Wales Gegen den Wind

Wales ist das kleinste Land des Vereinigten Königreichs. Doch es hat mehr als 1200 Kilometer Küstenlinie. Noch länger ist der Wanderweg Wales Coast Path. Dylan Thomas schrieb in Laugharne sein bekanntestes Werk "Unter dem Milchwald".

In der kleinen Hütte am Strand sieht es aus wie bei den sprichwörtlichen Hempels unter dem Sofa. Zerknülltes Papier liegt auf Fußboden und Schreibtisch, leere Flaschen stehen herum, Stühle sind umgeworfen, Stifte überall verteilt. Chaos herrscht in dem Schuppen, in dem der walisische Dichter Dylan Thomas seine zweite und wichtigste Schaffenszeit hatte. So jedenfalls haben es seine Biografen festgehalten.

Die blaubraun gestrichene Hütte an einer Straße in Laugharne war Büro und Rückzugsraum. Nur ein paar Meter weiter steht das Boathouse, ein weißes Haus auf einer Klippe. Hier lebten Thomas, seine Frau und die drei Kinder. Eine befreundete Schauspielerin hat das weiße Haus für den Literaten gekauft, der zeit seines Lebens knapp bei Kasse war - und das bisschen Geld, das er hatte, für Alkohol ausgab.

1949 war Dylan Thomas zurück nach Wales gekommen. Hier, in seiner kleinen, chaotischen Garage hat er sein bekanntestes Werk "Unter dem Milchwald" geschrieben. Und zahlreiche Gedichte. Das Bootshaus und das kleine Dorf, in dem Thomas beerdigt wurde, nachdem er 1953 in New York gestorben war, wird heute von Fans des Schriftstellers besucht. Laugharne liegt am Wales Coast Path - das erklärt die vielen Menschen mit Rucksack, Wanderoutfit und festen Schuhen. 870 Meilen oder rund 1400 Kilometer ist der Wanderweg lang, der fast komplett an der Küste des kleinsten Landes im britischen Königreich entlangläuft. Blaue Schilder mit einer gelben Welle weisen auf den Weg hin, der in Queensferry beginnt, auf rund 200 Kilometern die Insel Anglesey umrundet und im Süden bis nach Chepstow führt. "Würde man den ganzen Coast Path bewandern wollen, wäre man sicher acht Wochen unterwegs", sagt Harri Roberts, der mehrere Reiseführer über den Weg geschrieben hat. Und der Coast Path ist nicht gerade flach.

Zwar führen zahlreiche Abschnitte über die Strände und Buchten an der etwa 1200 Kilometer langen walisischen Küste. Doch immer wieder geht es auf Berge und Hügel, an Klippen entlang und durch Wiesen, auf denen Schafe blöken und Kühe vor sich hinkauen. Das Wetter ist nicht zu unterschätzen. "Der Wind weht einem ins Gesicht, egal, in welche Richtung man auf dem Weg geht", sagt Roberts. Und dann gehört Wales auch noch zu einem der regenreichsten Länder in Europa.

Im Jahr 2012 ist der Coast Path nach fünf Jahren Vorbereitungszeit in Betrieb genommen worden. Zeit braucht der Reisende für die vielen Sehenswürdigkeiten, die es zu entdecken gibt: Burgen, Schlösser, Kirchen und Klöster sind oft nur wenige Schritte entfernt. Und Orte, die wie Fremdkörper in der Landschaft erscheinen. Portmeirion zum Beispiel, eine Art Vergnügungspark. Man kommt sich vor wie in einem italienischen Fischerdorf: bunte Häuser, prächtige Blumen, dazu Palmen, Statuen und Springbrunnen. "Hier hat sich Sir Bertram Clough Williams-Ellis einen Traum verwirklicht", sagt der Manager der Anlage, Meurig Jones. "Er wollte Schönheit in die Welt bringen, als es davon nicht allzu viel gab."

Das war nach dem Ersten Weltkrieg. 1925 kaufte der walisische Architekt ein kleines Anwesen am Rand von Snowdonia. Und dann ging er auf eine Suche, die sein Leben lang andauern sollte. "Im Grunde war er ein Messie", sagt Jones. "Er konnte auf nichts verzichten." Clough Williams-Ellis sammelte aber keine Teetassen oder Autos, sondern gleich Teile von Herrenhäusern und anderen Bauwerken, die ihm geschenkt oder für wenig Geld vermacht wurden. "Und so entstand über fast 50 Jahre das Gesamtkunstwerk, das Portmeirion heute ist."

Der Architekt bediente sich optischer Tricks und Täuschungen, baute zusammen, was eigentlich gar nicht zusammenpasste und am Ende doch ein großartiges Ensemble ergab. Seine Idee war von Anfang an, das Dörfchen am Hügel zu einem Touristenziel zu machen, um es mit den Einnahmen zu finanzieren. Offenbar war der geadelte Architekt zufrieden mit seinem Gesamtkunstwerk - als er 1978 in hohem Alter verstarb, hatte er nur einen letzten Wunsch: Seine Asche sollte mit einem Feuerwerk über Portmeirion verstreut werden.

Ganz so exzentrisch geht es in Nant Gwrtheyrn nicht zu - auch wenn die Geschichte des Dorfes an der Nordküste der Lleyn-Halbinsel in Nord-Wales durchaus wechselhaft war. "Seit Jahrtausenden schon ist das Land besiedelt, doch als der Granitbergbau stillgelegt wurde, verfiel alles", sagt Mair Saunders. Sie leitet das Welsh Language Centre, in dem heute vor allem Sprachkurse für alle angeboten werden, die Walisisch lernen wollen. "Es werden immer mehr", sagt die kleine Frau mit den dunklen Haaren. Nur rund 20 Prozent der Waliser geben in offiziellen Umfragen an, die Sprache zu beherrschen. "Aber die Menschen zeigen wieder Interesse daran." Auch Wanderer können sich für einige Tage in die schicken Cottages einmieten, um sich die Grundlagen des Walisischen anzueignen.

Schwierigkeiten bereitet ihr die Sprache bis heute, sagt Anne Smith. Vor gut 15 Jahren kam sie aus London nach Rhiw - einem kleinen Dorf auf der Lleyn-Halbinsel. Die gelernte Grafik-Designerin hatte die Nase voll von dem hektischen Leben in der Großstadt - und macht heute Glaskunst in einer kleinen Hütte neben dem Bed-and-Breakfast, das sie betreibt. "Ich will nie mehr woanders leben", sagt sie. Sie bekocht ihre Gäste mit viel Liebe und frischen Produkten aus der Umgebung. "Mit den Fischern halte ich jeden Tag ein Schwätzchen, bevor ich mir ihren Fang ansehe." Sie wandert für ihr Leben gern, auf dem Coast Path oder einem der zahlreichen kleinen Wege im Hinterland. Es gefällt ihr, dass sie nicht immer auf andere Wanderer trifft. "Es ist hier ein bisschen wie in Cornwall - nur mit weniger Menschen."

(RP)
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