Sprechstunde Wenn Polio zurückkehrt

Nach einer Kinderlähmung im Kindesalter kann es später zum sogenannten Post-Polio-Syndrom kommen. Hierbei tritt Muskelschwund auf.

Unsere Leserin Inge S. aus Neuss fragt: "Bei meinem Mann wurde das Post-Polio-Syndrom diagnostiziert. Was bedeutet das?"

Rafael-Michael Löbbert Die Poliomyelitis, auch als Polio oder Kinderlähmung bezeichnet, ist eine hoch ansteckende Viruserkrankung, die vorwiegend im Kleinkindalter auftritt und unterschiedliche Verläufe zeigt. Während sich bei der Mehrzahl der Infizierten keine Symptome zeigen, kommt es bei der sogenannten paralytischen Form zu einem Befall der motorischen Vorderhornzellen im Rückenmark. Die Folge sind Lähmungen der Extremitäten- und der Rumpfmuskulatur. Auch die Atemmuskeln können betroffen sein. Nach Abklingen der Akutphase bilden sich die Lähmungen häufig zurück. In Deutschland gilt Polio durch konsequentes Impfen als "ausgerottet".

Bei einer durchgemachten Polio-Infektion kann es nach einer stabilen Phase von mindestens 15 Jahren, im Durchschnitt aber 20 bis 30 Jahren, zum Auftreten des sogenannten Post-Polio-Syndroms (PPS) kommen. Die Ursache hierfür ist nicht eindeutig geklärt. Man vermutet eine über Jahre bestehende chronische Überlastung der während der Infektion nicht untergegangenen Neurone (Nervenzellen).

Das PPS ist gekennzeichnet durch eine zunehmende Muskelschwäche mit Muskelschwund, wobei insbesondere die Muskeln betroffen sind, die bereits während der früheren Polioinfektion erkrankt waren. Weitere Symptome sind Faszikulationen (Muskelzucken), Muskelkrämpfe, Muskel- und Gelenkschmerzen und eine Kälteintoleranz. Hinzu kommen eine verstärkte Müdigkeit (Fatigue) mit Leistungsminderung und rascher Erschöpfung. Die Erholungszeit nach körperlicher Anstrengung ist deutlich verlängert. Durch Probleme beim Gehen und Treppensteigen sowie durch Stürze ist die Alltagskompetenz eingeschränkt.

Voraussetzung für die Diagnose eines PPS ist eine frühkindliche Polio-Infektion. Neben einer neurologischen Untersuchung sollten eine Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) und eine Bestimmung der Creatinkinase (CK), eines Muskelenzyms, erfolgen. Andere neurologische, orthopädische und internistische Ursachen für die Beschwerden müssen ausgeschlossen werden.

Eine kausale Therapie des PPS ist nicht möglich. Die Behandlung richtet sich nach den Symptomen. Im Vordergrund steht Krankengymnastik, wobei Überbelastung zu vermeiden ist. Defizite können mit Orthesen und anderen Hilfsmitteln wie Gehstock oder Rollator kompensiert werden. Medikamente wie Beta-Blocker oder Cholesterinsenker sollten zurückhaltend gegeben werden, da sich das PPS verschlechtern kann. Bei Narkosen ist Vorsicht geboten.

(RP)
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