Wyk Föhr verführt - auch mit Kunst

Wyk · Die Insel Föhr steht für vieles: brausende Nordsee, unendliches Watt, befreiende Seeluft. Und sie hat ein Museum, das so unerwartet und bezaubernd daherkommt, dass weitererzählt werden muss: In Alkersum gibt es einen Ort zum Staunen.

Alkersum ist ein winziger Ort mitten auf der Nordsee-Insel Föhr. Von Dagebüll aus nimmt man die Fähre der Wyker Dampfschiffs-Reederei, landet nach einer Stunde im gemütlichen Hauptort Wyk und fährt am besten die paar Kilometer mit dem Fahrrad nach Alkersum. Alkersum, schon der Name dieses 400-Seelen-Nestes schmeckt nach Wetter, Watt und Wunderlichem. Der Ort wirkt friesisch zurückhaltend, Reet-Dächer und viel Grün, keine Häuser mit großer Geste, kein Protz wie auf Sylt, dem großen Nachbarn im Norden.

Auch das "Museum Kunst der Westküste", kurz "MKDW", wirkt auf den ersten Blick unscheinbar, taucht eher plötzlich auf, fügt sich in den stillen Ort, schreit nicht "hier bin ich", sondern zeigt sich bescheiden. Das Museum, ein Gebäude- und Garten-Ensemble, fügt Altes und Neues zusammen, architektonisch außen und durch die Kunst im Innern. Es atmet die Insel. Und die Kunst. Wären da nicht Fähren und Gezeiten, das "Museum Kunst der Westküste" wäre sicher regelmäßig Pilgerstätte aller Kunstfreunde der Republik. Doch die Insellage schafft Distanz - und so müssen wir Inselneulinge dieses Haus entdecken.

Meine Entdeckung beginnt mit einem Skizzenblock und einem Stift. Mit acht Kursteilnehmern auf dem Boden sitzend folge ich den Erläuterungen von Museumspädagogin Sylvia Haumersen (49). Maxi, Felix, Emma, Lilli, Paula, Flora, Tim oder Sven steht auf den Skizzenblöcken. Bei mir Wolfram. Es ist ein Workshop für Kinder. Ich bin Gast. Wir gucken uns eine Skizze von Max Liebermann (1847-1935) an. "Badende Knaben", gezeichnet in Holland 1909. "Traut ihr euch, einen Menschen zu malen?", fragt Sylvia. Emma (6) entscheidet sich lieber für ein Schiff. Wir anderen trauen uns. Und gewinnen Respekt vor dem einfachen, genialen Strich.

Die Ausstellung "Max Liebermann und Zeitgenossen" wurde im Sommer gezeigt, eine Werkauswahl der eigenen Sammlung ist aber stets Teil des Museumskonzeptes. Die Sammlung wird wechselnd in einen neuen Zusammenhang gebracht. Die neue Ausstellung, die am 17. September eröffnet worden ist, heißt "Jenseits der Zeit. Jochen Hein und die Sammlung Kunst der Westküste". Spannend: Küsten-Klassiker treffen auf einen Kunst-Könner unserer Zeit.

Bilder von Jochen Hein (55), ein Maler aus Husum, der in Hamburg arbeitet, hängen bereits unter dem Titel "Über die Tiefe" im Föhrer Museum. Noch bis zum 8. Januar sind diese außerordentlichen Wasser- und Grasbilder sowie seine gigantischen Porträts zu sehen. Allein diese Ausstellung lohnt den Weg auf die Insel. Jochen Hein hat als Maler das Wasser studiert, mit allen Sinnen, auf allen Weltmeeren. Seine Gischt tobt, spritz, brüllt über die Leinwand, löst sich dann in grobe Kleckse, Strukturen, wilde Punkte und Striche auf, sobald wir uns den großformatigen Bildern nähern. Das Meer weicht zurück, die traktierte Farbe bleibt.

Seine lebensgroßen Porträts sind auf den ersten Blick fotorealistische, sehr persönliche Umarmungen von Menschen. Auf den zweiten, nahen Blick war auch hier der perfekte Pinsel-Handwerker am Werk. Wir sehen auf den Bildern Menschen aus dem Umfeld des Künstlers nur als Gesichter und Hände. Der Rest ist Finsternis - Schwarz, gekonnt in Szene gesetzt.

Die Sammlung des "Museums Kunst der Westküste" umfasst rund 680 Werke, vornehmlich sind es Gemälde und Grafiken, die zwischen 1830 und 1930 in den Nordseeanrainerstaaten Niederlande, Dänemark, Norwegen und Deutschland entstanden sind. Sammlung und Museum sind das Werk eines Stifters. Ohne den Unternehmer Frederik Paulsen allerdings, dessen Familie Wurzeln in Alkersum hat, gäbe es diesen Insel-Leuchtturm kreativen Schaffens nicht. Rund 13 Millionen Euro hat der mehrteilige Gebäudekomplex an "Grethjens Gasthof" gekostet.

Das Leben am und mit dem Meer ist das beherrschende Thema des Hauses. Sehstücke der Küste. Und das nicht nur durch die Präsentationen der eigenen Sammlung, sondern durch mehrere Ausstellungen im Jahr, bei denen Direktorin Ulrike Wolff-Thomsen und ihr Team aktuelle Künstlerinnen und Künstler einladen, sich mit Küsten-Themen und -Menschen auseinanderzusetzen. Eine Künstlerwohnung gehört zum Gebäudekomplex und Konzept.

Aktuell zeigt das Museum neben Jochen Hein umwerfende Fotografien von Mila Teshaieva, einer ukrainische Künstlerin, die in Berlin lebt. Als "Artist in Residence" entwickelte sie mit Bewohnern der Insel die Fotoserie "Die Insel". Dunkel und tief blickend. Aber gucken Sie selbst. Erleben Sie große Kunst auf dieser kleinen Insel!

Der Autor Wolfram Kiwit ist Chefredakteur der Ruhr Nachrichten.

(RP)
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