Nur ein paar Grad über Null. Timm (14) zittert, hat seine Handschuhe vergessen und Glück, dass Lee ihm welche leiht. Warme Farben? Nirgendwo zu sehen. Grau der Himmel, Boden, Büsche und Riesen-Felsen verschwimmen in mattbraunem Einerlei. Die Uluru-Besucher trotten los, schweigend. Nach wenigen Minuten wird das Himmel-Grau zum Himmel-Blau - so schnell, als drehe jemand am Farbknopf. Fingerzeige in Richtung Horizont, erstauntes Raunen in der Gruppe. Noch keine Sonne zu sehen und trotzdem leuchtet der Uluru plötzlich in so kräftigem Rot-Braun, als sei er binnen weniger Minuten komplett verrostet.

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Foto: shutterstock/ Henri Vandelanotte

"Das ist er ja genaugenommen seit Millionen Jahren", erklärt Lee beim ersten Stopp. Eigentlich langweilig grau, habe der Uluru einen Eisenoxyd-Überzug und sehe daher aus wie ein rostiger Metallklumpen, erklärt der Ranger. Und macht gleich darauf klar, dass er so eine Art Old Shatterhand der Aborigines ist: Kein Ureinwohner, aber doch Blutsbruder - der weiße Kämpfer für ihre Sache. "Wisst ihr, was das ist?", fragt er herausfordernd in die Runde und zeigt auf den Boden. "Gras" sagt ein amerikanischer Besucher, leicht verunsichert ob dieser Kindergarten-Frage. "Ja, Rhodesisches Büffelgras", antwortet Lee mit schnarrender Stimme, "angepflanzt nach dem großen Feuer 1976". Damals hätten die weißen Parkverwalter gedacht, die ursprünglich hier wachsenden Pflanzen seien vernichtet. "Dabei brauchen die nur winzige Wassermengen, um wieder zu wachsen", ereifert sich Lee und schimpft über die Ahnungslosigkeit damaliger Park-Ranger. Denn das Büffelgras habe sich seitdem vermehrt wie eine Krankheit, nehme vielen einst hier heimischen Pflanzen den Lebensraum. Nicht der einzige Fall: Von Europäern eingeführte Katzen hätten die Malas, eine kleine Känguru-Art, fast ausgerottet und aus den ersten, 1840 halb tot vom Schiff wankenden Kamelen seien inzwischen Millionen Höckertiere geworden, die alles kahl fräßen und sich ungehindert vermehrten.

Inzwischen guckt die Sonne über den Horizont, projiziert meterlange Schatten der Uluru-Wanderer in den roten Wüstensand. Zeit für die Frühstückspause auf einem Fels-Plateau. Und für Lees Geografie-Unterricht. Ohne Tafel und Kreide, dafür mit Händen und Füßen beschreibt der Ranger, wie der Uluru einst entstand - kritzelt per Stock ein zerbeultes Osterei in den Sand: "Zuerst war da ein Schlammklumpen aus Quarz-Sandstein und Feldspat vor 600 Millionen Jahren", doziert er. Der sei unterirdisch zusammengebacken und wie in einer Waschmaschinentrommel von Erdbewegungen hin- und hergedreht, geknetet, gepresst, wieder gedehnt und irgendwann nach oben gedrückt worden. Eine Vulkanexplosion habe es da gegeben, neun Kilometer hoch. Immerhin 348 Meter hoch rage der Inselberg seitdem auf - höher als der Eiffelturm. Das sieht man dem Uluru nicht an, weder aus der Ferne, noch ein paar Schritte neben ihm auf dem Rundweg.

"Ab hier nicht mehr fotografieren", bittet Lee ein paar Schritte weiter und weist auf eine der Kultstätten der Anangu-Aborigines hin. Jede davon ist mit einer heiligen Geschichte aus ihrer Tjukurpa genannten Mythologie verbunden, stets spielt der Uluru darin eine Rolle - etwa als Geburtsstätte für Aborigines-Mütter. Erst seit 30 Jahren wird Tjukurpa hier wieder respektiert. Denn am 26. Oktober 1985 endete die Verwaltung der Weißen am "Ayers Rock", so der damalige Name, benannt nach einem Gouverneur. Mit Beschluss des obersten australischen Bundesgerichts wurde der Felsen mitsamt umliegendem Nationalpark an die Ureinwohner zurückgegeben.

Die Anangu verpachteten diesen - gemäß Abkommen - daraufhin für 99 Jahre an den australischen Staat, übernahmen selbst die Verwaltung und änderten den Felsen-Namen in "Uluru". Seitdem bedeutet es für viele Besucher zumindest eine Überwindung, das Heiligtum zu besteigen. "170.000 Besucher jährlich tun's trotzdem", erzählt Lee am Tor zum Klettersteig, Doch inzwischen gebe es eine ebenso einfache wie wirkungsvolle Methode, sie dran zu hindern, sagt der Ranger, das erste Mal grinsend: "An mehr als 170 Tagen pro Jahr machen wir den Aufstiegspfad dicht - wetterbedingt, wie es heißt ..."

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Foto: shutterstock/ Fedor Selivanov

In gleißender Mittagssonne sieht der Uluru nun dunkelbraun, fast verkohlt aus. Die Besucher brauchen Schatten, verabschieden sich vom mythischen Monolithen, wollen ihm abends einen letzten Besuch abzustatten - aus der Ferne, beim "Sounds of Silence-Diner": Auf einem Hügel im Nationalpark wird der Begrüßungs-Champagner serviert, während der Uluru, gut zehn Kilometer entfernt wie ein Findling in der Steppe liegend, seine letzte Metamorphose im Sonnenuntergang macht: zuerst wird er weinrot, dann nachtgrau. Eine Astronomin erklärt den Sternenhimmel und entführt die Gäste vom roten Felsen zum roten Planeten Mars: "Würdet ihr Eure Wein-Bestellung da oben hinschicken, bräuchte sie acht Jahre. Die Antwort der Mars-Menschen noch einmal acht Jahre für den Rückweg. Aber Wein hättet ihr nach 16 Jahren immer noch nicht auf dem Tisch. Denn die Antwort würde vermutlich lauten: Rotwein oder Weißwein?"

(RP)
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