Weihnachten Die römische Krippe der Müllmänner

Unweit des Vatikans befindet sich die römische Müllabfuhr. In einem Seitenraum des Gebäudes bastelt Giuseppe Ianni seit 45 Jahren an einer der schönsten Krippen des Abendlandes. Kein Papst, der nicht von ihr entzückt war.

 "Il presepe dei netturbini", die Krippe der Müllmänner, bezaubert alle Besucher. Fürs Foto, das im Advent entstand, hat Giuseppe das Jesuskind hineingelegt.

"Il presepe dei netturbini", die Krippe der Müllmänner, bezaubert alle Besucher. Fürs Foto, das im Advent entstand, hat Giuseppe das Jesuskind hineingelegt.

Foto: Christiane Keller

Dass alle Wege nach Rom führen, hat sich in zwei Jahrtausenden als kolossale Erleichterung für die Logistik der christlichen Welt erwiesen. Doch auch in Rom selbst sind die Wege nie unergründlich und weit. Es gibt kaum eine andere Großstadt, deren Zentrum sich so schnell zu Fuß durchqueren lässt. Man geht keine paar Minuten, da ist man von der Piazza Venezia bereits an der Navona, und von dort ist es zum Petersdom nur ein Klacks.

Es zählt zur Lässigkeit Roms, dass sie touristische Flüchtigkeit nie bestraft. Es soll emsige Rom-Pilger geben, die Jahr um Jahr an Sant'Andrea della Valle vorbeiwandern, obwohl sie ein imposantes Gotteshaus ist (in dem übrigens Giacomo Puccini den ersten Akt seiner Oper "Tosca" spielen lässt). Andere Kostbarkeiten der ewigen Stadt liegen dagegen versteckt in Seitengassen, nicht mal Einheimische kennen sie, weswegen wir auf uns allein und auf den Stadtplan gestellt sind, um die vermutlich kostbarste, innigste, reichhaltigste, heiterste und bezauberndste Krippe der römischen Hauptstadt zu finden. An uns liegt es nicht, denn unser Begehren wird in gut geübtem Italienisch vorgetragen: "Il presepe dei netturbini", die Krippe der Müllmänner, wollen wir sehen. Doch die Römer, die wir fragen, zucken nur mit den Achseln: Nie davon gehört!

Dabei liegt die Via della Cavalleggeri im prominentesten Bezirk: Den Petersplatz kreuzt man gen Süden, schreitet durch die Kolonnaden und am Campo Santo Teutonico vorbei, überquert die Via di Porta Cavalleggeri - und schon ist man da. Die Müllmänner in roter Dienstkleidung wissen alle Bescheid, pro Tag kommen doch einige Leute, denn die Geschichte von Giuseppe Ianni, dem früheren Müllmann und Erbauer der Krippe, ist ja auch dermaßen unvorstellbar und märchenhaft, dass man sich schon mit eigenen Augen davon überzeugen möchte, dass da ein einziger Mann vor 45 Jahren bis heute allein eine solche monumentale und zugleich detailreiche Krippe hat erschaffen können.

 Am Tag nach dem Regen: Das Ufer des Tiber (hier an der Engelsburg) ist teilweise überspült, aber der Fluss selbst kann ja auch für die Fortbewegung genutzt werden. Eindrucksvoller kann man nicht Bötchen fahren.

Am Tag nach dem Regen: Das Ufer des Tiber (hier an der Engelsburg) ist teilweise überspült, aber der Fluss selbst kann ja auch für die Fortbewegung genutzt werden. Eindrucksvoller kann man nicht Bötchen fahren.

Foto: Christiane Keller

Und heute ist nun wirklich ein Glückstag, denn Rentner Giuseppe (mittlerweile 82 Jahre alt) ist höchstpersönlich anwesend, um noch etwas frisches Stroh auszustreuen, das er sich vermutlich von irgendeinem Bauernhof nahe der Via Aurelia besorgt hat. Es ist ja sein privates Gesamtkunstfrömmigkeitswerk, eine Krippe mit zahllosen Häusern, Aquädukten, beschneiten Bergen, Bäumen und Büschen, Menschen und Tieren im Miniaturformat, auch das elektrische Licht hat Giuseppe persönlich verlegt. Und damit die Welt, für die diese Krippe bestimmt ist, auch in ihr vorkommt, hat Giuseppe zahllose Steine verbaut, aus New York, aus Resten der Berliner Mauer und natürlich aus Brocken des Petersdoms. Giuseppe ist ein Beschaffungskünstler, und weil er so fromm an Gott glaubt, hat man ihm sogar Mondgestein besorgt, damit der Glanz der Krippe wirklich urbi et orbi strahlt.

