Der Freiherr im Gespräch Wenn Knigge unhöflich wird

Düsseldorf · Knigge ist längst nicht mehr nur ein Name, Knigge ist zu einem Begriff für gutes Benehmen geworden. Um so interessanter scheint es da, dass Moritz Freiherr von Knigge sich nun entschieden hat, der Unhöflichkeit auf den Grund zu gehen, wie er auch vor der Kamera demonstriert. Eine Typologie der deutschen Unhöflichkeit.

 Moritz Freiherr von Knigge ist Berater für Umgangsformen und Nachfahre von Adolph Freiherr Knigge - dennoch versucht er sich vor der Kamera mit ausgestrecktem Mittelfinger.

Moritz Freiherr von Knigge ist Berater für Umgangsformen und Nachfahre von Adolph Freiherr Knigge - dennoch versucht er sich vor der Kamera mit ausgestrecktem Mittelfinger.

Foto: RETO DURIET

Herr Knigge, nach vielen Büchern über die Höflichkeit haben Sie nun eines über die Unhöflichkeit geschrieben. Woher kommt der Stilbruch?

Knigge: Seit Menschengedenken befassen sich kluge Menschen mit der Frage des höflichen Umgangs, doch noch immer wünschen sich 90 Prozent der Menschen im Umgang miteinander mehr Höflichkeit. Da dachte ich mir, ich drehe den Spieß einmal um und nähere mich über die ungezogene Schwester der Höflichkeit dem Phänomen des Zwischenmenschlichen.

Wie geht das, sich der Höflichkeit über die Unhöflichkeit zu nähern?

Kigge: Wenn man die Unhöflichkeit in ihre Bestandteile zerlegt, stellt man fest, dass es weniger die Unhöflichkeit selbst ist, die einem besseren Miteinander im Wege steht, sondern der Glaube an die Unhöflichkeit. Es geht nicht so sehr darum, ob der andere unhöflich ist, sondern ob ich ihn als unhöflich empfinde.

Und deshalb haben Sie ein Buch mit Unhöflichkeits-Anekdoten geschrieben?

Knigge: Genau. Es sind Geschichten, die ich über Jahre gesammelt habe, und die letztlich fünf verschiedene unhöfliche Typen beschreiben. Fünf Neigungen, die in jedem von uns stecken.

Und welche fünf Typen gibt es?

Knigge: Da wäre zum Beispiel der Belächler in uns, der dem Motto folgt: "Zeit ist Geld.", der Sprüche pflegt wie "Nur die Harten kommen in den Garten". Der seine Mitmenschen als Mittel zum eigen Zweck missbraucht. Wie jene Jungmanagerin, die mich einmal ernsthaft fragte, ob sie sich beim Servicepersonal eigentlich bedanken müsse, sie zahle doch! Dann wäre da der Bekämpfer, der sich nicht verbiegen lassen möchte, der auf die höfliche Frage "Wie geht es Ihnen?" mit dem Satz "Das interessiert Sie doch sowieso nicht" reagiert, weil er hinter höflichem Verhalten Verstellung vermutet. Seine Sehnsucht nach Echtheit scheint ein sehr deutsches Phänomen zu sein. Von Heinrich Böll ist der Satz überliefert: "Höflichkeit ist die sicherste Form der Verachtung." Dann gibt es den Beweiner, der sich nach einem Art Anstandsutopia sehnt, der meint "früher war alles besser" und das Abendland sei längst untergegangen. Typ vier ist der Bewacher. Für ihn ist Höflichkeit reine Formsache. Wer nicht weiß, dass man Kartoffeln nicht mit dem Messer schneidet, der muss leider draußen bleiben. Der letzte Typ ist der Beherrscher, der meint alles richtig zu machen, während um ihn herum nur Proleten unterwegs sind.

 Moritz Freiherr Knigge"ANLEITUNG ZUM UNHÖFLICHSEINVon der Kunst, sich virtuos danebenzubenehmen" 240 Seiten | Klappenbroschur ISBN 978-3-86265-491-812,99 EUR (D)Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlinwww.schwarzkopf-schwarzkopf.de

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Foto: RETO DURIET

Das ist in der Tat eine hübsche Sammlung von unhöflichen Charakteren. Aber gibt es da keine Überschneidungen und Vermischungen?

Knigge: Selbstverständlich. So wo wie mein ehemaliger Nachbar, der ständig beweinte, dass die Menschen nicht mehr zu den einfachsten Höflichkeitsgesten fähig seien. Als ihm mal wieder jemand die Tür vor der Nase zugeworfen hat, anstatt sie ihm aufzuhalten, beschloss er ins Lager der Bekämpfer zu wechseln: "Wissen Sie was? Ab heute halte ich auch keine Türen mehr auf."

Bis auf eine Ausnahme geht es bei diesen Typen überhaupt nicht darum, bestimmte gesellschaftliche Regeln zu befolgen. Da frage ich mich, insbesondere angesichts des Erbes, dass Sie ja auch antreten, ob es so etwas wie eine allgemeine Unhöflichkeit für Sie überhaupt gibt?

