Malta-Reis in der Stockholmer Vorstadt

Vieles ist vertraut und doch ist einiges ganz anders bei der schwedischen Weihnacht: Eine Möglichkeit, mehr über Traditionen und Festessen zu erfahren, ist ein Abend im Kreise der Familie.

Als unwissender Ausländer fällt man den Schweden am Julbord schnell auf. Denn auch wenn die üppige Weihnachtsvöllerei mit seinen sieben Gängen von Anfang an wie ein Büffet aufgebaut ist, geht es der Reihe nach. "Erst kommt der Hering und dann arbeitet man sich von Gang zu Gang bis zum Nachtisch vor", erklärt Barbro Andersson, die Gastgeberin, die an diesem vorweihnachtlichen Dezemberabend völlig fremden Besuch aus Deutschland zu sich nach Hause eingeladen hat. Ein Julbord gibt es zwar nicht. Das wäre ja auch viel zu aufwendig gewesen. Trotzdem hat sie ein paar Gänge zubereitet, die auch etwas mit schwedischer Weihnacht zu tun haben.

Auch wer keinen Schweden kennt, darf sich auf so einen Abend freuen. Es gibt nämlich spezielle Reiseveranstalter, die solche Treffen mit Einheimischen arrangieren. Für den Weg zu Barbro braucht die Straßenbahn genau 24 Minuten vom Stockholmer Zentrum. Das Ziel ist Hagsätra, ein Vorort, wohin sich sonst kaum Touristen verirren.

Draußen ist es knackig kalt und verschneit. Überall leuchten die typischen Papiersterne heimelig in den Fenstern. Und einer davon gehört Barbro, die schließlich die Tür zu ihrer gemütlichen Wohnung öffnet: Sie ist eine ältere Dame in den 70ern und hat graue, kürzere Haare und eine markante Brille. Sie war verheiratet mit Hans, lebt aber seit dessen Tod vor vier Jahren allein. Zur Verstärkung für den Besuch aus Deutschland hat sie auch ihren Schwiegersohn eingeladen: Peter, 47, staatlich angestellter Controller.

In Barbro Gesellschaft vergisst man schnell, dass man sich eigentlich nicht kennt, dass man am Tisch mit völlig Fremden zusammensitzt. Schließlich gibt es von Anfang an eine Menge zu reden - auf Englisch, das in der Runde für alle kein Problem ist. Es wird vertraut über Gott und die Welt gesprochen, zunächst vor allem aber über schwedische und deutsche Weihnachtsbräuche.

Zur Begrüßung schenkt Barbro eine Aufwärmrunde warmen Glögg, also schwedischen Glühwein, ein. Wie auf den Weihnachtsmärkten in der Stadt fließt er auch bei ihr in homöopathischen Dosen ins kaum mehr als fingerhutgroße Glas. "Glögg kann sehr stark sein - daher die kleinen Gläser", vermutet sie lachend und schenkt gleich vom Glögg nach, in dem einige Gewürze sind. Zimt, Nelken, getrockneten Ingwer, Kardamom, Orangenschale, Rosinen legt sie für vier Tage in Schnaps ein. "Und das alles mische ich dann mit zwei Flaschen Rotwein und Zucker", erklärt sie und holt kurz darauf die Vorspeise.

Es gibt: Grünkohlsuppe, die lange zu den traditionellen Weihnachtsgerichten zählte. "Heutzutage wird sie seltener zum Fest gekocht", erklärt die Schwedin, als sie Kelle für Kelle auftut und halbe, gekochte Eier dazu anbietet. "Damals gab es nicht so viel Gemüse zu der Jahreszeit und dass der Grünkohl im Dezember nach dem ersten Frost geerntet wurde, sorgte für einen reicheren, intensiveren und leicht süßen Geschmack", erklärt sie mit dem letzten Löffel und verschwindet schon wieder Richtung Herd für die Hauptspeise: Kalbsbraten, dazu eine cremige Soße, Gemüse, Kartoffeln und Barbros favorisierte Lingonbeeren-Marmelade. Ein typisches Sonntagsessen, das aber auch zu Weihnachten auf den Tisch kommt.

Früher gab es bei Barbro als Festessen immer das volle Julbord, also das Weihnachtsbuffet, und dann wurden im Laufe des Tages die Geschenke unter den Baum gelegt. Einige von ihnen hatten Schildchen mit gereimten Versen, wie sich Barbro lachend erinnert. "Wenn der Schenkende talentiert war. Mein Vater konnte gut reimen!" Aufgewachsen ist Barbro in einem Dorf namens Odensvi in den 1940er Jahren. Dort plünderten sie und die anderen Kinder im Januar den Weihnachtsbaum mit den daran aufgehängten Süßigkeiten. Dazu wurde fröhlich im Kreis getanzt - das würde heutzutage kaum noch jemand machen. Außerdem erinnert sie sich daran, wie sie vor dem Weihnachtstag immer in ganz frische Bettwäsche schlüpfte und nicht schlafen konnte, weil sie wusste, dass ihre Mutter alle Dekorationen vorbereitete. "Am Morgen wurden wir dann von unseren Eltern geweckt - mit Kerzen, heißer Schokolade und Safranbrot."

Als sie später selbst eine Familie hatte, entwickelten sie ihre eigenen Rituale - ganz ohne Weihnachtsmann. "Ich denke, dass für eine Familie ein besonderer Wert darin liegt, Traditionen aufrecht zu erhalten und mehr oder weniger jedes Jahr gleich zu feiern." Und zu diesen Traditionen gehört für viele Schweden auch der Nachtisch: Rice à la Malta.

Es handelt sich um einen Milchreis, reich, süß und cremig, mit Zucker, Vanille und Sahne daruntergemischt und Orangenscheiben oben drauf. "Ich glaube, der Nachtisch geht zurück auf die Nachkriegszeit in den 1940ern, als wieder Orangen erhältlich waren. Mit Malta hat er aber wahrscheinlich nichts zu tun." Dann ist das Essen vorbei, der Abend klingt langsam aus, die Kerzen brennen herunter und der Rotwein leert sich. Schließlich ist es spät. So spät, dass die Zeit nicht mehr reicht, den selbst gebackenen Pepperkorka, den Pfefferkuchen, zu verzieren. Stattdessen gibt ihn Barbro mit auf den Weg, bevor ihr zum Abschied noch das Julbord einfällt, das sie in Stockholm mal erlebt hat. Ein schöner Tipp, um am nächsten Abend üppig vollverpflegt durch die Schären zu schippern, zurück unter Stockholms Touristen - ohne als Julbord-Anfänger aufzufallen.

Die Redaktion wurde von Visit Sweden eingeladen.

(RP)
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