Gefäßchirurg Prof. Hubert Schelzig über das Aneurysma Wenn die Aorta zu reißen droht

Wenn ein Aneurysma der Bauchschlagader platzt, ist das oft tödlich. Frühe Erkennung führt heute zu mehreren möglichen Therapien, zum Teil mit kleinen Schnitten.

 Prof. Hubert Schelzig, Direktor der Gefäßchirurgie am Universitätsklinikum Düsseldorf.

Prof. Hubert Schelzig, Direktor der Gefäßchirurgie am Universitätsklinikum Düsseldorf.

Foto: ja/Klinik

Es ist die geniale Mischung aus Schlichtheit und Komplexität, die uns immer wieder über unseren Körper staunen lässt. Manche Vorgänge etwa aus dem Zauberreich der Molekulargenetik scheinen so unergründlich, dass wir uns mit Faszination und Grausen abwenden. Anderes dagegen ist so banal und effektiv konstruiert, dass man beinahe lachen muss. Die Gefäße des Menschen sind ein Kanalsystem, das auch jeder gute Installateur gefertigt haben könnte.

Nicht falsch verstehen: Wir haben Hochachtung vor Installateuren, die sich mit hydraulischen Drücken, mit Abzweigungen, Widerständen, Pumpen und Leckagen auskennen - und in gewisser Weise ist jeder Arzt auch ein Klempner. Bei einer Ultraschall-Untersuchung des Bauches kann er sich beispielsweise auch die Hauptschlagader angucken: Ist ihr Durchmesser in Ordnung, ist sie dicht, gleichmäßig in der Führung - oder ist sie irgendwo ausgesackt, hat sozusagen eine Beule geworfen, die ein räumliches Eigenleben zu führen beginnt?

Ein solcher Sack der Aorta, das berüchtigte Aneurysma, ist ein Fall für den Gefäßchirurgen - etwa für Prof. Hubert Schelzig, den leitenden Gefäßchirurgen am Universitätsklinikum Düsseldorf, wo es seit einiger Zeit das Deutsche Aortenzentrum Düsseldorf gibt. Er sagt: "Unsere Bauchschlagader ist ja nichts anderes als ein Highway im Körper, der unser Blut befördert und über mehrere Abfahrten und Gabelungen im Körper verteilt. Und wenn an einer Stelle im Körper diese zentrale Lebenslinie, die ein gewaltiges Hohlorgan ist, ein Problem bekommt, dann kann das lebensgefährlich sein."

Diese Umstände treten immer dann ein, wenn sich ein Aneurysma vergrößert -und zwar auf ein Ausmaß und zu einer Form, dass es einzureißen, zu platzen droht. "Diese Ruptur überlebt kaum jemand, weil sie eine sofortige Massenblutung mit einem gleichzeitig rapiden Druckverlust nach sich zieht", erklärt Schelzig - und umso wichtiger ist es für Betroffene, die ein Aneurysma mit sich herumschleppen, dass es regelmäßig kontrolliert wird.

Am Anfang der Behandlung des Bauchaorten-Aneurysmas (BAA) steht das Wissen, dass man überhaupt eines hat. Das ist eine Binsenweisheit und zugleich das Dilemma: "Ein Aneurysma der Bauchschlagader macht über lange Zeit überhaupt keine Symptome", berichtet der Gefäßchirurg Schelzig, "es ist unauffällig, man sieht es nicht, wenn man es nicht sucht, man hört es nicht, doch vergrößert es sich jährlich um etwa ein bis drei Millimeter, und man sieht es bei einer Sonografie des Bauchraums auch nur, wenn man den Schallkopf darauf ausrichtet."

Starke Rückenschmerzen, heftiges Bauchweh, Übelkeit, Erbrechen - mit diesen Symptomen im Verbund ist dann allerdings nicht zu spaßen, denn sie können Anzeichen eines BAA sein, das vor dem Riss steht. Auch Albert Einstein trug 1955 diese tickende Zeitbombe in sich. Er wusste von der Gefahr, die sich in seinem Körper angestaut hatte; bei der OP wurde das Aneurysma mit einer Kunststoff-Folie umwickelt - trotzdem starb er. Von 100 Menschen über 50 Jahren hat einer ein Aneurysma; bei Männern mit Bluthochdruck steigt die Quote auf zehn Prozent.

