Interview mit einer Wurstproduzentin "Riesenfreizeitparks sind auch eine Form von Massenabfertigung"

Düsseldorf · Sarah Dhem ist Wurstproduzentin und im Vorstand der Deutschen Fleischwarenindustrie. Im Interview mit unserer Redaktion erklärt sie, warum die Vorwürfe an die Fleischindustrie ihrer Meinung nach nicht haltbar sind, welchen Anteil Verbraucher am Tierleid tragen und was sie über Veganer denkt.

Fotos aus "Deutschlands Ferkelfabriken"
8 Bilder

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Frau Dhem, was halten Sie von Massentierhaltung?

Dhem Ich bin da hin- und hergerissen. Ein großer Stall ist nicht zwingend schlecht, es kommt auf die Umsetzung an. Für mich spricht erstmal nichts dagegen, dass es sehr, sehr große Ställe gibt. Denn wenn man ausrechnet, wie viele Deutsche wir sind, wie viel Fleisch wir essen und wie viele Tiere wir dafür brauchen, dann spricht auch nichts dagegen, große Ställe zu bauen. Der Vergleich hinkt, aber die Menschen gehen auch in Riesenfreizeitparks, das ist auch eine Form von Massenabfertigung.

Wie beziehen Sie das Fleisch für Ihre Wurstwaren, schlachten Sie selbst?

Dhem Nein, wir schlachten nicht mehr selbst. Das hat zuletzt mein Opa gemacht, aber heute können sich das die kleineren Betriebe durch die vielen Auflagen, die es inzwischen gibt, nicht mehr leisten.

 Sarah Dhem ist Fleischermeisterin, Vorstandsmitglied des Bundesverbandes der Deutschen Fleischwarenindustrie (BVDF) und Geschäftsführerin des Familienbetriebes Schulte - Lastruper Wurstwaren. Ihr Großvater hat seine Hofschlachterei 1948 zum Betrieb gemacht.

Sarah Dhem ist Fleischermeisterin, Vorstandsmitglied des Bundesverbandes der Deutschen Fleischwarenindustrie (BVDF) und Geschäftsführerin des Familienbetriebes Schulte - Lastruper Wurstwaren. Ihr Großvater hat seine Hofschlachterei 1948 zum Betrieb gemacht.

Foto: Timo Lutz

Aber wie stellen Sie dann sicher, dass die Tiere vernünftig gehalten und geschlachtet worden sind?

Dhem Wir kaufen inzwischen nur noch QS-zertifizierte Ware, also solche, die durch die Verbände der Qualität und Sicherheits GmbH geprüft wurde. Da werden die Landwirte kontrolliert und wir Betriebe müssen alle ein bis zwei Jahre eine Prüfung über uns ergehen lassen. Es wird also jede Stufe des Produktionsprozesses untersucht, und darauf muss man sich in einer freien Marktwirtschaft auch verlassen können.

Laut Kritikern müssten Fleischproduzenten nur 20 Euro pro Tier mehr in die Hand nehmen, damit beispielsweise ein Schwein auf einem Quadratmeter Fläche stehen kann. Was sagen Sie dazu?

Dhem Das halte ich für vollkommen unrealistisch. Sie müssen sich überlegen, dass die Landwirte dann 40 Prozent mehr Platz pro Tier einrechnen müssen... Das sind verdammt viele Tiere weniger pro Stall. Außerdem legen sich auch die Gesamtkosten anders um, wenn man weniger Schweine hat.

Sie meinen, die Schweinezucht würde sich dann für den Landwirt nicht mehr rechnen?

Dhem Ja. Der aktuelle Preis für Schweinefleisch liegt bei 1,24 Euro pro Kilo, und das allein rechnet sich ja eigentlich schon nicht. Ich kenne mich mit den Preisen nicht genau aus, aber pro Kilo müssten etwa 50 Cent aufgeschlagen werden, damit ein Landwirt überhaupt von einem vernünftigen Preis sprechen würde — und das bei heutigem Platzstand. Wenn man jetzt noch mehr Platz und somit weniger Tiere in die Rechnung einbezieht, wird es wirklich extrem eng.

Man könnte den Aufpreis aber an den Verbraucher weitergeben.

Dhem Grundsätzlich, und da müssen wir hin. Zwar kommen immer wieder Studien raus, die besagen, der Verbraucher wäre bereit, mehr Geld für gutes Fleisch zu bezahlen, aber die Discounterzahlen zeigen nun mal etwas ganz anderes. Und das, obwohl es andere Einkaufsmöglichkeiten gibt. Jeder, der das möchte, kann ja etwas anderes kaufen. Es wird aber nicht gemacht. Stattdessen wird die Schuld bei der Fleischindustrie gesucht.

