Fluss, Land, Stadt Kreuz und quer über den mittleren Mississippi

Dubuque/St. Louis · Früher war der Mississippi eine Grenze, politisch wie psychologisch.Dahinter begann der Wilde Westen, den sich die USA im Laufe des 19. Jahrhunderts langsam eroberten. Von der Grenze ist nichts mehr zu spüren. Doch auch heute erleben Besucher eine Region der Gegensätze.

Was Sie am mittleren Mississippi erleben können
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Was Sie am mittleren Mississippi erleben können

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Foto: dpa, crk

Üppig sprießen Petunien aus kniehohen, terrakottafarbenen Pflanzkübeln. Ältere Paare schlendern über den Boulevard, lässig überholt sie ein Skateboarder mit Baseballmütze. Im Hintergrund fließt träge der Mississippi.

Ein Frachtschiff stemmt sich gegen den Strom, doch es ist zu weit entfernt, um Motorenlärm bis ans Westufer des bekanntesten Flusses der USA zu werfen. Ein wenig landeinwärts funkelt die Kuppel des County-Verwaltungsgebäudes im sanften, rötlichen Licht des Sonnenuntergangs. Es ist die reinste Idylle, die der Riverwalk von Dubuque im Osten von Iowa an diesem Sommerabend verströmt. Kleinstadt-Amerika von seiner schönsten Seite.

Szenen wie diese bleiben im Kopf nach einer Reise an den Mittellauf des Mississippi, in die US-Bundesstaaten Iowa, Illinois und Missouri. Ebenso aber bleiben Erinnerungen an leerstehende Lagerhäuser, zugenagelte Läden und eingestürzte Wohngebäude.

Eindrücke aus dem Denali in Alaska
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Eindrücke aus dem Denali in Alaska

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Foto: dpa, pla gab

Der Mississippi ist noch immer ein wichtiger Transportweg vor allem für Agrarprodukte aus dem Mittleren Westen. Doch manche Städte an seinen Ufern haben schon bessere Zeiten gesehen. Einige sind so einladend wie Dubuque, deren Uferpromenade von der Lesern der "USA Today" 2014 zur viertschönsten "American Riverfront" gewählt wurde. Andere wie Cairo im äußersten Süden von Illinois wirken in Teilen so, als seien sie evakuiert und sich selbst überlassen worden.

Es ist die Great River Road, die dabei hilft, links und rechts des Mississippi ein in vielerlei Hinsicht widersprüchliches Amerika zu erkunden. Im Range eines "National Scenic Byway" schlängelt sich die gut ausgeschilderte Route durch die meist flache Landschaft, vorbei an endlos erscheinenden Mais- und Sojabohnenfeldern, ab und zu durch kleine Wälder und nicht immer mit direktem Blick auf den Fluss. Es sind oft sehr weite Wege zu fahren zwischen den Orten. Aber das ist für Reisende, die andere Teile der USA schon kennen, nichts Neues.

Genutzt wird die Touristenroute vor allem von Einheimischen, wie man leicht feststellt, wenn man abends im Diner bei riesigen Steaks und Craftbier aus einer lokalen Mikrobrauerei miteinander ins Gespräch kommt. Urlauber aus Übersee sind - anders als in New York, Florida oder Kalifornien - eher selten anzutreffen am mittleren Mississippi. Und das, obwohl die Region genau jene Eindrücke bietet, die viele Menschen auf Reisen so gerne suchen: authentischen Alltag statt künstlicher Welten, in denen vor allem der schöne Schein zählt.

Eine Reise zwischen Dubuque im Norden und Cairo im Süden führt einmal die komplette Westgrenze von Illinois entlang, die der Mississippi bildet. Diese Strecke ließe sich auf Highways abseits des Flusses in acht Stunden bewältigen. Auf der Great River Road sind dagegen drei bis vier Tage ein angemessener Zeitraum. Sonst bliebe keine Zeit für die - meist kleinen - Attraktionen am Wegrand. Immer wieder geht es dabei kreuz und quer über den Fluss, auf langen Brücken, von denen es zwei Dutzend zwischen Dubuque und Cairo gibt.

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Foto: bjul / Shutterstock.com

Einer der schönsten Orte an der Great River Road ist Galena in Illinois, nur eine kurze Distanz von Dubuque entfernt. Kurz vor dem US-Bürgerkrieg erlebte die Stadt ihren Boom - noch heute zu erkennen an den vielen Rotziegelgebäuden und bunten Holzhäusern, deren Fronten auf das Jahr 1857 oder 1858 als Bauzeitpunkt hinweisen.

Damals kamen manchmal gut 500 Reisende am Tag in Galena an, einer Durchgangsstation zu den Städten weiter im Norden und Westen des Landes, die damals neu entstanden. Heute sehen sich gut eine Million Besucher im Jahr die Stadt an, in der rund 85 Prozent der Gebäude im Zentrum im "National Register of Historic Places" verzeichnet sind.

Zurück an den Fluss. Der Mississippi Palisades State Park südöstlich von Galena bietet eine Gelegenheit, den breiten Old Man River, wie er auch genannt wird, einmal aus der Höhe zu betrachten. Kilometerlange Güterzüge rauschen zwischen Park und Strom durch - ein Grund dafür, dass die Zahl der Schiffe überschaubar ist.

Viele Lagerhäuser in Städten wie Davenport, Burlington und Keokuk in Iowa oder Moline in Illinois stehen heute leer oder sind in Büros verwandelt worden. Die Städte haben - ebenso wie das weiter südlich in Iowa gelegene Fort Madison - Teile ihrer Flussufer in Parks verwandelt. Die Riverfront in Davenport landete in der "USA Today"-Umfrage sogar noch vor der in Dubuque auf Rang drei. Dort treffen sich die Angler, Entenfütterer und Jogger. Kleinstadt-Amerika von seiner ganz alltäglichen Seite.

