Östliches Naturparadies Riesenbären, Riesenberge: Touristikziel Kamtschatka ist im Kommen

Petropawlowsk-Kamtschatski (RPO). Der Weg ins märchenhafte Land im Osten führt über Tausende Kilometer Nichts. Nachts, wenn die Iljuschin-96 die endlosen Weiten Nordsibiriens überfliegt, spiegelt sich der Mond romantisch in vielen kleinen Seen und Flüssen.

Beeindruckendes Kamtschatka
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Der Anblick der menschenleeren Tundra macht müde. Doch um 22 Uhr Moskauer Zeit gehen im Flieger die Lichter an und eine muntere Stewardess-Stimme sagt: "Guten Morgen, gleich gibt es Frühstück". Am Horizont, dort, wo der Himmel glüht, dämmert der neue Tag. Nach neun Stunden in der Luft beginnt die Il-96 den Sinkflug über den weißen Vulkanketten. Am Boden eilen unrasierte Männer, die nach Wodka riechen, zum Gepäckband, um ihre Gewehre, Zelte und Angelruten zu holen. Die Touristen sind aufgeregt, weil sie am Ziel ihrer Träume sind: in einem Naturparadies, das bis jetzt weitgehend so geblieben ist, wie es die ersten Siedler erlebt haben. Kamtschatka wartet darauf, von Abenteurern erobert zu werden.

Entspannen in Thermalquellen

Auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt gleich die erste Überraschung: Anders als in Moskau lauern keine korrumpierten Polizisten am Straßenrand, um Geld für Verkehrsdelikte abzuknöpfen, die man nicht begangen hat. "Die haben Angst, erwischt zu werden. Schließlich leben hier nur wenige Menschen und jeder kennt jeden", erklärt Jewgenij Korotajew, Direktor der Reisefirma "Kamtschatkas Vision" (www.kamchatka.org.ru). In Petropawlowsk-Kamtschatski hält Jewgenij vor dem gusseisernen Lenin an, der sehnsüchtig zu den schneebedeckten Vulkanen starrt. Am Straßenrand spielen Kinder statt in einer Sandkisten auf einem alten rostigen Schnellboot. "Lass uns ein wenig entspannen", schlägt der 39-jährige Jewgenij vor. Das bedeutet auf Kamtschatka in den meisten Fällen: Ab in die Thermalquellen.

Wir klettern einen Waldabhang hoch, bis wir die Stelle erreichen, wo der Berg 39 Grad warmes Wasser spuckt. Es fällt in ein kleines Becken, das jemand aus Steinen gebaut hat. Nach einer halben Stunde im dampfenden Nass verliert man das Körpergefühl, der Kopf wird leicht und frei von Gedanken und Sorgen. Unsere Blicke schweifen über die schöne Landschaft aus bunten herbstlichen Wäldern mit riesigen braunen Bergen, aus denen weißer Rauch zum Himmel aufsteigt. In der Ferne kracht die Brandung des Pazifischen Ozeans über schwarze Vulkanstrände. "Ich wollte einmal auswandern", sagt Jewgenij. "Es war eine schwierige Zeit. Ich hatte in meiner Wohnung schon Landkarten von Neuseeland aufgehängt. Aber dann wurde mir klar: Ich werde dieses schöne Land niemals verlassen können".

Noch wenige Touristen

Jewgenij hatte als Geologe gearbeitet, als die Sowjetunion zusammenbrach. Wenig später hatte der Vater zweier Söhne keinen Job mehr. Um seine Familie zu ernähren, wilderte er auf Kamtschatkas Flüssen und schmuggelte getrocknete Bärengalle nach Südkorea. Die ewenkischen Schamanentrommeln aus eigener Herstellung brachten viel Geld ein, doch die Arbeit war zu mühsam. Also gründete Jewgenij eine Reisefirma. Unter den 200 Reisefirmen auf der Halbinsel — nur etwa 70 sind tatsächlich aktiv — gehört "Kamtschatkas Vision" zu den größten. Wobei die Touristenzahlen nicht beeindruckend klingen — lediglich 248 Besucher hat Jewgenij dieses Jahr empfangen, das waren 100 mehr als im Vorjahr. Insgesamt haben 2005 mehr als 12.000 Touristen das vulkanische Land besucht. Die Zahl der ausländischen Reisenden stieg binnen eines Jahres um 70 Prozent auf rund 4200. Auch 213 Deutsche waren darunter. "Das Urlaubsziel Kamtschatka ist im Kommen", sagt Jewgenij, der mit dem Bonner Unternehmen Olympia Reisen kooperiert.

In dem ökologischem Riesenmuseum unter freiem Himmel mit 20 Klimazonen, wo es keine Eisenbahn gibt und wo man auf der Landstraße stundenlang alleine unterwegs ist, können Naturliebhaber und Abenteurer Geysire bewundern, auf Vulkanen wandern, Ski fahren, im Sommer und Winter in heißen Seen mit Heilwasser baden, auf malerischen Flüssen raften, auf dem Ozeanboden mit zwei Meter großen Krabben spielen, Lachse angeln und in den Eingeborenendörfern das Leben der Ureinwohner studieren. Viele kommen auch wegen der berühmten Bären, die man fast überall in freier Natur beobachten kann.

Von Bären und bunten Fischen

Auf Kamtschatka lebt die größte Braunbärenpopulation Eurasiens, die etwa 10.000 Tiere zählt. Die 600 Kilogramm schweren und drei Meter großen Kolosse, die sich gerne von Lachs ernähren, greifen selten die Menschen an. Umgekehrt werden die zutraulichen Grizzlys oft Beute von reichen Russen und Europäern, die für organisierte Hetzjagden mit Schneemobilen und Hubschraubereinsatz bis zu 1000 Euro hinblättern. "Zwei Jahre lang durften die Bären in den Frühlingsmonaten nicht geschossen werden, das brachte viele Jagdreisenveranstalter an den Rand des Ruins", erzählt Jewgenij. Doch 2007 soll das Moratorium wieder aufgehoben werden. Kein Wunder, dass Kamtschatka nächstes Jahr eine Rekordzahl von Touristen erwartet.

Der Direktor von "Kamtschatka Vision" macht sich schon Gedanken, wie er noch mehr Urlauber ins Naturparadies locken kann. Jewgenijs neueste Idee ist der Bau eines kleinen Thermal- und Meereswasserbads, in dem Urlauber mit bunten Fischen um die Wette schwimmen könnten. "Es geht bergauf mit uns. Kamtschatka erwartet eine große Zukunft", sagt der Russe zum Abschied im Flughafen von Petropawlowsk. Im November will Jewgenij die erste Auslandsreise seines Lebens wagen, um auf einer Touristikmesse im fernen London für die wilde und geheimnisvolle Heimat der Riesenbären zu werben.

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