Reisen in Europa Bulgariens Hinterland für Naturliebhaber

Kamen Bryag · Die Türkei schwächelt, Bulgarien läuft gut. Das Land am Schwarzen Meer ist vor allem für günstigen All-Inclusive-Urlaub bekannt. Doch ein Streifzug durch die Küstenregion und das Hinterland zeigt: Für Urlauber gibt es noch mehr zu entdecken.

Eindrücke von der Küste Bulgariens
15 Bilder

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"Das hier ist das Ende der Welt", sagt Gergana Ivanova. Die junge Frau betreibt wortkarg und mit zurückhaltender Freundlichkeit das kleine Hotel "Trite Kestena" in Kamen Bryag. Ein Dutzend Zimmer, die Nacht weniger als 20 Euro - ohne Frühstück. Das kostet extra im verpachteten Restaurant des Hotels. Besonders engagiert ist die Frau nicht: "Ein Foto? Für die Zeitung in Deutschland? Na gut, aber bitte schnell, ich will gleich mit meiner Mutter zum Einkaufen in die Stadt fahren."

Gergana Ivanova kann sich das leisten. Denn in der Vorsaison ist das Hotel ihrer Familie das einzige hier, das offen ist. Und wirklich voll wird es eigentlich auch nur im Hochsommer. Am 1. Juli kommen in Kamen Bryag - wie an vielen Orten der Schwarzmeerküste - bis zu 2000 Menschen zusammen. Sie feiern dann mit Konzerten den Sonnenaufgang, wie zu Zeiten der Hippies, die in den Siebzigern in den Höhlen der 20 Meter hohen Steilküste hausten. Das kann gefährlich sein. Ein Holzkreuz und ein Gedenkstein an der Abbruchkante erinnern daran.

Bislang verirren sich nur ein paar Touristen hierher: Sie stammen hauptsächlich aus dem nur rund 35 Kilometer entfernten Rumänien. "Ab und zu kommen auch Deutsche", sagt Gergana Ivanova noch, bevor sie mit ihrer Mutter in den Wagen steigt. Und die haben - so wie jetzt - wahrscheinlich alle den gleichen grünen Bulgarien-Reiseführer im Gepäck. "Der schönste Ort an der Küste", heißt es dort. "Hiddensee am Schwarzen Meer", könnte man auch schreiben.

Warum nicht mal Bulgarien? An den Stränden Spaniens, Italiens und Griechenlands wird es in diesem Sommer voll - während die Türkei weiter viele Urlauber meiden. Ein Alternativziel, das deshalb immer stärker in den Fokus rückt, ist Bulgarien. Das EU-Land am Schwarzen Meer hat mehr zu bieten als Bettenburgen und billigen Schnaps.

Zwischen dem 70-Seelen-Dorf Kamen Bryag und den Kalkfelsen am Meer dehnt sich ein grüner Gräserteppich aus, verziert mit roten, gelben und violetten Blüten. Darüber ein weiter Himmel, der klarer und blauer erscheint als anderswo.

Eine kurze Küstenwanderung führt südlich von Kamen Bryag zur Ausgrabungsstätte Yailata. Neben den Mauern einer byzantinischen Festung aus dem fünften Jahrhundert sind vor allem die angeblich mehr als 100 Höhlen interessant. In eine haben die Mönche, die hier lebten, sogar eine kleine Kirche geschlagen. Das eigentlich Beeindruckende ist aber immer wieder die Landschaft: die Weite und die Leere. Die Besucher lassen sich an einer Hand abzählen.

Auf halbem Weg zwischen Yailata und dem Kap Kaliakra, das sich im gleichnamigen Naturpark wie ein 70 Meter hoher Keil zwei Kilometer weit ins Schwarze Meer streckt, hat die Steilküste eine Lücke. Dort liegt, wie eine Sichel aus Sand, der kleine Strand von Bolata.

Direkt dahinter: eine "Feuchtzone", wie es in einer auf Bulgarisch, Russisch, Englisch und Deutsch verfassten Hochglanzbroschüre der nahe gelegenen Stadt Kavarna heißt. Sie ist "besonders reich an Vögelarten" - vor allem während der Vögelzüge. Mehr als 150 Arten rasten dann hier. Die Steppen am Kap Kaliakra und die Feuchtgebiete der nördlichen Schwarzmeerküste Bulgariens sind daher schon lange in den Katalogen von Reiseveranstaltern zu finden, die sich aufs Bird-Watching spezialisiert haben.

Jetzt Anfang Juni - die Zugvögel sind lange durch - sind am Strand ausschließlich Einheimische unterwegs. Um hierher zu finden, muss man sich auskennen. Oder genug Abenteuerlust haben, den schönen Leihwagen so lange über die staubige Schlaglochpiste zu prügeln, bis diese tatsächlich direkt auf dem Strand endet.

