BGH prüft "Policenmodell" auf EU-Recht Dürfen Kunden alte Lebensversicherungen rückabwickeln?

Karlsruhe · Können Verbraucher ihre alte Lebensversicherung quasi ungeschehen machen? Der Bundesgerichtshof (BGH) prüft das seit dem heutigen Mittwoch und will noch am Nachmittag seine Entscheidung bekanntgeben. Diese könnte rein theoretisch Millionen von Versicherungskunden betreffen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen dazu.

 Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe will noch am Mittwoch sein Urteil verkünden.

Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe will noch am Mittwoch sein Urteil verkünden.

Foto: dpa

Viele Kunden würden ihre Lebensversicherungen am liebsten ungeschehen machen. Doch das ist häufig nur mit finanziellen Verlusten möglich. Jetzt will ein Kunde seinen Vertrag nach Jahren rückabwickeln. Und genau darüber entscheidet nun der BGH.

Worum geht es?

Um das Widerspruchsrecht und damit um die mögliche Rückabwicklung eines Vertrages. Bei alten Lebensversicherungen erlosch das Widerspruchsrecht zwei Wochen, nachdem der Kunde vorschriftsmäßig über dieses Recht aufgeklärt worden ist. Der BGH will nun prüfen, ob Kunden ihre Versicherungen trotz einer ordentlichen Aufklärung auch noch nach Jahren rückabwickeln können.

Welche "alten" Verträge betrifft das Verfahren?

Es betrifft diejenigen Lebensversicherungen, die nach dem sogenannten "Policenmodell" zustande gekommen sind. Sie waren zwischen Mitte 1994 und Ende 2007 üblich und erlaubt. Dabei erhielt der Kunde sämtliche Unterlagen erst mit dem Versicherungsschein. Der Kläger argumentiert, das habe gegen EU-Recht verstoßen, wonach der Versicherungsnehmer bereits vor Vertragsabschluss über alle Details aufgeklärt werden musste. Seit 2008 gibt es dieses Modell auf Druck der Europäischen Union nicht mehr.

Was für ein Fall liegt dem BGH vor?

Ein Kunde hat den Lebensversicherer Deutscher Herold verklagt. Er hatte seine Lebensversicherung 2004 vorzeitig gekündigt und rund 4600 Euro weniger ausbezahlt bekommen, als er an Prämien geleistet hatte. 2011 reichte er dann Klage ein. Er will den Vertrag jetzt nachträglich rückabwickeln, um die fehlende Summe zu erhalten.

Wie soll das denn gehen?

Der Kläger behauptet, die Verträge nach dem "Policenmodell" seien europarechtswidrig. Denn sie beruhten auf Vorschriften, die Deutschland in den 1990er Jahren nicht im Sinne der EU umgesetzt habe. Daher sei sein Vertrag wie viele andere auch nicht wirksam zustande gekommen und könne jederzeit rückabgewickelt werden.

Ist das was Grundsätzliches?

Das kommt drauf an. Rein theoretisch könnten Millionen Versicherte betroffen sein. Nach Schätzungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) sind in dem Zeitraum zwischen 1995 und Ende 2007 jährlich zwischen 6,1 und 11,8 Millionen Lebensversicherungen geschlossen worden. Sollte der BGH dem Kläger daher ohne "Wenn und Aber" recht geben, könnten unter Umständen Millionen unzufriedene Kunden ihre Verträge rückabwickeln.

Wird es denn soweit kommen?

Experten sehen das Verfahren sehr skeptisch. Sie gehen vorerst nicht davon aus, dass der BGH eine millionenfache Rückabwicklung ermöglichen wird. Zu viele Fragen seien offen, heißt es etwa vorsichtig bei den Verbraucherzentralen.

Welche Fragen sind das denn?

Der BGH muss die Wirksamkeit des Vertrag klären und prüfen, und was das für das Widerrufsrecht der Kunden bedeutet. Auch eine mögliche Verjährung oder Verwirkung von Rechten muss bedacht werden. Sollten die Richter an der Vereinbarkeit des "Policenmodells" mit EU-Recht zweifeln, müssen sie den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anrufen. Von diesem Szenario geht der Bund der Versicherten aus. Erst nach dem Spruch der Europarichter könnte der BGH den eigentlichen Fall klären.
Dabei werden sie sicher auch im Blick haben, dass millionenfache Rückabwicklungen die Versicherungen ruinieren könnten.

(dpa)
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