Urlaub in Österreich Das Wipptal lockt Tourengänger

Obernberg · Durch das Wipptal fahren die meisten nur auf dem Weg nach Italien. Die ruhigen Seitentäler kennen vor allem die Skitourengeher aus Innsbruck. Das einzige Skigebiet dort ist winzig. Das könnte in Zeiten des sich wandelnden Wintertourismus zur Chance werden.

Die Wintersaison im Wipptal
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Luis Nagele spricht lauter, es geht mal wieder hoch her auf seiner Sattelbergalm. Ein Kellner trägt die nächste Runde Schnaps zu den Jugendlichen am Nebentisch, eine Männergruppe drängt sich um den Tresen, aus den Boxen stampft Après-Ski-Quatsch. "Die Leute wollen eine Hütte, wo man Spaß haben kann", sagt Nagele. Den gibt der 41-Jährige ihnen. Und dazu eine Skipiste ohne Lift - der neueste Schrei im Wipptal, das in der Nähe von Innsbruck liegt.

Nageles Erfolgsstory begann, als er vor dem Ende stand. Im Jahr 2006 musste er das Skigebiet schließen, in dem sein Großvater und sein Vater mit der Alm ihr Geld verdienten. "Es war ein typisches 70er Jahre Skigebiet", sagt Nagele. Ein Sessel- und ein Schlepplift, ein paar Pisten für den Ort. Nichts, womit man auf Pistenkilometer fixierte Skitouristen heute noch locken kann.

Ski Arlberg - 305 Pistenkilometer garantieren Abfahrtsspaß
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In seiner Not setzte Nagele auf jene Wintersportler, die einen Lift weder brauchen noch wollen: Tourengeher. "Wir haben Glück gehabt, dass der Skitourenboom losging, als wir die Lifte abschalteten." Nach fünf Jahren waren die Zimmer auf der Alm wieder voll. Heute kommen am Wochenende bis zu 500 Gäste pro Tag. Das Gebiet eignet sich für Anfänger, die lieber auf einer planierten Piste als im Tiefschnee abfahren. Aber auch Einheimische steigen nach der Arbeit mit der Stirnlampe zur Alm auf und runden ihr Fitnessprogramm mit ein paar Bier ab. Für sie alle walzt Nagele mit seinen alten Pistenraupen zwei Abfahrtsspuren in den Hang. "Fast lawinensicher", sagt er.

Luis Nageles Geschichte ist auch die seines Tals. Schon 1867 kam die Eisenbahn ins Wipptal und mit ihr der Bergtourismus. Der Abstieg begann mit der Brennerautobahn, die das Tal teilt. Heute sehen Urlauber das Wipptal vor allem aus dem Autofenster, auf dem Weg nach Italien. "Aber jetzt haben wir eine neue Perspektive", sagt Nagele. Und die heißt: entschleunigter Winterurlaub in den Seitentälern, fernab der Brummis. Das ist ganz im Sinn des Alpenvereins, der 2012 gleich zwei Orte zu Bergsteigerdörfern ernannt hat: Die Gemeinden Schmirn und St. Jodok erfüllen die strengen Kriterien - ein hübsches Ortsbild, Alpingeschichte, lebendige Tradition und viel Ruhe.

Der Titel zieht offenbar. "Unser Publikum ist jünger geworden", sagt Helga Beermeister vom Tourismusverband Wipptal. Die Übernachtungen in den Partnerbetrieben, meist Ferienwohnungen in Bauernhöfen, seien um neun Prozent gestiegen. "Manche Gäste reisen bewusst die Bergsteigerdörfer ab." Viele sind sehr umweltbewusst und fragen nach regionalen Gerichten.