Abenteuerlust und vor allem ein guter Orientierungssinn sind auch in den Wäldern Bulgariens erforderlich. Ausgewiesene Wanderrouten gibt es zwar im Strandzha-Naturpark und auch im Naturpark Zlatni Pyasatsi, dessen Höhenzüge unmittelbar hinter den in Deutschland als Goldstrand beworbenen Bettenburgen aufsteigen.

Das Problem hier wie dort: Für mehr als für ein paar Infotafeln am Busparkplatz vor dem gut besuchten Felsenkloster Aladzha oder dem Platz vor der Kirche des Museumsdorfes Brashlyan hat das Geld aus der der EU-Regionalförderung offensichtlich nicht gereicht.

Ob blaue, rote, oder gelbe Route: Nach wenigen hundert Metern verlieren sich die Wegweiser im Wald. Eine Acht-Kilometer-Tour kann sich da leicht auf das Doppelte auswachsen: Versuch-und-Irrtum und immer auf die Sonne achten, um wenigstens die grobe Richtung zu halten! Der Preis für die schlecht gewartete Infrastruktur, die andere Rückständigkeit nennen würden: schöne Wälder.

Stranzha ist der größte Naturpark Bulgariens. Die von Flüssen durchzogene Hügellandschaft erstreckt sich entlang der Grenze zur Türkei bis ans Schwarze Meer. Die dichten Wälder aus Buchen, Traubeneichen und immergrünen Lorbeergewächsen sind heute ein Rückzugsraum für viele seltene Tier- und Pflanzenarten.

Das lässt sich auch über den Naturpark Sinite Kamani sagen. Die "Blauen Steine" - so der Name auf Deutsch - repräsentieren die östlichen Ausläufer des Balkangebirges. Der mehr als 500 Kilometer lange Gebirgszug, der Südosteuropa den Namen gab, teilt Bulgarien in eine nördliche und eine südliche Hälfte, die sehr unterschiedlich sind. Nach Norden in Richtung Rumänien wird das Land zur Donauebene hin immer flacher. Im Süden trennt ein weiteres Gebirge, die bis zu 3000 Meter hohen Rhodopen, Bulgarien von Griechenland.

Sinite Kamani ist von der Hafenstadt Burgas aus über eine der zwei Autobahnen Bulgariens mit dem Wagen in zwei Stunden zu erreichen. Vom Informationszentrum des Naturparks am Rand der Industriestadt Sliven führt ein Pfad in die 1000 Meter hohen Berge.

Aus dem Naturparkhaus dröhnt bulgarische Rockmusik nach draußen. Plamen Stoyanov Avgenov arbeitet hier. Mit Besuch hat er wohl heute nicht mehr gerechnet. Er macht leiser. Aber nur ein wenig. "Ja, der Pfad ist gut markiert, kein Problem, dem Weg zu folgen", sagt der junge Mann in gutem Englisch.

Dann schiebt er noch ein paar Fakten nach: 180 Vogelarten gebe es im Naturpark. Die gefiederten Stars sind die Geier, die man wieder ansiedeln wolle. Ja, zum Wandern kämen überwiegend Bulgaren, an den Wochenenden. Ausländer? Ab und zu, vom Sonnenstrand. Ein Foto? Gerne. "Mit Geier!", sagt er lachend. Dann schnappt er sich einen Plastikvogel aus der Museumsauslage.

Nach drei Stunden Einsamkeit zwischen Wald und Felsen ist das Ziel erreicht: der Ferienort Karandila. Besser: zwei offene Pensionen, eine Handvoll geschlossene Anlagen plus ein verlassener Ferienkomplex aus sozialistischen Zeiten. Dazu ein Funkmast, vor dem Startrampen für Gleitschirmflieger über die Felsen ins Nichts führen und ein alter Sessellift mit rot und gelb gestrichenen Sitzen. In den Alpen wird so eine alte Anlage wohl nicht mehr in Betrieb sein. Hier können Nostalgiker damit noch gen Tal schweben.

Eine der Pensionen in Krandila wird von Kristina Zwetilowa und ihrem Mann geführt. Sie spricht Deutsch. Das habe sie 1973 in der Schule gelernt. Nach wenigen Minuten bringt sie das Dilemma Bulgariens auf den Punkt: "Alles ist eigentlich gut. Aber unsere Bosse im Parlament, die sind..." Sie verdreht die Augen dabei. "Arbeiten, arbeiten, kein Geld." Sie sei 64 und wolle eigentlich auch weg, am liebsten nach Deutschland. "Aber wenn Deutsche jetzt kommen - auch gut."

(dpa)
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