Brot backen mit Sauerteig Das Biest und ich

Düsseldorf · Eigentlich dachte unsere Autorin, dass Brotbacken nur etwas für Hippies ist. Doch dann verliebte sie sich in ein Monster aus Mikroorganismen: ein Marmeladenglas voll Sauerteig. Wie konnte es so weit kommen?

Fotos: Brot backen mit Sauerteig - ein Rezept für Roggenbrot
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Brot backen mit Sauerteig

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Manchmal wache ich samstags zu früh auf. Dann liege ich meist noch etwas mit geschlossenen Augen da und denke an ihn. An sie. An es.

Es gäbe viele Namen für das, was da in meinem Kühlschrank wohnt. In vielen Restaurantküchen, hat mir eine Köchin erklärt, nennt man den Sauerteigansatz "das Biest”. Das passt, denn es muss regelmäßig gefüttert werden. In englischen Koch- und Backbüchern - wie dem sehr stilsicheren "The Complete Nose to Tail” - heißt der Sauerteig "the mother” . Die Mutter, aus deren Leib über Monate und Jahre viele gute Brote hervorgehen. Bäcker nennen ihn nicht Sauerteig, sondern "Anstellgut”, und sie haben Recht: Denn das, was im Glas ist, ist noch nicht fertiger Brotteig, sondern nur eine von mehreren Zutaten.

Für mich ist er aber trotzdem einfach: der Sauerteig. Und ich bin seiner Magie komplett erlegen.

Selbstgebackenes Brot macht stolz und glücklich

Ich will nicht zu pathetisch klingen: Natürlich handelt es sich bei dem beigen, zähflüssigen Schleim (ja, "Slime” wäre auch ein guter Name für ihn) nur um eine Mischung aus Wasser, Mehl und - mittlerweile - jeder Menge Bakterien und Hefen. Lecker ist das nicht, es riecht auch nicht unbedingt nach Parfum. Aber was mich endlos fasziniert, dass aus dieser Ursuppe nach einigen Stunden ein köstliches, duftendes, knackiges, saftiges, selbstgebackenes Brot wird.

Ich habe praktisch fast keinen Anteil an diesem Prozess, ich rühre nur ein paar Zutaten zusammen und bemühe mich in der Zwischenzeit um Geduld; irgendwann heize ich den Ofen vor und forme einen Laib. Trotzdem bin ich fast immer stolz auf das, was nach einer Stunde vor mir liegt, wie wohl eine Mutter auf ihr Neugeborenes. Ich betrachte es, ich streichle es, ich rieche daran. Brot.

Wenn die ganze Woche alles schief gegangen ist, wenn ich mich selbst nicht mehr leiden kann und nicht sicher bin, ob irgendjemand anderes es noch tut - dann gibt dieses Brot mir wenigstens für einen Moment das Gefühl, etwas richtig gemacht zu haben. Auch wenn eigentlich der Sauerteig die ganze Arbeit macht. Kein Wunder, dass ich morgens im Bett an ihn denke.

Brot backen - nur was für Hippies?!

Mir ist klar, dass das alles etwas übertrieben klingt - und vor ein paar Monaten hätte ich vermutlich sehr das Gesicht verzogen, wenn mir jemand von seinem Sauerteig vorgeschwärmt hätte, als sei es ein niedliches und zugleich nützliches Haustier. Bevor ich anfing, Brot zu backen, war ich sicher, dass man diese Beschäftigung lieber den Profis überlassen sollte. Hauptsächlich deshalb, weil meine ersten Brotbackversuche kläglich scheiterten. Ich erschuf eine Art harten, trockenen, faden Kuchen mit zäher Rinde in Kastenform.