Südlich der Grenze von Iowa und Missouri liegt Hannibal. Es ist der Ort der Kindheit von Samuel Langhorne Clemens, der unter dem Namen Mark Twain weltberühmt wurde und dessen Verbundenheit mit Hannibal in klingende Münze verwandelt wird. Vom Hotel bis zur Besucherhöhle: Viele Plätze locken mit Twains Namen, ein Museum zu Ehren des Schriftstellers gibt es natürlich auch. Selbst ein Zaun, wie ihn Twains Held Tom Sawyer anstreichen sollte, als er Freunde dazu brachte, ihm dafür Geld zu geben, dass sie ihn mit weißer Farbe tünchen durften, ist zu sehen.

Mark Twains Jugend und Hannibals aufstrebende Jahre fielen zusammen: 1847, als Twain zwölf Jahre alt wurde, legten insgesamt 1020 Mal Schaufelraddampfer in der Stadt an. Heute macht immerhin noch zwei- bis dreimal im Monat die "Queen of the Mississippi" Station, wenn sie auf ihren Kreuzfahrten zwischen Saint Paul in Minnesota und New Orleans nahe der Flussmündung in den Golf von Mexiko unterwegs ist.

Zurück ans Ostufer des Flusses. Bei Grafton und Alton führt die Great River Road mal für einige Meilen unmittelbar am Mississippi entlang. Etwas weiter südlich lädt der knapp 55 Meter hohe Lewis & Clark Confluence Tower mit seinen drei Aussichtsplattformen zu einem Stopp ein. Zu sehen gibt es von dort - allerdings aus einiger Distanz - die Mündung des Missouri River in den Mississippi. Gemeinsam bilden die beiden Ströme das viertlängste Flusssystem der Welt, doch der Ort ihrer Vereinigung wirkt recht unspektakulär. Es gibt kein Denkmal wie am Deutschen Eck in Koblenz, keine Verkaufsstände, sondern nur die Natur eines State Parks, der bei Hochwasser schwer erreichbar ist.

Nach der langen Überlandfahrt am Fluss entlang wartet etwas südlich die größte Stadt am Mittellauf des Mississippi: St. Louis. Einst wichtigster Ort auf dem Weg in den Westen überhaupt, ist sie in den vergangenen Jahrzehnten ziemlich in Verruf gekommen. In Statistiken zu den gefährlichsten Städten der USA landet St. Louis oft sehr weit vorne. Die Unruhen im Vorort Ferguson nach dem Tod eines schwarzen 18-Jährigen durch eine Polizeikugel sorgten 2014 weltweit für Schlagzeilen. Und im Sommer 2017 sprach die US-Bürgerrechtsbewegung NAACP sogar eine Reisewarnung aus: Im gesamten Bundesstaat Missouri gebe es rassistische Attacken und Diskriminierung von Schwarzen.

All das erscheint allerdings weit weg, wenn man unter der größten Attraktion in St. Louis steht: dem 192 Meter hohen, stählernen Gateway Arch, der 1963 bis 1965 als Teil des Jefferson National Expansion Memorials gebaut wurde. Der gewaltige Bogen symbolisiert das Tor zum Westen, das sich mit der Expedition von Meriwether Lewis und William Clark öffnete. Sie drangen im Auftrag von US-Präsident Jefferson von 1804 bis 1806 von St. Louis aus bis zum Pazifik vor und legten damit den Grundstein für die Eroberung des Wilden Westens.

Kugelförmige Kabinen fahren von beiden Füßen des Bogens aus in seinem Inneren an die Spitze, wo eine Aussichtsplattform weite Blicke durch die Fenster ermöglicht. Auf das Zentrum von St. Louis mit dem markanten alten Gerichtsgebäude, unter deren Kuppel eine riesige US-Flagge von 1861 hängt. Auf die Weite von Illinois und dazwischen auf den breiten Mississippi, an dessen Ufern lange Frachter liegen.

Wie nahe Verfall und Wohlstand am Old Man River beieinander liegen können, zeigt sich auch, wenn man von St. Louis aus weiter nach Süden fährt. Cape Girardeau, wo sich die Bill Emerson Memorial Bridge über den Fluss spannt, präsentiert sich als schmuckes Städtchen mit lebhaftem Zentrum. Auch hier treffen sich an einer Riverfront abends Einheimische und Urlauber. Sie setzen sich auf die Steine und sehen dem Mississippi dabei zu, wie er langsam vorbeizieht. Nur 40 Autominuten weiter südöstlich folgt dann mit Cairo in Illinois wieder ein Ort mit viel Vergangenheit und wohl nur wenig Zukunft.

Entlang der Hauptstraße stehen etliche Häuser mit großen Löchern in den Dächern oder eingestürzten Veranden. Die meisten Geschäfte haben ihre Schaufenster mit Tapeten oder Zeitungen zugeklebt. Der Fort Defiance Park südlich der Stadt, wo der Ohio River endet und viel mehr Wasser mitbringt als der Mississippi, in dem er aufgeht, hat seinen Status als State Park schon vor einiger Zeit verloren. Eine Aussichtsplattform steht verlassen an der Mündung, die Infotafeln sind vergilbt. Hier halten nicht mehr viele Touristen an.

Keine Petunien, keine schlendernden Paare. Kleinstadt-Amerika mal von seiner nicht ganz so schönen Seite. Wer in Cairo dem Mississippi und der Great River Road den Rücken kehrt, nimmt sehr verschiedene Erfahrungen mit - und einen besseren Eindruck davon, wie das Leben in den USA abseits der großen Städte, Strände und Nationalparks ist.

(dpa)
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