Kulinarische Reise Im Süden Frankreichs steht die Zeit still

Die Region Languedoc-Roussillon ist geprägt von Einflüssen unterschiedlicher Kulturen. Eine verträumte Stille breitet sich über die Landschaft aus.

 In Carcassonne scheint die Zeit stehen geblieben.

In Carcassonne scheint die Zeit stehen geblieben.

Foto: Boris Stroujko /Shutterstock.com

Was, bitteschön, ist im Süden Frankreichs eigentlich französisch? Agde, die Stadt am Mittelmeer, gehörte den Griechen, Nîmes den Römern. Narbonne war die Hauptstadt der Westgoten und Perpignan die Hauptstadt des Königreichs Mallorca. Das Städtchen Collioure gehörte den Malern des Fauvismus, Céret den Künstlern des Kubismus und die Camargue nach wie vor den Pferden. Einen kompletten Kreuzgang eines Klosters, Stein für Stein abgebaut, besitzt heute New York, und die armen Cevennen gehören niemand, weil keiner sie haben will.

In Roussillon spricht man Katalanisch. Spanien beginnt ja gleich um die Ecke, hinter den Pyrenäen, und in einer Stunde wäre man mit dem TGV in Barcelona. Wir aber sind erst einmal in Nîmes - und wollen nicht mehr weg. Der Tempel ist ebenso offen wie die Arena, die Museen laden ein. Und das, so scheint es, seit 2000 Jahren. Eine bemerkenswerte Stadt.

Dann, weiter landeinwärts, der Kanal. 1681 fertiggestellt, ist der Canal du Midi heute Weltkulturerbe. Verträumte Stille. Ein Wasserspiegel wie aus Samt. Am Ufer: mächtige Schirmpinien, die einander hoch über dem Wasser berührend und ein Dach bilden. Eine Parklandschaft mit Flusslauf. Und dann und wann eine Schleuse, insgesamt sind es 99. Wenn es steil wird, braucht man Schleusentreppen mit bis zu sechs Stufen. Plötzlich herrscht etwas Betrieb, als die hellen Boote gehoben oder gesenkt werden.

Aber alles gemächlich. Man hat Zeit. Wir sitzen bei einem Glas Wein am Ufer und grüßen dezent hinüber. Die Boots-crew, ein Ehepaar aus Belgien, winkt freundlich zurück: "Bonjour!" Der Kanal reicht vom Mittelmeer bis nach Toulouse. Von dort könnte man bis zum Atlantik schippern. Wir wollen aber nur bis Carcassonne, wo die Zeit stehengeblieben scheint. Mit ihren Türmen und Toren, Zinnen und Zwingern, Bastionen und Barbakanen, ist die Stadt vor jedem Ansturm sicher, nur nicht vor den drei Millionen Besucher pro Jahr.

Auf dem Weg ins Schwarze Gebirge fallen die vielen Gäste kaum noch auf. Kein Vergleich zum Schwarzwald. Stattdessen sanfte Hügel, auf denen der Wein wächst. Heidi van den Akker, holländische Marketingchefin des edlen Weingutes in Pennautier: "Sie sollten mal unseren Cabardès-Wein probieren. Der hat Charakter und, wenn Sie ihm zuhören, sogar Weisheit."

Die Landschaft wirkt wie ein Teppich aus Trauben. Ein glückliches Land, verfügt es doch über so viele Reben - sollte man zumindest meinen. Doch wir sind auch im Land der Katharer. Hier brechen Wunden auf. Die Katharer, die Ketzer, sie waren die Reinen, wie sie glaubten. In Wirklichkeit waren sie die Verlierer der Geschichte. Im 12. Jahrhundert hatten sie regen Zulauf, stellten sich gegen die katholische Kirche, lehnten die Sakramente ab, hatten eigene Bischöfe und verhöhnten das Jüngste Gericht.

Dagegen half nur Gewalt. Es kam die Stunde der Inquisition. Was folgte, waren Mord und Massaker, den Rest besorgten die Kreuzritter. Die Katharer flohen in die Berge. Die langsam zerbröselnden, aber immer noch mächtigen Ruinen der Gralsburgen Montségur, Puilaurens oder Quéribus sind stumme Zeugen eines schauerlichen Endes. In ihnen harrten die Belagerten lange Zeit aus. Innerhalb weniger Generationen waren die Katharer im 13. Jahrhundert ausgelöscht.

Mit derlei schweren Gedanken beladen, haben wir uns den Pyrenäen genähert. Wir könnten es so wie Kurt Tucholsky machen. Der ist zum Abschluss seiner Pyrenäenreise 1925 auf den Canigou geklettert. "Kaum sind acht Stunden vergangen, bin ich oben", nach immerhin 2785 Metern, "und war sehr glücklich".

Glück gibt es auch unten an der Küste des Löwengolfs - mit kilometerweiten Stränden: Collioure, Agde, Sète, Aigues-Mortes. Aber auch hier sind wir nicht die Ersten. Ernest Hemingway war schon da. Sein Hotel in Grau-du-Roi existiert noch immer, etwas heruntergekommen zwar, aber damals war er fraglos im sprichwörtlichen "Garten Eden". Genauso heißt auch sein Roman.

Und genauso fühlen wir uns. Gleich neben der Mole öffnet sich der Strand vor unseren Augen. Die Möwen kreischen, dass es eine Lust ist. Oder lachen sie? So hört es sich zumindest so an. Ihnen geht's gut. Uns geht's gut.

Wir gehen quer zum Meer, schlurfen durch den feuchtweichen Sand, lassen die Gischt durch unsere müden Zehen spülen. Das Meer glitzert, die Sonne wärmt, das Wasser kühlt. Ein bisschen Eden ist hier immer ganz nah.

Die Redaktion wurde von Atout France zu der Reise eingeladen.

(RP)
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