Hörte ich Geschichten über brotbackende Privatmenschen, stellte ich mir automatisch friedensbewegte Hausmänner in Wollsocken und mit Pferdeschwanz vor, die ihre trockenen Körnerkanten grundsätzlich nur mit Reformhaus-Hüttenkäse essen. Oder hyperaktive Helikoptermamas, deren topmodernde Brotbackmaschine in ihrer 30.000-Euro-Einbauküche ungefähr so teuer (und so ausladend) ist wie der Familien-SUV in der Auffahrt ihres Einfamilienhauses. Danke, aber nein danke. Ich arbeite Vollzeit, ich gehe zum Bäcker.

Dann passierten mehrere Dinge. Erst ereilte unseren Haushalt das Schicksal der Weizenunverträglichkeit. Wie sich herausstellt, führen nicht all zu viele Bäcker Brot komplett ohne Weizen. Dinkel ist übrigens auch eine Art Weizen, das brachte uns also auch nicht weiter. Relativ zügig war ich es leid, einmal die Woche zum Bioladen zu traben. Dann stieß ich in einem Backbuch der englischen Food-Autorin Nigella Lawson mit dem nicht ganz ernstzunehmenden Titel "How to Be a Domestic Goddess” auf ein Brotrezept, das mich irgendwie faszinierte (hier hat es jemand abgeschrieben). Das Wunder geschah, das Brot - damals noch mit Hefe statt mit Sauerteig - gelang. Und ich lernte ein paar entscheidende Dinge übers Brotbacken.

Vier goldene Regeln für vernünftiges Brot

  • Erstens: Brot backt man nicht mit Kuchenmehl. Sondern mit Brotmehl. Sonst wird es wie Kuchen.
  • Zweitens: Brot braucht erstaunlich viel mehr Salz, als man denken würde. Sonst schmeckt es fad.
  • Drittens: Brotteig sollte so viel Wasser enthalten, das man ihn gerade noch verarbeiten kann, ohne wahnsinnig zu werden. Sonst wird das Brot trocken.
  • Viertens: Brot backt man so heiß, wie ein handelsüblicher Backofen überhaupt werden kann. Sonst wird es nicht knusprig.

Schließlich hörte ich in einer schlaflosen Nacht einen sehr langen Podcast mit einem gewissen Lutz Geißler, einem gelernten Geologen, der mittlerweile aufs Brotbacken umgesattelt hat und in seinem Blog über nichts anderes schreibt. Und der mehr oder weniger findet: Hefe ist gut und schön - aber Sauerteig ist das einzig Wahre.

Was zum Teufel ist Sauerteig?

Ein bisschen Küchenwissenschaft: Brot besteht aus Mehl, Wasser, Salz und Triebmittel. Hefe - egal ob frisch aus dem Kühlregal oder getrocknet aus dem Backregal - ist ein mögliches Triebmittel. Die Hefepilze verwandeln Zucker in Alkohol und scheiden dabei Kohlendioxid aus. Beides - der Schnappes und das Gas - verschwinden beim Backen aus dem Brot. Zurück bleiben diese kleinen Löcher in den Brotscheiben - eine schönere lockere Krume.

Mit Hefe dauert Brotbacken nicht wahnsinnig lange. Wenn man es eilig hat, nur ein paar Stunden, in denen der Teig geht. Wobei auch hier gilt: Je mehr Zeit man investiert, desto besser wird das Brot. Der Fermentationsprozess - das Aufgehen des Teigs - macht nämlich auch was mit dem Geschmack. Die Hefe produziert dabei bessere Aromastoffe, wenn sie mehr Zeit hat.

Allerdings entsteht bei der industriellen Hefeproduktion erstaunlich viel Abwasser - was zumindest umweltbewusste Menschen sehr problematisch finden. Und noch besser fürs Aroma des Brots als Hefe ist Sauerteig. Denn durch geheimnisvolle chemische Prozesse, die bei Wikipedia sehr schön erklärt sind, die ich aber trotzdem nicht ganz verstehe, dominieren im Sauerteigbrot angenehme Aromen, während eher unangenehme Aromen chemisch reduziert werden.