Diese Momente bei Giuseppe sind unbezahlbar, und da er bei Journalisten aus der Ferne auftaut, legt er für uns nicht nur den göttlichen Knaben in seine Krippe, er zeigt uns auch eine Galerie mit Bildern: lauter Päpste, die ihm die Hand schütteln. Paul VI. war schon zwei Jahre nach dem ersten Häuschen da, Johannes Paul II. ließ sich 23 Mal sehen, weil er in diese Krippe schier vernarrt war, und auch Benedikt XVI. schaute voller Freude in die Krippe, wo das Jesulein ihm entgegenstrampelte. Man sieht in Iannis Gesicht den ehrlichen Stolz eines Handwerkers, dem sein Gesellenstück zur Lebensaufgabe geworden ist.

Die Stunde bei Giuseppe, der auf dem Du besteht, ist unbezahlbar, auch weil man sich bei den netten römischen Müllmännern wieder richten und trocknen darf. An diesem vorweihnachtlichen Besuchstag bei Giuseppe gibt der benachbarte Petrus alles. Es schüttet sintflutartig, und da die römische Kanalisation seit dem 14. Jahrhundert vor jeder Art von Starkregen kapituliert, verwandeln sich alle Kopfsteinpflaster bald in eine römische Seenplatte. Das hat indes den Vorteil, dass der Regen den Tiber wieder zur Wasserstraße gemacht hat, auf dem viele Kanus, Kajaks und Schlauchboote unterwegs sind. Eine Fahrt auf diesem weltberühmten Fluss, grandiose Kulisse inklusive, können auch Touristen buchen.

 Giuseppe Ianni, Erbauer der Krippe der Müllmänner. Rechts von ihm sieht man in die Krippe - hier noch ohne Jesuskind.

Giuseppe Ianni, Erbauer der Krippe der Müllmänner. Rechts von ihm sieht man in die Krippe - hier noch ohne Jesuskind.

Foto: Christiane Keller

Die Krippe der Müllmänner ist auch deshalb so einzigartig, weil sie gegen jede Form von Kitsch immun ist. Sie ist ein naives religiöses Idyll und eine Kathedrale des Glaubens. Da müssen sich die anderen Krippen Roms gewaltig anstrengen. Diejenige auf dem Petersplatz ist selbstverständlich ein überdimensionales Bethlehem, das von einer Sopranistin aus der Konserve mit "Stille Nacht" beschallt wird. Diskreter geht es anderswo zu, etwa in der Basilika Santa Maria in Aracoeli auf dem Kapitolshügel. Dort liegt vor dem 24. Dezember eine Bibel in der Krippe und bejaht sozusagen im Vorgriff die Verkündigung des Johannes: Das Wort ist Fleisch geworden.

Ganz anders die winzige, köstlich puppenstubenhafte neapolitanische Krippe im Fachgeschäft "Antichità" in der Salita de' Crescenzi nahe dem Pantheon. Sie steht mit zwei anderen Zimmerchen auf einer Drehscheibe. Wer in den Laden geht und nett fragt, für den wird der Motor angehalten, und man kann allerfeinste Schnitzkunst bestaunen.

Man könnte ein ganzes Buch über Roms Krippen schreiben, pompös ist keine von ihnen. Schon seit Jahrzehnten warten sie in den Kellern der Kirchen, dass sie pünktlich zum ersten Advent hervorgeholt werden. Nur die Krippe der Müllmänner, die kann nicht mehr abgebaut werden. In ihr ist das ganze Jahr über Weihnachtszeit. Bislang hat noch kein Papst Einspruch erhoben.

(w.g.)
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