Roadtrip zu den Wurzeln der Musik

Eine Blues-Reise führt in den Süden der Vereinigten Staaten. In Mississippi und Tennessee haben Country, Soul und Rock 'n' Roll deutliche Spuren hinterlassen.

Dünne Flüsse schleppen sich durch das Mississippi-Delta südlich von Memphis. Mancherorts sieht es aus wie in einem Überschwemmungsgebiet: Kleine Landzungen, auf denen ein paar windschiefe Hütten stehen, ragen aus dem braunen Wasser. Die Landschaft wirkt träge und verletzt, als würde noch nachwirken, was die weißen Sklavenbesitzer hier im 18. und 19. Jahrhundert mit den Farbigen getrieben haben. Sie mussten auf Baumwollfeldern bis zum Umfallen schuften. Wenn man durchs Mietwagenfenster auf das flache Land blickt, tauchen vor dem geistigen Auge die Unterdrückten von damals auf, glaubt zu sehen, wie sie ihr Leid klagen und beginnen, leise vor sich hin zu singen. Man kann sich vorstellen, dass dies die Wiege des Blues ist. Und merkt schnell: Wir befinden uns im Süden der USA auf einem Roadtrip durch die Geschichte der amerikanischen Musik. Von Blues bis Country, von Soul bis Rock 'n' Roll.

Die Reise muss an jenem Ort beginnen, an dem der Blues den Sprung auf die Bühne schaffte: die Dockery Plantat-ion, eine ehemalige Farm bei Ruleville im Sunflower County. Der Wind klappert mit den Brettern der alten Scheunen. Wenn man auf einen Knopf drückt, scheppert Charley Patton aus den Boxen auf der kleinen Bühne. Er gilt als erster (kommerzieller) Blues-Musiker und hatte hier vor rund 100 Jahren seinen ersten Auftritt. B.B. King adelte diesen Platz Jahrzehnte später, als er sagte: "Hier fing alles an." Wer Glück hat, trifft auf William Lester, der in einer ehemaligen Tankstelle sein Büro eingerichtet hat. Seine Erzählungen sind Blues-Geschichte, handeln von Musikern, die ihre Seele verkauften, um die Gitarre perfekt zu beherrschen. "Die Wahrheit ist nicht viel besser." Obwohl die Sklaverei längst abgeschafft war, wurden die Farbigen immer noch wie Vieh gehalten, sagt er. "Wer musikalisches Talent hatte, musste auf dem Feld doppelt so hart schuften, damit man ihm einen Bühnenauftritt erlaubte."

Wie damals ist Baumwolle noch immer die wichtigste Exportware der Region. Der harte Job auf den Feldern wird lausig bezahlt, aber es gibt kaum andere Arbeitsplätze im Mississippi-Delta. Deswegen bluten die kleinen Städte aus und verfallen. Sie machen einen traurigen Eindruck, aber auf Musik-Touristen kann gerade das einen charmanten Effekt haben. Das Örtchen Clarksdale, Heimat von John Lee Hooker, wäre mit blühenden Geschäften, sauberen Pubs und eleganten Hotels nicht vorstellbar. Der Blues wabert durch die verfallenen Hinterhöfe. Ein junger Mann sitzt mit Gitarre vor einem Musikgeschäft und klagt singend über die Welt. Er trifft nicht jeden Ton, aber auch das passt nach Clarksdale. Wer perfekt ist, kommt nicht hierher, der rockt die großen Bühnen. Diesen Eindruck vermittelt auch das Blues-Museum im alten Bahnhof: Man gibt sein Bestes, aber es ist halt nicht so einfach, wenn Geld und Inspiration fehlen.

Das B.B. King-Museum in Indianola ist ein anderes Kaliber. Es gibt starke Filme und interaktive Momente. Die Ausstellung geht weit über B.B. King und den Blues hinaus, denn auch der Rassenhass und die Bürgerrechtsbewegung sind große Themen. Und man kann virtuell in das bunte Leben von Memphis eintauchen. Wie viele Musiker machte sich auch B.B. King auf in die Stadt. Der Ort im nördlicher gelegenen Bundesstaat Tennessee bildet das Ende des Roadtrips. Memphis ist die ehemalige Musik-Hauptstadt der USA, in dem sich die Blues-Musiker zu internationalen Größen entwickelten, das Plattenlabel Stax Soulstars formte, Johnny Cash den Country berühmt machte, Elvis rockte und heute immer noch viele von einer großen Karriere träumen.

So wie Mike McCallan. Wenn die Besucher nachher weg sind, wird der Sänger für eine Nacht den Aufnahmeraum des legendären Sun Studios mieten, um sein erstes Album auf Tonträger zu bannen. Er finanziert alles aus eigener Tasche und hat damit einen prominenten Vorgänger: Ein gewisser Elvis Aaron Presley schneite 1953 herein, legte ein paar Scheine auf den Tresen und sang zum ersten Mal in ein Mikrofon. Der Rest ist Geschichte. Der Raum ist angeblich unverändert. Dem zerkratzten, gelben Fliesenboden ist anzusehen, dass Jerry Lee Lewis und Roy Orbison hier wilde Feten feierten. Tagsüber kommen nun die Musik-Touristen und lauschen Geschichten über die wilden Zeiten und Partys. Wenn sie abziehen, erwacht das Studio wieder zu richtigem Leben. Für 2000 Dollar pro Nacht lebt der Traum von der eigenen Musikkarriere. "Wenigstens einmal wie Elvis fühlen", sagt Mike zum Abschied.

Die Reise wurde unterstützt von Memphis und Mississippi Tourism.

(RP)
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