Knigge: Natürlich gibt es Unhöflichkeiten. Aber die Frage ist, wie ich mit diesen umgehe. Unterstelle ich dem anderen reflexhaft Absicht? Unterschätze ich systematisch meinen eigenen Anteil am Misslingen? Lasse ich auch mal " Fünfe" gerade sein oder drehe ich meinen Mitmenschen schon aus jedem kleinsten Missgeschick einen unhöflichen Strick? Wer den Mut hat, auch mal das eigene Verhalten in Frage zu stellen, der wird die Welt um sich herum als weniger bedrohlich wahrnehmen als derjenige, der ständig das Verhalten anderer in Frage stellt.

Man sollte sich also antrainieren weniger Dinge als unhöflich zu empfinden?

Knigge: Ganz genau. Natürlich gibt es auch Verhaltensweisen, die faktisch einfach unhöflich sind. Dazu gehört etwa sich nicht zu grüßen, nicht bitte und danke zu sagen oder sich selbst zu überhöhen. Das heißt sich besser zu fühlen als andere und auch so zu handeln, etwa, wenn man zu einer Kellnerin nicht bitte und danke sagt, weil man in einem edlen Restaurant isst und am Ende eine hohe Rechnung bezahlt. Solche Dinge sind einfach unhöflich. Aber es kann eben auch sein, dass jemand "Hi" anstatt "Hallo" sagt, und ein anderer das schon als unhöflich empfindet, und das sind die Momente in denen ich zur Vorsicht rate.

Das klingt so, als wären Sie immer sehr kontrolliert und gelassen und würden eigentlich niemals mit dem falschen Fuß aufstehen. Rutscht Ihnen denn nicht auch mal eine Unhöflichkeit heraus?

Knigge: Doch, natürlich habe ich das. Die fünf unhöflichen Typen stecken eben auch in mehr. Zum Beispiel unter Zeitnot kann ich sehr ungehalten werden, dann werde ich zu einem unangenehmen Belächler, der anderen Zeitdiebstahl unterstellt. Ich bin dann froh, wenn mich die Menschen um mich herum darauf aufmerksam machen. Ich sage ja auch nicht, dass so etwas nie vorkommen darf. Aber es ist wichtig zu üben, sich von seinen Emotionen nicht kontrollieren zu lassen. Egal worum es geht, Dinge lassen sich mit dem Gegenüber besser klären, wenn man sie in Ruhe und freundlich sagt.

Und wie kann man erreichen, dass einem das gelingt?

Knigge: Dafür muss man sich mit sich selbst auseinandersetzen. Hilfreich ist etwa mal Freunde und Familie zu fragen, an welchen Stellen sie eine Empfindlichkeit, Wut oder Überreaktion wahrnehmen. Wenn ich das weiß, kann ich mir die Punkte ansehen, sie hinterfragen und herausfinden, ob es nötig ist, dass ich dann immer so reagiere.

Alles was Sie beschreiben klingt immer noch erstaunlich nach Arbeit am Menschen und so gar nicht nach den typischen Höflichkeitsgesetzen Ihrer Vorfahren. Jetzt muss ich doch mal fragen: Was ist denn Höflichkeit überhaupt für Sie?

Knigge: Höflichkeit bedeutet für mich gut mit anderen Menschen umzugehen. Konkret gesagt, ein Mensch zu sein mit dem andere gerne kommunizieren, trotz seiner kleinen Fehler.

Nicht unbedingt der klassische Knigge, oder?

Knigge: Das würde ich schon sagen. Sein Buch hiess ja nicht umsonst "Über den Umgang mit Menschen" und nicht "Über den Umgang mit Messer und Gabel". Für ihn wie für mich geht es nicht um das Auswendiglernen eines Regelwerkes sondern — wie er selbst schreibt — um eine gewisse Geschmeidigkeit im Umgang mit Menschen, um das eigene Gesicht und das der anderen zu wahren. Es gibt in dem ganzen Buch nur einen Satz zum Thema Etikette. Darin spricht er über sie von den kleinen Dingen, die man nicht unterschätzen solle. Aber es sind eben nur die kleinen Dinge.

Am Ende sind also auch Sie doch für ein gewisses Regelwerk der Umgangsformen?

Knigge: Überall dort wo Menschen zusammenkommen und eine eigene Kultur herausbilden, bilden sich zugleich auch Regeln aus. Die Regeln sind wichtig für ein gutes Miteinander. Aber manchmal macht es auch Sinn sie zu brechen. So wie der spanische König, der sah, dass sein Ehrengast aus der Fingerschale trank, die zum Reinigen der Hände gedacht war. Dem Hohn und Spott der höfischen Gesellschaft begegnete der König damit, dass er selbst aus der Fingerschale trank. Und da er der König war, taten es ihm nun alle nach. Höflichkeit, das heißt: Alle Etikette in den Wind schlagen, wenn man dadurch einem anderen eine Peinlichkeit ersparen kann.

Das Gespräch führte Susanne Hamann.

(ham)
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