Die Fleischindustrie schafft nunmal das Angebot.

Dhem Trotzdem muss der Verbraucher selbstständig Entscheidungen treffen. Uns wird immer vorgeworfen, wir würden Verbraucher täuschen. Das verstehe ich nicht. Es gibt Zutatenlisten auf Wurst- und Fleischware, und wenn ich als Verbraucher keine E-Nummern oder Ähnliches möchte, dann muss ich mir eben etwas anderes kaufen. Wir bieten als Handwerk und Industrie für jeden Geldbeutel, Geschmack und Anspruch etwas an, aber wir als Verbraucher müssen eben auch bewusste Entscheidungen treffen.

Aber es gibt auch krasse Brüche, wenn etwa in Kalbsleberwurst keine Kalbsleber drin ist.

Dhem Das ist so ein typisches Beispiel: Bei meinem Opa, war es ganz normal, dass in der Kalbsleberwurst nur Kalbsfleisch aber keine Leber enthalten ist. Man hat das damals einfach so gemacht, die Wurst aber anders benannt. Heute wissen die Konsumenten das aber nicht über das Handwerk, und denken, wir wollen sie hinters Licht führen.

Das klingt jetzt aber alles sehr geschönt.

Dhem Ich sage ja nicht, dass in unserer Branche alles nur gut ist. Gerade heute Morgen habe ich mich wieder geärgert, als ich eine Anzeige für einen Wurstknacker gesehen habe. Da stand: Füllmenge 1400 Gramm, entspricht 1,56 Euro aufs Kilogramm Verkaufspreis. Da frage ich mich, wieso macht man so etwas als Produzent? Aber auch: Wie kann man als Konsument glauben, dass in so etwas noch Fleisch drin ist? Zu so einem Preis darf man als Verbraucher überhaupt keine Erwartungen haben, nicht ans Tierwohl und auch nicht an die Qualität.

Und worauf achten Sie, wenn Sie für sich Wurst einkaufen?

Dhem In erster Linie darauf, dass es mir schmeckt und dann auf die Zutatenliste. Ich gehe gerne dort einkaufen, wo ich auch weiß, dass man die Wurst selbst produziert, also bei kleineren Betrieben, bei denen klar ist, dass eine Familie dahintersteht.

Das heißt, Sie wollen auch wissen, was in der Wurst drin ist, die Sie kaufen.

Dhem Natürlich. Ich bin ja auch für mehr Transparenz in unserer Branche. Wir müssten eigentlich unsere Türen öffnen und den Verbrauchern zeigen, wie Fleischwaren hergestellt werden. Das sind natürlich teilweise krasse Bilder, wenn etwa eine Wurst in einem Blutpool hergestellt wird. Aber ganz ehrlich — auch wenn der Vergleich wieder hinkt — aber, wenn man einen Kuchen backt, entsteht auch ein Schlachtfeld in der Küche. Das gehört einfach dazu.

Sie sagen das so selbstverständlich. Gab es denn in Ihrer Ausbildung nie einen Moment, in dem Sie Probleme mit dem Schlachten hatten?

Dhem Nein, gar nicht. Ich bin aber auch damit groß geworden. Ganz ehrlich, ich habe als Kind mit Schweinezungen fangen gelernt und bin etwas später jedes Wochenende mit meinem Vater im Betrieb gewesen und habe dort mitgeholfen. Allerdings habe ich den Prozess auch immer mit viel Respekt vor dem Handwerk und dem Lebensmittel gehandhabt.

Da sind wir aber auch beim Knackpunkt. So eine Haltung vertritt sicherlich nicht jeder Schlachter in Deutschland.

Dhem Gute Wurst entsteht nur, wenn man gut mit dem Tier umgeht und es auch beim Schlachten gut behandelt. Trotzdem haben diese Haltung weder alle Fleischer noch alle Schlachter. Aber das gilt für alle Berufe. Auch Lehrer sind nur gut in ihrem Job, wenn sie ganz bewusst mit den Kindern umgehen und hohe Ansprüche an sich haben.

Und was halten Sie von Veganern?

Dhem Ich finde nicht, dass man Fleisch essen muss, aber Veganer sind schon sehr extrem. Vor allem verstehe ich nicht, wie man auf Inhaltsstoffe achten, und dann zugleich Ersatzprodukte essen kann, in denen jede Menge E-Nummern vorkommen. Was mir aber wichtiger ist als die Veganerdiskussion, ist dass wir mal wieder stolz auf unsere Zunft sind. Denn wir finden keine Fleischer mehr, und dabei ist es so ein wunderbarer Beruf. Alle wollen Fleisch und Wurst essen, aber keiner darf sagen, dass er es macht. Und da hakt es.

(ham)
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