Das Biest aus Mehl und Wasser

Wenn man einen Sauerteig ansetzt, stellt man damit sein eigenes Triebmittel aus Mikroorganismen her. Im Prinzip ist das nicht schwieriger, als Mehl (idealerweise aus Roggenvollkorn) und Wasser in einem großen Schraubglas zu gleichen Teilen zu verrühren. Etwa eine Woche lang wird die Masse jeden Tag mit frischer Wasser-Mehl-Paste gefüttert. Da unsere gesamte Welt dicht besiedelt ist mit Bakterien und Pilzen, finden die auch sehr bald ihren Weg ins Glas. Dort finden sie reichlich zu Fressen - und wenn es dann auch noch nicht zu warm und nicht zu kalt ist (etwas über Zimmertemperatur ist ideal), vermehren sie sich rasant.

Die Mikroben machen etwas mit Mehl und Wasser. Erst fängt die Paste an, ein bisschen zu blubbern. Irgendwann riecht man dann auch die Fermentation. Sauerteig enthält neben Hefen auch Milchsäurebakterien - die gleichen Organismen, die auch für die Gärung von Sauerkraut verantwortlich sind. Dementsprechend säuerlich-vergoren kann Sauerteig riechen. Solange nichts schimmelt, ist aber alles gut.

Dieser Sauerteigansatz ("Anstellgut” im Fachjargon) lebt seit einigen Monaten in seinem Glas in meinem Kühlschrank. Alle zwei Wochen bekommt er ein paar Esslöffel Mehl und genau so viel Wasser als Nahrung, dann klettert er manchmal übermütig aus seinem Glas. Ich stopfe ihn dann zurück und freue mich, denn ich weiß, dass es ihm gut geht.

Brot backen

Jeden Donnerstagmorgen vor der Arbeit verrühre ich 100 Gramm Anstellgut mit je 200 Gramm Roggenmehl und 200 Gramm Wasser. Wenn ich Feierabend habe, hat sich das Volumen schon mehr als verdoppelt. Alle zwölf Stunden füttere ich den Sauerteig mit wachsenden Mengen Mehl und Wasser. Bis ich am Samstagmorgen viel zu früh aufstehe. Dann füge ich nur noch genug Mehl hinzu, damit der Teig fest genug wird, um seine Form zu halten. Er darf noch eine Stunde gehen, dann forme ich einen Laib und heize den Ofen vor. Im Ofen: eine alte gusseiserne Auflaufform. Meine Brotbackform. Sie speichert die Hitze wie ein Ofen im Ofen, für die knusprigste Kruste, die herzustellen ich fähig bin.

Das Brot braucht eine Stunde zum Backen und fast eine Stunde zum Abkühlen. Meistens kann ich so lange nicht warten. Warmes Roggenvollkornbrot, auf dem die Butter schmilzt, ist einfach zu lecker.

Für mich ist Brotbacken eines dieser Alltagswunder, das mich an die Existenz eines allmächtigen und überaus gütigen Schöpfers glauben lässt. Es passt alles so wunderbar zusammen: Was die Mikroorganismen da veranstalten, weil sie gar nicht anders kommen, führt zufällig dazu, dass aus Wasser und Roggenmehl ein Brot wird, das ein komplexes Aroma und eine lockere Krume hat, sich dazu noch lange hält. Und obendrein noch für den menschlichen Bauch bekömmlich wird. (Brotblogger Lutz Geißler hat es im Podcast schön appetitlich ausgedrückt: Die Bakterien im Sauerteig verdauen das Mehl quasi vor. Ich muss zugeben: Wie schon mal gegessen sieht der Teig manchmal wirklich aus.)

Dazu kommt noch: Der Sauerteig wird nie alle, wenn man ihn regelmäßig füttert. Ein niedliches, nützliches Haustier, das nie stirbt - wer könnte ihm widerstehen?

(hpaw)
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