Bali Seinem Glück auf die Sprünge helfen

Die Balinesen huldigen ihren Göttern in zahlreichen Ritualen. Im Zentrum der Insel kommt man dieser traditionellen Lebensweise auf die Spur.

Ein Schluck für die Gesundheit, einer für die Götter und einer für mehr Wohlstand. Drei Hände voll Wasser landen im Gesicht und anschließend wird der Kopf unter die sprudelnde Quelle gehalten. Jetzt noch ein kurzes Gebet mit gefalteten Händen vor der Stirn und schon watet Wayan Sengana durch das brusttiefe Wasser zur nächsten Fontäne. Dort die gleiche Prozedur: Dreimal trinken, dreimal waschen. Zwölf plätschernde Quellen später greift der Balinese nach einem Kanister am Beckenrand und füllt etwas von dem kostbaren Nass ab. Zwei Liter zusätzliches Glück können für zu Hause schließlich nicht schaden. "Wir müssen die ganze Woche bei uns auf den Feldern arbeiten. Meine Eltern haben es heute nicht hierhin geschafft, deswegen nehme ich was mit. Und dann haben wir in ein paar Wochen hoffentlich eine gute Reisernte", erklärt der 38-jährige Bauer, während er ein Opferschälchen zum Dank an die Götter auf den moosgrünen Beckenrand legt. Mit seinen Vorräten an Glückswasser und in triefend nasser Kleidung geht Wayan schließlich an der Schlange von Gläubigen vorbei zum Altar.

Es herrscht Hochbetrieb am hinduistischen Quellheiligtum Pura Tirta Empul. In der Waschstraße für gutes Karma wird dem Glück auf die Sprünge geholfen und den Dämonen dabei ordentlich die Ohren gewaschen - mit bestem Heilwasser, das von Göttin Indra höchstpersönlich seit 1000 Jahren aus einem nahegelegenen Vulkan ins Becken geleitet wird.

Hier im Zentrum Balis rund um die Künstlerstadt Ubud können Touristen eine reizvolle Mischung aus Religion und Tradition erleben. Denn auf der kleinen indonesischen Insel dreht sich das gesamte Leben um religiöse Riten: Der Dank an die Götter einerseits und das Beschwichtigen der Dämonen andererseits werden so zur tagesfüllenden Aufgabe. Die Hindu-Dharma-Religion - eine Verschmelzung aus Hinduismus, Buddhismus, Naturreligionen und einer ordentlichen Portion Ahnenverehrung - gibt den Takt des Alltags auf dem Land zwischen Reisanbau und Familienleben vor.

Die Stadt Ubud bietet sich als Ausgangspunkt fürs Eintauchen in die balinesische Kultur besonders gut an. Ubud ist dabei Stadt und Land zugleich: Während sich auf den Hauptstraßen ganze Rollerkolonnen, hoch beladen mit Hühnerkörben, fünfköpfigen Familien und Bambusstangen drängen, eröffnet sich in den Seitengassen eine völlig andere Welt: Biegt man ab, unternimmt man eine Zeitreise, denn hier im balinesischen Dorfleben wird Tradition in kleinen Nachbarschaftsvereinigungen konserviert. Und wenn die Menschen aus Ubud nicht gerade am Pura Tirta Empul beten, leben sie ihre Religiosität auch direkt vor der Haustüre. Das beginnt schon frühmorgens, wenn das balinesische Dorf mit dem Wettkrähen der Hähne zum Leben erwacht. Um die dämonischen Störenfriede abzulenken, gibt es erst einmal ein Frühstück: Ein Fingerhut voll Kaffee, ein kleiner Zigarettenstummel, eine pinke Blume zur Dekoration - und fertig ist das Dämonenmahl. Vor jeder Türe liegen diese liebevoll zusammengestellten Opferschälchen aus Palmblattstreifen und Bananenblättern gefaltet und mit Räucherstäbchen, Blumen und Süßigkeiten bestückt, die die bösen Geister gnädig stimmen und so das Haus und die Familie schützen sollen. Also Achtung beim Spaziergang durchs Dorf, sonst kann es schnell passieren, dass plötzlich eine Opfergabe mit einem Häppchen Klebreis unterm Schuh haften bleibt.

Nach diesem Ablenkungsmanöver für die Dämonen kann es also losgehen mit der Arbeit im Reisfeld. "Himmelsleitern" nennen die Balinesen ihre Nassfeld-Terrassen. Betrachtet man die üppige Farbpalette, weiß man warum. Mutter Natur hat hier tief in den Malkasten gegriffen, um diese Himmelstreppen zu kolorieren. Claude Monet hätte die Grüntöne nicht besser mischen können - grasgrün, lindgrün, palmgrün, olivgrün. Und die Motive der Szenerie könnten malerischer kaum sein: Lehmverschmierte Bauern stehen knietief im Wasser und drücken die Reissetzlinge behutsam in den Schlamm, während auf dem Nachbarfeld ein Büffel mit dem Holzpflug geduldig seine Bahnen zieht. Zur plätschernden Hintergrundmelodie des ausgeklügelten Bewässerungssystems schnüren auf einem anderen Feld die Frauen die geschnittenen Halme zu Bündeln. Nassreiskultivierung in Handarbeit. Hier im Zentrum der indonesischen Insel scheinen die Uhren inmitten der Himmelsleitern stehengeblieben. Es ist ein Stillleben in Bali-Grün - besonders strahlend, kräftig und belebend. Die Bitten an die Götter haben sich also gelohnt.

(RP)
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