Wie kommt es zu einem BAA? Fast immer ist Arteriosklerose die Ursache, eine typische Schädigung der Gefäße. Sie kann sich überall zeigen und wirft ihre Schatten in der Tat auch in den Abschnitten des Gefäßsystems, in den Herzkranzgefäßen, in der Halsschlagader, in den Augen, den Beinen, überall. Am frühesten sieht die Gefäßsituation des Menschen sein Augenarzt bei der Untersuchung des Augenhintergrunds. Dabei spricht man von "talking eyes".

Früher war die Operation eines Bauchaortenaneurysmas immer mit einem großen Schnitt verbunden. Schelzig: "Da musste auch der Darm zur Seite geschoben werden - und immer arbeitete man gegen die Zeit, denn das Herz pumpte ja weiter." Nur gewisse Teile der Aorta (nämlich der hinter dem Herzen aufsteigende) werden unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine operiert; sie erfordern auch einen größeren Schnitt.

Bei der konventionellen Operation des BAA, die auch heute noch unter bestimmten Umständen gewählt wird (zumal sie sicher und erprobt ist), wird der Bauchraum durch einen Mittelschnitt geöffnet. Indem die Schlagader abgeklemmt wird, kommt der Blutstrom zum Stillstand, dann wird das Aneurysma aufgeschnitten und begradigt. Je nach Ausdehnung der Gefäßveränderung wird eine y-förmige oder eine sogenannte Rohrprothese eingesetzt. Sie wird von Hand eingenäht, daraufhin wird die Aneurysma-Aussackung um die Prothese genäht. Diese offene Operation ist effektiv, aber für den Patienten belastend; die Erholung kann dauern. Nach einem meist zwölftägigen Krankenhausaufenthalt ist bei vielen Patienten eine Kur erforderlich.

Heutzutage zeigen sich die beinahe ungeahnten Möglichkeiten der modernen Medizin. Schelzig: "Es gibt Zentren in Europa, die ein BAA in einer Tagesklinik ambulant operieren - der Patient kommt morgens, wird operiert und geht abends wieder nach Hause." Das geht nur, weil es die sogenannte endovaskuläre Medizin gibt (endo = innen, vaskulär = das Gefäßsystem betreffend): Der Patient bekommt keinen großen Schnitt mehr. Vielmehr wird über die Leistenarterie eine Prothese über einen Führungsdraht in die Aorta geführt. Die Prothese steckt in einer Hülle, die nach dem Einführen entfernt wird, so dass sich die Prothese entfaltet. Bedingung ist, dass die Prothese das Gefäß komplett abdichtet. Jedenfalls wird durch diesen Eingriff von innen das BAA vom Blutfluss abgekoppelt und kann keinen Schaden anrichten.

Auf die Sterblichkeit bei Patienten mit einem BAA haben die modernen Verfahren epochale Auswirkungen. "Mittlerweile stirbt nur jeder hundertste Patient bei einem geplanten Eingriff zur endovaskulären Entschärfung eines BAA", sagt Schelzig. Wichtig ist, dass ein moderner Chirurg beide Verfahren beherrscht, die offene und die endovaskuläre. Schelzig: "Dann bin ich nicht unter Handlungszwang für eine einzige Option, die ich beherrsche, sondern kann auswählen und dem Patienten eine Therapie anbieten, die auf seine Situation zugeschnitten ist." Bei manchem jüngeren Patienten könne es übrigens sinnvoll sein, dass er keine Gefäßprothese bekomme, sondern offen operiert werde.

Schelzig und sein Team behandeln am Düsseldorfer Aortenzentrum allerdings nicht nur Patienten mit einem BAA, sondern auch andere Erkrankungen der Aorta. Hubert Schelzig: "Zum Teil sind das sehr seltene Krankheiten, die mancher nur aus dem Lehrbuch kennt. Deshalb ist für uns der interdisziplinäre Ansatz sehr wichtig. Beispielsweise für die richtige Therapie eines Patienten mit dem sogenannten Marfan-Syndrom, einer Erkrankung des Bindegewebe, braucht man zwingend einen Humangenetiker. Mit dem arbeiten wir in der Uniklinik ebenso intensiv zusammen wie mit den Radiologen, den Herzchirurgen, den Angiologen."

Wer über 65 Jahre ist, dauernd Rückenschmerzen hat, raucht und womöglich noch Sohn eines Vaters mit BAA ist, sollte sich dringend per Ultraschall untersuchen lassen, anstatt nur Schmerzmittel zu schlucken. Möglicherweise rettet er dadurch sein Leben.

(w.g.)
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