Wie Feinstaub die Lunge schädigt

Die unsichtbaren Schadstoffe lösen häufig eine Entzündung aus und verstärken Erkrankungen der Lunge oder des Herz-Kreislauf-Systems. Mehr und mehr wird Feinstaub auch als Ursache von Lungenkrebs erkannt.

Man sieht ihn nicht, er scheint gänzlich abwesend, und wenn alle Tage wieder die Meldungen über stark erhöhte Messwerte an die Öffentlichkeit dringen, schütteln die Leute den Kopf: So schlimm wird es ja nun auch wieder nicht sein!

Leider ist es noch schlimmer. 300 Millionen Kinder weltweit atmen giftige Luft ein, und nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation gibt es weltweit jährlich drei Millionen Todesfälle durch Luftverschmutzung durch Kohlekraftwerke. Und die Belastungen durch Autoabgase und Feinstaub ist in ihrer ganzen Tragweite noch nicht bemessen.

Wenn mit jedem Atemzug ultrafeine Staubpartikel oder Schadstoffteilchen in die Lunge dringen, sind Tausende Menschen bedroht. Experten mahnen, dass die Zahl schwerer Lungen- und Herzerkrankungen durch die schlechte Luft in den Städten immer weiter steigen wird. Bedroht von Feinstaub und Stickoxiden aus Autoabgasen seien vor allem Anwohner stark belasteter Straßen, die ohnehin schon Gesundheitsprobleme haben.

"Die Schadstoffe lösen in erste Linie eine Entzündung aus - und verstärken bereits bestehende Erkrankungen der Lunge oder des Herz-Kreislauf-Systems", erklärte Christian Witt, Leiter des Arbeitsbereichs Ambulante Pneumologie der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité Berlin. 340.000 Deutsche lebten an belasteten Straßen, mehrere Studien gingen von rund 73.000 vorzeitigen Todesfällen durch Luftverschmutzung aus. Europaweit seien es eine halbe Million - Kinder, Ältere, Kranke.

Je kleiner die Partikel sind, desto tiefer dringen sie in die Lunge

Allein schon dadurch, dass die Menschen weiter in die Städte ziehen und heute vergleichsweise alt werden, seien immer mehr Städter von den Schadstoffen bedroht. "Wir haben immer mehr kranke Alte und ganz viele in der Stadt", sagte Witt. "Der Anteil derer, denen das alles schadet, wird größer." Ob Feinstaub und Stickoxide auch Gesunde krank machen können, sei noch nicht geklärt.

"Je kleiner die Partikel sind, umso tiefer können sie in die Lunge eindringen", erklärt Witt. Die ganz kleinen Teilchen könnten auch im Blut auftauchen, was zu Gefäßverengung führen könne. Nicht nur Asthma, sondern auch Allergien könnten so verstärkt werden. "In verschiedenen Studien gibt es auch Signale für mehr Lungenkrebs", berichtet der Experte.

"Es sind nicht mehr vor allem die alten Raucher, die wir als Lungenkrebspatienten haben." Die Luftverschmutzung sei der weltweit viertgrößte Risikofaktor, gleich nach dem Rauchen. Tendenz: steigend. Hinzu komme der Klimawandel. "In den Städten wird es heißer und trockener, damit steigt die Belastung, und wir werden mehr Leute mit Symptomen haben."

Feinstaub zerstört den Biofilm in den oberen Atemwegen

Obwohl Feinstaub und andere Luftschadstoffe in epidemiologischen Studien immer wieder mit einer erhöhten Anfälligkeit für Atemwegserkrankungen in Verbindung gebracht werden, ist der Mechanismus der Erkrankung bisher nicht bekannt. Viele Fachleute vermuten, dass die Schadstoffe das Gewebe direkt schädigen, Entzündungen hervorrufen oder den "oxidativen Stress" erhöhen. Jetzt ist ein Team um Julie Morrissey von der Universität in Leicester in England einer anderen Vermutung nachgegangen.

Die Forscher haben zunächst im Labortest den Einfluss von Feinstaub auf die Bildung von Bakterienkolonien untersucht. Streptokokken und Staphylokokken entwickeln auf glatten Oberflächen einen dichten Bakterienrasen, dessen Oberfläche glatt ist. Dieser "Biofilm" schützt die Bakterien vor Angriffen, denen sie etwa beim Säubern von Oberflächen, aber auch beim Einsatz von Antibiotika ausgesetzt sind.

Wurden die Bakterienkulturen mit Feinstaub exponiert, kam es zu einer deutlichen Störung der Kolonisierung. Der "Biofilm" wies deutliche Unregelmäßigkeiten auf. Dort, wo sich Feinstaub abgesetzt hatte, kam es zu regelrechten Löchern im Bakterienrasen. Dies könnte die Bakterien anfälliger gegenüber Angriffen machen. Tatsächlich war die Toleranz der Bakterien gegen einige Antibiotika vermindert. Es gab jedoch auch Bakterien, die unter der Einwirkung von Feinstaub unempfindlicher auf Antibiotika reagierten.

Wie Pneumokokken in der Lunge für Entzündungen sorgen

Entscheidend für den Einfluss auf Atemwegsinfektionen könnte jedoch sein, dass sich aus einem gestörten Biofilm leichter Bakterien lösen. Dies könnte bei der Entstehung von bakteriellen Lungenentzündungen eine Rolle spielen. Die Erkrankungen beginnen häufig mit einer Infektion der oberen Atemwege. Bei einigen Menschen werden die Infektionen auch durch Bakterien verursacht, die normalerweise dauerhaft obere Atemwege besiedeln, wo sie feste Kolonien bilden. Wenn Feinstaub den Zusammenhalt der Kolonien beschädigt, könnte dies die Streuung der Bakterien in die unteren Atemwege fördern.

Genau dies zeigen weitere Experimente, in denen die Forscher Streptococcus pneumoniae mit oder ohne Feinstaub auf die Nasenschleimhaut von Mäusen auftrugen. Spülungen des Bronchialsystems zeigten, dass die Pneumokokken nur bei Mäusen, die auch mit Feinstaub behandelt waren, in die unteren Atemwege gelangt waren

(w.g.)
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