Wenn das Blut in den Kopf schießt Warum wir rot werden und was dagegen hilft

Dresden · Sei es vor Aufregung oder in einer peinlichen Situation: Erröten geschieht blitzschnell und lässt sich nicht unterdrücken. Schießt das Blut in den Kopf, ist das Selbstbewusstsein dahin. Betroffene können lernen, gelassener mit dem lästigen Rotwerden umzugehen.

 Oh, wie peinlich: Manche Menschen werden in unangenehmen Situationen schnell rot.

Oh, wie peinlich: Manche Menschen werden in unangenehmen Situationen schnell rot.

Foto: dpa, nz

"Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das erröten kann. Oder sollte", schrieb der amerikanische Autor Mark Twain. Er machte damit sehr treffend deutlich, dass Erröten mehr ist als nur der sichtbare Ausdruck verstärkter Durchblutung im Kopf. Die körperliche Reaktion ist eng mit der Psyche verknüpft, weil sie Emotionen sichtbar macht: Der Kopf wird nicht nur rot, wenn sich jemand anstrengt, ihm zu warm ist oder er Alkohol getrunken hat. Sondern auch, wenn er sich schämt oder ihm etwas peinlich ist.

Die feinen Adern in der Haut sorgen für den geröteten Teint. Sie weiten sich und transportieren mehr Blut. Besonders bei hellhäutigen Menschen ist der Effekt sichtbar, der oft so schnell wieder vergeht, wie er gekommen ist. Verantwortlich dafür können äußere Reize sein wie Temperaturunterschiede oder feste Berührungen.

Warum ein Mensch aber auch in peinlichen Situationen einen roten Kopf bekommt, ist noch weitgehend unklar. "Es gibt verschiedene Theorien, aber bewiesen ist keine", sagt die Psychologin Samia Härtling, die an der Technischen Universität Dresden zum Thema Erröten forscht. Ein wissenschaftlicher Erklärungsversuch lautet: Die Rötung des Gesichts in peinlichen Situationen könnte ein Schutzmechanismus sein, um den Menschen nach einem Regelverstoß vor dem Ausschluss aus seiner sozialen Gruppe zu bewahren. Der rote Kopf signalisiert: "Ich weiß, ich habe einen Fehler gemacht, es tut mir leid."

Verantwortlich für dieses sogenannte soziale Erröten ist das vegetative Nervensystem, das nicht willentlich gesteuert werden kann. Der Sympathikus-Nerv, der in Stresssituationen aktiv wird, gibt den Blutgefäßen den Befehl, sich zu weiten. Mit dem roten Kopf ist es nicht getan: Auch das Herz schlägt schneller, die Hände schwitzen - und der Betroffene möchte sich am liebsten im nächsten Loch verkriechen.

Wann und wie oft Menschen erröten, hängt mit individuellen Reizschwellen zusammen, erläutert Christoph Schick. Der Chirurg aus München behandelt Patienten, die unter übermäßigem Erröten (Erythrophobie) leiden. Er schätzt, dass etwa jeder 200. Mensch eine angeborene Störung in der Steuerung des Sympathikusnervs hat, die dazu führt, dass die Reaktionskette deutlich schneller in Gang kommt.

Für die Betroffenen kann das sehr belastend sein. Ein Gespräch mit Fremden, eine Präsentation im Job, selbst das fröhliche Miteinander auf einem Familienfest bringen den Kopf zum Glühen. Wer Pech hat, erntet dafür auch noch hämische Kommentare. "Bei besonders sensiblen Menschen kann die Erwartung von Peinlichkeiten oder die Erfahrung, einmal bloßgestellt worden zu sein, sich quasi verselbstständigen", sagt Christa Roth-Sackenheim, Vorsitzende des Berufsverbands Deutscher Psychiater. "Wenn ein Mensch wegen der Angst vor dem Erröten andere Menschen meidet, nicht mehr aus dem Haus geht, ist eindeutig eine Schwelle zur Erkrankung überschritten."

Am schlimmsten sei das Gefühl, mit dem Problem allein dazustehen, sagt Carsten Dieme. Er betreibt die Internetseite www.erythrophobie.de, die Betroffenen ein Forum bietet. "Sich mit anderen auszutauschen, hilft sehr." Die Erkenntnis, dass Menschen aller sozialen Schichten, aller Berufe mit dem Erröten kämpften, relativiere die eigenen Probleme ein wenig.

Solange der rote Kopf gelegentlich lästig, aber nicht quälend ist, können Entspannungs- und Atemübungen hilfreich sein. Sie verhindern nicht das Rotwerden, lösen aber die innere Anspannung. Und wer sich weniger auf seinen roten Kopf fokussiert, kann gelassener mit der Situation umgehen.

Wenn aber die Angst vor dem Erröten so groß ist, dass die Begegnung mit anderen Menschen zur Qual wird, ist professionelle Hilfe sinnvoll. Psychologin Härtling hat im Rahmen ihrer Doktorarbeit eine Kurztherapie entwickelt, die mit dem Förderpreis der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie ausgezeichnet wurde. Dabei lernen die Betroffenen, sich auf ihre eigentliche Aufgabe zu konzentrieren und sich dabei nicht mehr von ihrem Erröten ablenken zu lassen.

Gleichzeitig werden sie ermutigt, Situationen mit Errötungsgefahr nicht mehr zu meiden, sondern sie aktiv aufzusuchen - und dabei zu erleben, dass sie meist besser verlaufen als befürchtet. "Nach einer erfolgreichen Therapie stellt sich mit der Zeit das Gefühl ein, auch subjektiv seltener zu erröten", sagt Härtling.

Wenn nicht die Angst das Hauptproblem ist, sondern ein übermäßiges Erröten aufgrund angeborener Regulationsstörungen, könnten auch Medikamente, zum Beispiel bestimmte Beta-Blocker, helfen, sagt Mediziner Schick. Letztes aller möglichen Mittel sei eine Operation. Dabei wird der Sympathikus-Nerv abgeklemmt. Das unterbindet allerdings nicht nur das Erröten, sondern auch die Schweißregulation mit der Folge, dass die Patienten stärker schwitzen. "Das ist ein gravierender Eingriff", warnt Schick. Deshalb sei im Vorfeld sehr genau zu prüfen, ob der Patient geeignet ist.

(dpa)
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