Hattingen So wild und frei lebt die größte Auerochsen-Herde in NRW

Düsseldorf · Die Tiere auf dem Schultenhof in Hattingen leben so ursprünglich wie ihre Artgenossen in freier Wildbahn. Für Besitzer Alfred Schulte-Stade ist ökologisch unbedenkliches Fleisch der einzige Weg, Kunden zu bedienen und Tiere zu respektieren.

Inmitten grüner Wiesen steht eine Herde Auerochsen und grast genüsslich. Um sie herum nichts als Bäume, noch mehr Gras und die Ruhr - das 120 Hektar große Areal, auf dem die Tiere sich frei bewegen können, ist ein Naturschutzgebiet auf einer Ruhrhalbinsel in Hattingen. Die 45 Auerochsen, die dort stehen, haben noch nie einen engen Stall oder einen Tierarzt gesehen. Nicht, weil sich niemand um sie kümmert, sondern weil sie es nicht brauchen.

Es sind die Tiere von Alfred Schulte-Stade, dem es in erster Linie darum geht, dass seine Auerochsen vollkommen natürlich und frei leben können. "Wenn es im Winter viel Schnee gibt, füttern wir noch etwas Heu zu, aber ansonsten leben die Tiere wild", sagt Schulte-Stade. Ohne Stress, ohne Medikamente, ohne Angst. Die Milch der Mutterkühe wird ausschließlich für die Aufzucht ihrer Kälbchen verwendet. Das Fleisch hat einen ganz eigenen Geschmack: Es erinnert im ersten Moment an Rind, aber mit einem Hauch von Wild. Denn auch wenn die Ochsen ein Leben führen, von dem die meisten Nutztiere nur träumen können, landet hin und wieder auch mal ein Mitglied der Ruhr-Herde in der hauseigenen Schlachterei von Schulte-Stade.

Der Schultenhof ist schon seit 1232 in Familienhand. Alfred Schulte-Stade führt ihn seit 1983. Seit 2006 ist der Hof Bioland-Zertifiziert, das bedeutet, dass die Tiere nach strengen Bioland-Auflagen gehalten werden. Bioland steht für eine ökologisch, ökonomisch und sozial verträgliche Alternative zur herkömmlichen Landwirtschaft. Ziel ist die nachhaltige Erzeugung gesunder Lebensmittel.

Die Auerochsen legte sich der Landwirt im Jahr 1993 zu. "Anfangs waren es nur drei Tiere", sagt Schulte-Stade. Mehr habe er zunächst nicht bekommen. Da ein Zuchtbulle dabei war, hat sich die Herde langsam auf natürliche Weise erweitert.

Warum Schulte-Stade diese besonderen Tiere hält, hat verschiedene Gründe. Das Gebiet, das ihren Lebensraum darstellt, gehört dem Land NRW und wurde 1993 zum Naturschutzgebiet erklärt. "Vorher war es die größte Hundewiese im Land", sagt Schulte-Stade. Die Bezirksregierung beschloss, das zu ändern. Auf den riesigen Flächen sollten andere Tiere ein Zuhause finden. Das Naturschutzgebiet grenzt an die landwirtschaftlichen Flächen von Schulte-Stade. "Es war klar, dass sich nur jemand um die Tiere kümmern kann, der direkt in der Nähe wohnt", sagt der Landwirt.

Zunächst schlug man ihm vor, Galloway-Rinder zu kaufen. "Aber die haben nicht zu mir gepasst", sagt der 60-Jährige. Außerdem kam zu dieser Zeit der erste Fall von BSE in Deutschland auf. Betroffen war ein Galloway-Rind. "Damit war das Thema vom Tisch. Aber dadurch habe ich auch angefangen, mich auf die Suche nach den passenden Tieren zu machen", sagt der Landwirt. Entschieden hat er sich schließlich für Auerochsen. "Die sind sehr robust, prädestiniert für das Leben an den Ruhrauen."

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Vor noch nicht allzu langer Zeit waren Auerochsen nahezu ausgestorben. Im Jahr 1860 sollen die letzten Exemplare vor Warschau gesichtet worden sein. Die deutschen Zoologen-Brüder Heinz und Ludwig Heck haben die Tiere Anfang der 1920er Jahre aus verschiedenen Arten wieder zurückgezüchtet, indem sie die auf viele Rassen verteilten ursprünglichen Auerochsen-Merkmale wieder vereinigt haben. Heute grasen etwa 3000 Auerochsen in frei lebenden Herden in Europa.

Schulte-Stade nimmt für sich in Anspruch, immerhin die größte Auerochsen-Herde in NRW zu besitzen. Erlegt werden auch nur Exemplare, die überschüssig sind. Das sind oft Tiere, die Unruhe in die Herde bringen, oder Jungtiere, die von ihrer Mutter abgestoßen wurden. Das Fleisch wandert dann in seinen eigenen Betrieb, denn Schulte-Stade hat noch einen Catering-Service, eine eigene Wurstproduktion und zwei Bauernläden - einen direkt auf dem Hof, den anderen in der Stadt, weil die Nachfrage nach dem ökologisch unbedenklichen Fleisch so hoch ist. Dabei gilt: Das Angebot bestimmt die Nachfrage. "Ich erziehe die Kundschaft", sagt er und lacht. "Die müssen sich darauf einstellen, was es gibt. Das ganze Tier besteht ja nicht nur aus Filet." Wenn das nicht mehr da sei, gebe es eben Braten. Der kostet 21,80 Euro pro Kilo. "Ich will mich von der konventionellen Landwirtschaft absetzen", sagt Schulte-Stade. Für ihn sei es das Wichtigste, dass man die Tiere gut pflege. "Wenn sie sprechen könnten, würden sie sicher noch besser behandelt werden. Aber so müssen wir eben für sie einstehen." Das sei seine Philosophie. "Ich lebe mit den Rindern. Wenn ich entspannen will, gehe ich auf die Auerochsenweide. Das ist einfach mein Leben."

Aber fällt es nicht schwer, Tiere zu töten, wenn man eine Bindung zu ihnen hat? "Irgendwann müssen wir alle sterben. Die Frage ist doch eher, wie habe ich gelebt?" Schulte-Stade, der selbst Jäger ist, übernimmt das Töten dann auch selbst und erlegt die Tiere aus 40 Metern Entfernung auf der Wiese. "Damit sie nicht noch Stress haben, wenn sie mit dem Anhänger ins Schlachthaus gebracht werden." Für Schulte-Stade ist das der einzige Weg, das Fleisch der Tiere zu nutzen, und ihnen trotzdem mit Respekt zu begegnen.

INFO Die Öffnungszeiten für den Fleisch- & Wurstverkauf sind: freitags 9 bis 18.30 Uhr und samstags 9 bis 13 Uhr. Adresse: Königsteiner Straße 103 in 45529 Hattingen. Telefonnummer 02324 98 58-0 www.der-schultenhof.de

(RP)
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