Info Spaniens letzte Cowboys

Jedes Jahr im Juni treffen rund 200 Männer im Nationalpark Coto de Doñana aufeinander. Sie treiben dort mehr als 1000 Wildstuten zusammen und lotsen sie durch die sandigen Dorfstraßen Andalusiens - eine jahrhundertealte Tradition.

Miguel Angel Mellado schnürt sein Halstuch fester zusammen. Dann reiht sich der 61-jährige Spanier in die zwei Dutzend Reiter ein, die nebeneinander auf ihren Pferden dicht an dicht wie eine Mauer durch den andalusischen Nationalpark Coto de Doñana traben. Mellado und die Männerschar treiben Hunderte wilder Stuten und Fohlen vor sich her. Unbarmherzig brennt die Sonne auf ihre Sombreros. Die Männer pfeifen, Cowboyrufe ertönen, Staub wirbelt durch die Luft - Wildwest-Atmosphäre in Spanien. "Die Wildpferde leben das ganze Jahr über friedlich und frei im Nationalpark. Im Sommer jedoch sammeln wir sie ein. Dann kommen Tausende Pferdefreunde aus dem ganzen Land zur Saca de las Yeguas und bestaunen, wie wir Stuten und Fohlen durch das Wallfahrtsdorf El Rocío und den kleinen Ort Almonte treiben. Ich mache das schon mit seit ich Kind bin", erzählt Miguel stolz.

Der spanische Nationalpark Coto de Doñana - ein Unesco- Weltnaturerbe - erstreckt sich auf gut 500 Quadratkilometern im Dreieck zwischen Huelva, Sevilla und Cádiz an der Costa de la Luz. Das sumpfige Küstenland des wichtigsten Feuchtgebietes Europas, die sogenannten Marismas am Fluss Guadalquivir, sind seit jeher Heimat der marismeñischen Pferde. Nur hier fühlen sie sich so wohl, dass sie ausreichend Nachkommen zeugen, um die seltene Rasse zu erhalten. Das lässt sich die Nationale Vereinigung der Züchter des marismeñischen Viehs einiges kosten. "Rund 125.000 Euro zahlen wir pro Jahr an den Nationalpark. Dafür können wir dort bis zu 1200 Pferde halten," weiß der Vorsitzende Gregorio Maraver.

Die Saca de las Yeguas, der jährliche Auszug der Stuten aus dem Doñana Nationalpark am 26. Juni, ist ein Event für Reiter und Zuschauer mit 500-jähriger Tradition. Schon am frühen Morgen des Vortags durchforsten knapp 200 Männer und einige wenige Frauen, die Yegüerizos, auf ihren Pferden die Feuchtgebiete nach den 900 Wildstuten und 300 Fohlen. Seit neuestem helfen dabei Microchips, über die sich die Pferde orten lassen. Gruppenweise treiben die Reiter sie zusammen. Kein leichtes Unterfangen für die nebenberuflichen Cowboys und die freiheitsgewohnten Stuten. Doch wenn am Abend die müden Wildpferde in einem riesigen Gatter versammelt sind und dort ihre erste Nacht in Gefangenschaft verbringen, wenn sich die Hobby-Cowboys vor ihren Zelten und in den Planwagen von den Strapazen des Tages erholen, dann ist der Doñana Nationalpark wieder so friedvoll wie eh und je.

Bis die Sonne am nächsten Morgen ihre ersten Strahlen ausstreckt. Dann scharren die Marismeños schon mit den Hufen. Denn sie wollen weiter, traben, galoppieren. Während sich das Gatter im Doñana Nationalpark leert, warten im Wallfahrtsort El Rocío schon die tausend Dorfbewohner und mindestens genauso viele angereiste Zuschauer auf die Pferdeschau. Sie drängen sich am Rande der Plaza de la Ermita, quetschen sich zusammen auf den Hausveranden in den sandigen Straßen. El Rocío gleicht einem Westernfilm: Halbhohe Theken vor den Restaurants, damit die Reiter nicht absteigen müssen, Sandstraßen für die unbeschlagenen Sumpfpferde. Dann plötzlich anschwellendes Getrappel, eine riesige Staubwolke in der Calle Sanlúcar. Die Menschentrauben schieben sich enger an die Hauswände heran. Unter den Anfeuerungsrufen der Yegüerizos galoppieren die Wildpferde über den Sand der Hauptstraße bis zur großen Plaza, wo sie sich schnaufend aneinander schmiegen. Kinder recken sich neugierig über das Absperrgitter, Eltern zücken ihre Smartphones für ein Foto. Dann wird es still. Über eine Lautsprecheransage segnet der Priester die Pferde. Für die Yegüerizos und ihr Gefolge geht es dann aber schon weiter, zur Rast in den Pinienwald von Almonte. Atemholen für die Marismeños im schattigen Gatter, Familienfeier bei Paella und Wein für die Reiter. Denn am Abend werden die Wildstuten und -fohlen vor den Augen Tausender Pferdefans weiter getrieben, durch die Straßen von Almonte. Miguel Angel Mellado ist auch dabei. "Wir werden die Tiere anschließend zählen, putzen, sie markieren, beschlagen und ihnen den Schweif kürzen, weil's hübscher und hygienischer ist. Dann geht's auf den traditionellen Pferdemarkt. Pferdeliebhaber aus ganz Spanien werden dort rund 200 der Stuten und Fohlen kaufen. Die anderen bringen wir zurück in den Doñana-Nationalpark", sagt der Hobby-Cowboy. Dort genießen die Tiere ein weiteres Jahr in Freiheit und können sich fortpflanzen, bis im nächsten Juni eine neue Saca de las Yeguas beginnt.

Die Redaktion wurde vom Spanischen Fremdenverkehrsamt zu der Reise eingeladen.

(RP)
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