Atemberaubende Alpen
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Foto: dpa, zeh

Ein Grund, warum viele Einheimische ihre Gästezimmer nicht mehr vermieten: Der Tourismus ist im Wipptal nur ein Nebengeschäft. Bislang kommen für den Wintersport vor allem die Innsbrucker. Ins Gschnitztal, ein westliches Seitental des Wipptals, zum Langlaufen, auf die Bergeralm zum normalen Skifahren. "Alles Stammgäste", sagt Georg Messner. Der 45-Jährige kommt in der Schirmbar aus dem Grüßen nicht mehr raus.

Natürlich, internationale Gäste könne man mit 28 Kilometern Piste nicht locken. Zumal an diesem Tag der Hochsonnlift mangels Schnee mal wieder geschlossen ist. Und die Talstation wenig malerisch unter einer Autobahnbrücke liegt. Dennoch Einheimische schätzten die herrliche Abfahrt, sagt der Chef des Skiverleihs.

Die schönste Aussicht auf der Rigi
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Der altersschwache Zweier-Sessellift soll in den kommenden Jahren durch eine moderne Kombibahn ersetzt werden. Schneekanonen für den Hochsonnlift seien auch geplant. Investieren, bauen, erneuern, damit der anspruchsvolle Gast zufrieden ist. Das alte Berglied.

Genau dieses Wettrüsten will der Alpenverein mit seiner Auszeichnung durchbrechen. Statt auf Schneekanonen sollen die Bergsteigerdörfer auf Menschen wie Wolfgang Bacher setzen. Der 50-Jährige aus Steinach nimmt sich Zeit, um Touristen in Schneeschuhen die berühmteste Naturschönheit des Wipptals zu zeigen: den Obernberger See. Sonst erklärt er Schulklassen im Winterwald, warum Singvögel wie der Tannenhäher entscheidend für die Verbreitung der Zirbensamen sind.

"Im Sommer ist der Parkplatz hier voll", sagt Bacher, als er die Schneeschuhe aus dem Kofferraum holt. Jetzt stört niemand die Winterruhe. Er stapft durch den Wald, zeigt hier die Spur eines Schneehasen, dort die Abdrücke von Birkhühnern. "Die Hühner wissen, dass hier Leute gehen", sagt Bacher. Damit Besucher sie nicht aus ihren Schneehöhlen aufschrecken, schlägt ein Schild am Parkplatz Routen für Schneeschuh- und Skitouren vor.

Bacher steigt einen sanften Hang hinauf, vorbei an einer längst aufgegebenen Alm und einem Gasthof, der trotz Premiumlage am See seit sieben Jahren geschlossen ist. Der See liegt unter Eis und Schnee, dahinter ragt der niedrigste der drei Tribulaun Gipfel auf - am späten Nachmittag ist er glutrot. Kaum ein Tourengeher wird je zu ihm hochsteigen. Die meisten begnügen sich mit leichteren Touren.

Im Navistal wurde etwa eine Schneise in den Bergwald geschlagen, um die vielen Tourengeher zu lenken. Dort hätten wir jetzt eine Piste, sagt Hubert Gogl. Also die Spuren von hunderten Tourengehern. Deshalb hat der 50-jährige eine andere Route ausgesucht - von Trins auf den Padasterkogel. Der Bergführer geht voran, über einen sonnigen Hang unter einer Felswand, dann in engen Serpentinen den dick verschneiten Wald hinauf. Er hat alle 4000er in den Alpen bestiegen. In sein heimatliches Wipptal führt er selten Kunden. "Zu wenig Nachfrage."

An den Zweigen hängen Bartflechten, ein Zeichen für saubere Luft, über den Zinnen der Felswand glitzern Eiskristalle. Die ganze Pracht breitet sich aber erst über der Baumgrenze aus. Es ist ein bisschen diesig, dennoch reicht der Blick bis zu den Dolomiten. Über weite Schneehänge steigt Gogl zum Padasterjochhaus, von den Graten schauen Gämsen herab. Die letzten Meter über einen Kammweg - dann endlich der Gipfel mit Rundumblick auf Tuxer, Zillertaler, Stubaier Alpen. Und über allem kreist, ja wirklich, ein Steinadler.

(dpa)
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