Sprechstunde Zu früh aus der Narkose

Bei Patienten und Anästhesisten gefürchtet ist die Awareness, die unerwünschte Wachheit während einer OP. Sie tritt aber nur selten ein.

Unsere Leserin Astrid G. (52) aus Duisburg: "Ich habe mal gehört, dass jemand während einer Vollnarkose aufgewacht ist und einen Teil der Operationen unter stärksten Schmerzen miterlebt hat, ohne sich rühren und artikulieren zu können. Ich muss jetzt operiert werden und habe Angst, dass mir das auch passiert. Wissen die Narkoseärzte wirklich alle von diesem Phänomen? Und gibt es Risikogruppen bei den Patienten, die eine Vollnarkose bekommen?"

Markus Schmitz Leider gibt es das Phänomen der sogenannten unerwünschten intraoperativen Wachheit (Fachsprache: Awareness) - von akustischen Wahrnehmungen (etwa Gesprächsinhalten des OP-Teams) bis hin zu starkem Schmerzerleben und Hilflosigkeit.

Vor allem Letzteres kann zu schweren psychischen Traumatisierungen führen. Den Patienten ist oft nicht unmittelbar nach dem vollständigen Aufwachen aus der Narkose bewusst, was sie durchgemacht haben. Bei manchen taucht alles erst nach Wochen aus dem Unterbewusstsein auf. Die Gründe für eine Awareness sind nicht abschließend erforscht. Zwar kann in wenigen Einzelfällen eine falsche Medikamentendosierung ursächlich sein. Doch in den meisten Fällen bleibt der Verlauf ungeklärt.

Insgesamt kommt das Phänomen aber wirklich sehr selten vor - bei nur etwa einer von 1000 Vollnarkosen. Die schwerwiegenden und traumatisierenden Fälle sind noch deutlich seltener. Vor allem durch die moderne Narkoseführung (Narkosegasmessung, intraoperative Überwachung) in den letzten Jahrzehnten und intensive Schulungen der Narkoseärzte konnte das Risiko noch mal um ein Zehnfaches reduziert werden. Auffällig ist, dass die Awareness in bestimmten Situationen häufiger auftritt: zum einen bei Notfalleingriffen sowie bei Patienten mit vielen schweren Begleiterkrankungen, da die Narkosemittel den Kreislauf der Betroffenen stärker beeinflussen als normal. Auch beim Kaiserschnitt kann es vorkommen, da die Narkose bis zur Abnabelung etwas flacher gehalten wird, um das Baby vor den Medikamenten zu schützen.

Man sieht also, dass Awareness ein sehr seltenes Ereignis unter einer Vollnarkose ist und Patienten sich deshalb keine übermäßigen Sorgen machen müssen, dass sie so etwas erleben können. Jeder hat aber immer die Möglichkeit, sein individuelles Risiko für die intraoperative Wachheit im Narkosevorgespräch mit dem Anästhesisten ausführlich zu besprechen. Sollte der Experte schon von sich aus über die Möglichkeit einer Awareness aufklären, so ist dies ein positives Zeichen. Es zeigt, dass sich die Abteilung mit dem Problem auskennt und auseinandergesetzt hat.

(RP)
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