Mücken-Virus in Südamerika Frauen sollen Kinderwunsch verschieben

Washington · Wer in bestimmten Teilen Südamerikas lebt und Nachwuchs plant, sollte den Kinderwunsch besser ruhen lassen. Dazu rufen zumindest südamerikanische Regierungen auf. Der Grund: Ein gefährliches Mücken-Virus, das dem Gehirn eines ungeborenen Kindes schadet.

Die Warnung des Gesundheitsministers von Jamaika ist dramatisch. Horace Dalley empfiehlt den Frauen seines Landes, die eine Schwangerschaft planen, ihren Kinderwunsch um sechs bis zwölf Monate zu verschieben. Auch die Regierungen in Brasilien, El Salvador, Venezuela und Kolumbien haben einen ähnlichen Aufruf gestartet.

Der Grund für diesen drastischen Eingriff in die Privatsphäre ist ein ungewöhnliches Virus, das durch den Stich von Mücken verbreitet wird. Offenbar kann das Zika-Virus in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft die Entwicklung des Gehirns eines ungeborenen Kindes stark beeinträchtigen. Auch aus Deutschland gibt es Warnungen: Das für Infektionskrankheiten zuständige Robert-Koch-Institut (RKI) rät schwangeren Frauen, eine Reise in Ausbruchsgebiete des Zika-Virus möglichst zu vermeiden.

Die Angst vor dem Virus entsteht durch Zahlen aus Brasilien, wo Ärzte im Oktober Alarm schlugen. In der Region Pernambuco im Nordosten des Landes beobachteten sie, dass häufiger Babys mit Mikrozephalie geboren wurden. Bei dieser Krankheit sind der Schädel und das Gehirn des Kindes kleiner als normal. Viele Kinder sterben während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt. Wer die Krankheit überlebt, leidet je nach dem Grad der Fehlbildung unter Einschränkungen bis hin zu schweren geistigen Behinderungen.

Mikrozephalie kommt auch bei normalen Schwangerschaften vor. Rein statistisch sollte es in Pernambuco bei 129.000 Geburten jährlich neun Fälle geben, doch bis November 2015 hatten die Mediziner nur in dieser Provinz schon 646 Geburten registriert, inzwischen gibt es in Brasilien fast 4000 Fälle. Fast gleichzeitig beobachteten die Ärzte auf der Inselgruppe Französisch-Polynesien im Pazifischen Ozean eine ähnliche Häufung.

19 Babys mit Mikrozephalie sind weit mehr als statistisch normal. In beiden Regionen hatte es zuvor einen Ausbruch des Zika-Virus gegeben. Das RKI bewertet diese Befunde als "Indizien für einen kausalen Zusammenhang zwischen Zika-Virus-Infektion der Mutter in der Schwangerschaft und der Fehlbildungen beim Kind". Ein direkter Beweis fehlt den Wissenschaftlern aber noch. Dass ein Virus ein ungeborenes Kind schädigen kann, wissen die Forscher von Krankheiten wie Röteln oder der Cytomegalie.

Das Zika-Virus ist kein neuer Erreger. Anfang der 1950er Jahre wurde er erstmals entdeckt: bei Affen im afrikanischen Uganda. Seit Jahrzehnten ist es in Asien heimisch geworden. Das Virus ist dort nicht besonders aufgefallen. Die Infektion verläuft für Erwachsene meist harmlos, 80 Prozent der Betroffenen zeigen überhaupt keine Symptome. Die Erkrankten leiden etwa eine Woche an einem Hautausschlag und Schmerzen im Kopf, in den Muskeln und den Gelenken, ohne dass sie ins Krankenhaus müssen. Nur in sehr seltenen Fällen kommt es zu größeren Lähmungen.

Gefährlich ist das Virus offenbar nur für den Fötus. Doch weder in Afrika noch in Asien gab es eine auffällige Häufung an Mikrozephalie. Was widersprüchlich klingt, hat eine einfache Erklärung: "Wenn eine Bevölkerung regelmäßig in Kontakt mit einem Virus wie Zika ist, sind typischerweise Teile der Bevölkerung schon von früheren Ausbrüchen immun", sagt Christina Frank vom RKI. Dadurch seien viele Frauen in dem Alter, in dem sie schwanger werden, bereits geschützt gegen das Virus.

In den Inselstaaten des Pazifiks und auch in Südamerika ist die Situation eine andere. Dort wurde das Virus erst in den vergangenen Jahren eingeschleppt und das Immunsystem gerade der weiblichen Bevölkerung ist noch nicht auf den an sich harmlosen Erreger vorbereitet. Die Gesundheitsbehörden spielen deshalb auf Zeit, wenn sie den Frauen empfehlen, eine geplante Schwangerschaft zu verschieben. In zwölf Monaten dürfte sich die Immunsituation verbessert haben.

Europäischen Frauen hilft diese Perspektive nicht. Vermutlich wird die Sorge um das Zika-Virus noch für längere Zeit die Reisepläne in betroffene Regionen belasten. Eine Impfung oder Therapie gibt es nicht. Das Robert-Koch-Institut empfiehlt sorgfältigen Schutz gegen Mückenstiche mit chemischen Mitteln und richtiger Kleidung.

Im Kampf gegen das Zika-Virus will Brasilien jetzt das Militär einsetzen. 220.000 Soldaten sollen ab Mitte Februar gegen die Ausbreitung der Mücken vorgehen, die die Krankheit übertragen, sagte Gesundheitsminister Marcelo Castro. "Wir laufen Gefahr, diese Schlacht zu verlieren. Es ist eine der schlimmsten Gesundheitskrisen, die das Land je erlebt hat." Die Soldaten sollen von Haus zu Haus gehen und die Bewohner aufklären, wie sie die Ausbreitung der Aedes-Aegypti-Mücke verhindern können. Die Bevölkerung soll Pfützen zu vermeiden, in denen die Mücke ihre Eier ablegen kann.

Der gefährliche Erreger reist auf typische Art und Weise — nämlich mit den Mücken. Die Insekten nehmen das Virus auf, wenn sie Menschen stechen, die damit infiziert sind. Die Eier von Aedes Aegypti gelten als besonders anspruchslos. Sie reisen mit Containern, Schiffen oder Autos um die Welt, oft genügt ihnen eine kleine Pfütze zum Überleben. Infektionskrankheiten wie das Dengue-Fiebers und das Westnilfieber haben sich auf diesem Weg in allen tropischen und subtropischen Regionen der Welt verbreitet.

Es wird überaus schwer sein, die weitere Verbreitung des Zika-Virus nennenswert einzuschränken. Die betroffenen Länder setzen verstärkt Insektizide als Waffe gegen die Mücken ein — aber diese Strategie war schon beim Dengue-Fieber nicht erfolgreich.

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